Der 57 Jahre alte Sozialist Francois Hollande hat den Wandel, den er seinen Wählern versprochen hat, eingeleitet. Mit 52 Prozent der abgegebenen Stimmen muss er aber trotzdem eine letzte Hürde nehmen, um seinen Sieg souverän und solide abzusichern: Die Abgeordnetenwahl zur Nationalversammlung im Juni. Dort dominiert das Lager des Wahlverlierers Nicolas Sarkozy. Die Chancen stehen für Hollande gut, auch hier eine bequeme Mehrheit zu erhalten.
Hollandes Wahlerfolg ist keine Sensation. Seit über einem Jahr wurde ihm der Triumph in der Stichwahl über den Konservativen Sarkozy vorausgesagt. Überzeugt hat er mit einem Reformprogramm. Mit Hollande zieht seine Lebenspartnerin, die Journalistin Valéry Trierweiler (47), als „Première Dame“ in den Elyséepalast. Die gewaltigen Probleme, vor denen Frankreich steht, werden den neuen Präsidenten unverzüglich zum Handeln zwingen.
Keine Ratifizierung des Fiskalpakts
Die ersten 100 Tage sollen im Zeichen einer dynamischen Europapolitik stehen. Auf diesem Gebiet will er schnell und nachhaltig punkten. Hollande fordert eine Neuverhandlung des bereits von 25 EU-Staaten unterzeichneten Fiskalpakts über Haushaltsdisziplin. Er schließt derzeit eine Ratifizierung im Parlament aus. Dabei fühlt er sich in guter Gesellschaft von Partnerstaaten, die eine drastische Austeritäts- und Sparpolitik flexibler gestaltet sehen wollen. Der Pakt soll nach Vorstellung des Franzosen einen Passus über Wachstum enthalten.
Inzwischen ist bei Hollande von einem eigenständigen Wachstumsvertrag die Rede. Der Hauptgrund der Forderung ist das von Hollande ins Auge gefasste Ausgabenprogramm. Von Wachstumsimpulsen erhofft sich der Sozialist mehr Einnahmen. Sie sollen der Bildungspolitik und der Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen zugute kommen. Er will die europäischen Gremien von einem Junktim zwischen Wachstum, Konjunktur und Investitionen überzeugen, vor allem die „Sparkommissarin“ Angela Merkel, die nach Pariser Lesart durchaus bereit sein soll, Hollandes Vorstellungen „in einem positiven Geist“ zu diskutieren.
Europapolitik als Weltpolitik. Eine neue internationale Politik soll deutlich seine Handschrift tragen. Nach der Amtseinführung am 15. Mai ist er zum G8-Gipfel in Camp David und zum NATO-Meeting in Chicago eingeladen. Erstaunen hat seine Ankündigung ausgelöst, das französische Afghanistankontingent schon zum Jahresende abzuziehen. Eine Mehrheit der Franzosen ist nicht dagegen, aber die Noch-Mehrheitspartei von Sarkozy, UMP, will nur einem Abzugstermin Ende 2014 zustimmen, so wie ihn US-Präsident Barack Obama vorgeschlagen hat.
Außenpolitik muss wieder kalkulierbar sein
Wie der neue Staatschef das Land verändern will, muss sich noch zeigen. Die Ankündigung von Hollande, ein „normaler Präsident“ sein zu wollen, deutet darauf hin, dass Frankreichs Innen- und Außenpolitik kalkulierbar wird. Eine Politik der permanenten Kehrtwendungen wie unter Sarkozy soll es nicht mehr geben. Hollande will berechenbar sein. Steuergerechtigkeit, Bankenkontrolle, Jobs für Jugendliche und Schuldenabbau sind weitere Ziele des 7. Präsidenten der 5. Republik, des zweiten sozialistischen Staatschefs seit Kriegsende nach Francois Mitterrand.
Die Regierung, die Hollande zusammenstellt, soll diese Ansprüche widerspiegeln. Die sozialistische Parteichefin Martine Aubry könnte die neue, einflussreiche Arbeits- und Sozialministerin werden. Sie ist die „Autorin“ der 35-Stunden-Woche in Frankreich. Als Premierminister ist der Fraktionschef der PS, Jean-Marc Ayrault, im Gespräch. Als gelernter Deutschlehrer spricht er die Sprache des großen Nachbarlandes fließend. Auch soll er den Kontakt zur SPD sorgfältig ausbauen. Viel Arbeit also in Paris. Denn der Sieg auch in der Parlamentswahl ist noch lange nicht in trockenen Tüchern.
ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).