Inland

„Deutscher Egoismus verschlimmert die Krise“

von Dietrich Jörn Weder · 18. November 2010
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"Die Herausforderungen, vor denen Länder wie Griechenland oder Irland stehen, sind gewaltig, und ich würde mir wünschen, dass man sich auch von deutscher Seite mehr Gedanken macht, wie man diesen Ländern helfen kann." Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, tritt deshalb dafür ein, Ländern, die nicht schon länger die europäischen Stabilitätsregeln missachtet haben, uneingeschränkten Zugang zu einem gemeinsamen Krisenfonds zu gewähren, und das zu günstigen Konditionen.

Nur bei Ländern, die sich konsequent unverantwortlich verhalten haben, sollten zwingend auch die privaten Gläubiger mit in die Pflicht genommen werden. Das Verlangen Angela Merkels, die Privaten in allen Fällen an Umschuldungen zu beteiligen, hat, wie Bofinger bemerkt, auch für Deutschland einen gewaltigen Pferdefuß. Unter allen Ländern haben die deutschen Banken die höchsten Außenstände in Irland.

Albtraum Deflation

Mit dem nationalen Egoismus, den die deutsche Regierung bisher an den Tag gelegt habe, tue man nicht einmal sich selber einen Gefallen, sagt Bofinger. Auch nicht damit, dass man wirtschaftspolitisch auf den alten Gleisen weiterfahre, und sogar anderen empfehle, es ebenso zu tun: "Der Albtraum für uns müsste es sein, dass sich alle so verhalten wie wir. Wenn nämlich alle Länder so verfahren, dass sie nach möglichst hohen Handels- und Leistungsüberschüssen streben, indem sie ihre Industrie mit möglichst niedrigen Löhnen wettbewerbsfähig machen, dann kriegen wir eine globale Deflation."

Frau Merkel habe nicht begriffen, dass es nicht darum gehe, weniger zu exportieren. Es sei nichts Falsches daran, wenn wir gute Produkte herstellten und diese in der ganzen Welt gefragt seien. Unser Beitrag zur Milderung der weltwirtschaftlichen Spannungen müsse vielmehr darin bestehen, dass wir unsere Ausgaben steigern. "Um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen noch zusätzlich zu steigern, haben wir die Löhne über ein ganzes Jahrzehnt hinweg nicht mehr richtig erhöht. Wir haben seit zehn Jahren eine stagnierende Binnennachfrage. Darin liegt das Problem für uns und die Welt."

Die Schuldenbremse - ein Verbrechen an künftigen Generationen
Es sei schon eine gewisse Trendwende darin zu erkennen, wenn nun selbst Brüderle davon spreche, dass wir kräftige Lohnsteigerungen brauchen. Doch auch der Staat müsse sich mit einer Steigerung investiver Ausgaben ins Spiel bringen. Doch der habe sich mit der Schuldenbremse in eine "schreckliche Zwangsjacke" gezwängt: "Der Staat ist nun nicht mehr in der Lage, bei niedrigen Zinsen selbst als Investor Kredite aufzunehmen und damit das Land voranzubringen. Das ist für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands ein Riesenproblem. Denn die Investitionen, die das Land braucht in der Bildung, im Umweltschutz, in der Infrastruktur, die können nur vom Staat kommen, und dem Staat, diese Möglichkeit massiv zu beschneiden, ist ein Verbrechen an den künftigen Generationen."

Und schließlich sei hierzulande niemand damit gedient, wenn die große Sparleistung der Deutschen ins Ausland abfließe, weil es im Inland für sie keine Nachfrage und keine Verwendung gebe. Der Wirtschaftsweise plädiert aus allen diesen Gründen dafür, sowohl die Spitzensteuersätze anzuheben auf Niveaus, wie sie zu Kohls Zeiten herrschten, als auch mehr Kredit aufzunehmen. Würden die Gelder sinnvoll verwendet, würden sie sich auf längere Sicht allemal auszahlen.

Drei unerledigte Aufgaben zur Krisenverhütung
Folgt man Peter Bofinger, warten vor allem noch drei Aufgaben zur Verhütung künftiger Finanzkrisen darauf, erledigt zu werden. Zum ersten müsse es eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht geben. Hätte eine solche schon früher existiert, hätten sich die irischen Banken niemals so exzessiv übernehmen und vergaloppieren können.

Zum Zweiten brauche es unbedingt eine unabhängige europäische Rating-Agentur, die vielleicht als Stiftung agieren könne. Denn das Feld der Bewertung für die Güte von Wertpapieren und Forderungen könne man nicht weiter den drei großen angelsächsischen Agenturen überlassen, die mit ihren für sie selbst folgenlosen Fehleinschätzungen so viel zur Entstehung der großen Krise beigetragen hätten.

Und drittens - und das sei des Pudels Kern - müsse es zu einer Entflechtung und Minderung der Forderungen kommen, die Banken untereinander halten, damit eine Bank, wenn sie schon Pleite geht, nicht alle anderen mit in einen Strudel reißt und der Staat nicht wieder, wie zum Beispiel bei der Hypo-Real-Estate geschehen, in die Bresche springen muss.

Kooperation statt Anarchie im Weltwährungssystem
Wie das Gegeneinander von China, den USA, Japan und insbesondere Deutschland auf dem G-20-Gipfel in Seoul einmal mehr gezeigt hat, herrscht in den Beziehungen der großen Währungsblöcke zueinander ein Mangel an Willen zur Kooperation, Regellosigkeit, ja "Anarchie". Bofinger: "Das ist das Grundproblem der ganzen Wirtschaftspolitik, dass das Modell, jeder ist seines Glückes Schmied, Egoismus ist Trumpf, sich vom einzelnen Bürger über das einzelne Land bis zur Weltwirtschaft durchzieht. Man will nicht kooperieren, jeder glaubt, auf sich allein gestellt, besser zu fahren. Und solange sich die Länder wie aufgeblasene Egoisten verhalten, kriegen wir keine vernünftige Weltwährungsordnung, bekommen wir kein vernünftiges Weltklimaabkommen hin, und die Gefahr ist groß, dass die Welt ökonomisch wie politisch gegen die Wand fährt."

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