Inland

Der neue Mr. Euro

von Susanne Dohrn · 8. Februar 2012

Seit Januar sitzt Jörg Asmussen im Direktorium der Europäischen Zentralbank. Der Sozialdemokrat glaubt fest an den Euro und die Kraft der Politik.

Von seinem Eckbüro im 34. Stock der Europäischen Zentralbank (EZB) blickt Jörg Asmussen weit nach Süden. Er sieht den Frankfurter Flughafen, von wo er nach Brüssel, Paris oder sonstwohin startet. Hinter dem Horizont liegen EU-Problemstaaten wie Italien und Griechenland, an deren Rettung die EZB mit Hochdruck arbeitet. Hinter dem Horizont liegt auch Timbuktu. Aber das gehört zu einer anderen Zeit. Das kommt später.
 

Der EZB-Direktor spricht leise und prononciert, wie jemand, der gewohnt ist, dass man ihm zuhört. Gibt es den -Euro in zehn Jahren noch? „Ja.“ Kein Zweifel? „Kein Zweifel.“ In allen Ländern, die ihn jetzt haben? „In all den Ländern und es werden noch mehr beitreten.“ Auch in Griechenland? „Das hängt von Griechenland ab.“ Der Hinweis, unten im EZB-Shop gebe es Briketts aus geschredderten alten Euroscheinen zu kaufen, entlockt dem Mittvierziger kaum ein Lächeln.

Steile Karriere
Dort unten vor dem Eingang stehe sein Fahrrad, erzählt er. Mit dem fährt er in Frankfurt zur Arbeit wie zuvor in Berlin, wo der sportliche Sozialdemokrat und Sohn eines Flensburger Feuerwehrchefs im Bundesfinanzministerium eine steile Karriere hingelegt hat: 1996 Referent im Ministerium von Theo Waigel (CSU), 1998 persönlicher Referent von Oskar Lafontaines Finanzstaatssekretär Heiner Flassbeck, 1999 Leiter des Ministerbüros von Hans Eichel, 2003 Leiter der Abteilung Finanzmarktpolitik, 2008 Staatssekretär unter Peer Steinbrück und 2009 bis 2011 unter Wolfgang Schäuble (CDU).

Wie „überlebt“ man fünf Minister und vier Koalitionen? „Das ist für Beamte relativ simpel“, sagt Asmussen. „Sind sie loyal? Sind sie verschwiegen? Bringen sie Sachkompetenz mit? Arbeiten sie hart?“ Will sagen: All das trifft auf ihn zu. Gleichzeitig beschreibt er jemanden, der eher im Hintergrund gearbeitet hat. Seit Januar steht Asmussen selbst in der ersten Reihe. Wenn er, wie kürzlich, vor einer Verwässerung des EU-Fiskalpakts warnt, sind ihm die Schlagzeilen sicher.Der Fiskalpakt ist ihm wichtig: Schuldenbremse in allen Eurostaaten, automatische Sanktionen für Defizitsünder, Wiederherstellung der „Schuldentragfähigkeit“. So nennt er es, und meint damit den Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs, die Schulden der Euro-Staaten in 20 Jahren auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken. Da muss sich auch Deutschland gewaltig anstrengen. Die Verschuldung liegt derzeit bei 83 Prozent. Trotz boomender Wirtschaft hat die Bundesregierung bislang nur die Neuverschuldung verringert.

Aber wie soll Wachstum gelingen, wenn alle sparen? Darauf hat Asmussen zwei Antworten. Die erste ist hart: Wenn ein Land wegen seiner Schulden kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehe, müsse es sparen, auch wenn sich das kurzfristig negativ auf das Wachstum auswirke. Parallel dazu müssten die Wettbewerbskräfte gestärkt werden. Hier kommen z.B. die EU-Struktur- und Regionalfonds ins Spiel. Sie müssen, so Asmussen, „re-fokussiert“ werden auf Innovationen und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.

Ja zur Finanztransaktionssteuer
Persönlich spricht er sich für eine Finanztransaktionssteuer aus: „Sie bringt Einnahmen. Das ist ein wichtiger Punkt, wenn man überlegt, dass die Alternative eine Mehrwertsteuer- oder Einkommenssteuererhöhung ist.“ 55 Milliarden Euro Einnahmen jährlich europaweit habe die EU-Kommission ausgerechnet. „Am schönsten wäre sie global,“ sagt Asmussen. „Aber wer sagt, er will sie nur global einführen, will sie nicht.“ Die nächste Präferenz seien die 27 EU-Staaten. „Wenn das nicht gelingt, ist ein erster richtiger Schritt die Eurozone.“ Man müsse die Steuer dann so ausgestalten, dass sie dort anfällt, wo das Unternehmen seinen Hauptsitz hat.

Der einstige Verfechter der Finanzmarktliberalisierung hat dazugelernt. In einem Aufsatz aus dem Jahr 2006 lobte Asmussen noch neue Finanzierungsinstrumente wie Kreditverbriefungen, deren Einsatz in Deutschland „nachdrücklich unterstützt“ werden sollte. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise und dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 muss er sich deshalb immer wieder vorhalten lassen, dass es gerade die Liberalisierung war, die die Finanz- und Bankenkrise ausgelöst hatte.

Vom Saulus zum Paulus
„Wir haben da auch Fehler gemacht“, gibt er zu und nimmt für sich in Anspruch: „Wer nach der Finanzkrise nicht seine Position überdenkt und ändert, lernt nicht.“ Heute setzt er sich für Regulierung und Transparenz ein und erklärt, was die EU erreicht hat: Eine europäische Finanzaufsichtsbehörde wurde geschaffen und im ersten Halbjahr 2012 soll unter der dänischen EU-Präsidentschaft der Handel mit hochspekulativen Finanzprodukten transparenter und sicherer werden.

Asmussen hat viel erreicht. Dafür zahlt er einen Preis. Als er noch in Berlin arbeitete, habe er seine beiden kleinen Töchter öfter abends ins Bett gebracht, erzählt er. Dafür sei er vor Abendterminen kurz nach Hause gefahren. Nun sieht er seine Familie nur am Wochenende – außer wenn wieder Arbeit angesagt ist, zum Beispiel die Vorbereitungen für den Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 30. Januar. Bleibt ihm trotz Krisenmanagement Zeit für Träume? Gibt es etwas, das er bis zum 50. Geburtstag unbedingt -machen will? Asmussen überlegt nur kurz und sagt: „Nach Timbuktu in Mali. Ich habe ein Faible für Afrika, und Timbuktu ist eine sagenumwobene Stadt mit einer der ältesten Bibliotheken der Menschheitsgeschichte.“ Dass das Außenministerium vor Reisen in den Norden Malis und nach Timbuktu warnt, macht nichts. Für diese Expedition hat Jörg Asmussen ohnehin keine Zeit. Erstmal muss er den Euro retten.

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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