Inland

Der Kitt der Gesellschaft

von Martin Jungmann · 21. September 2014

Wenn jeder an sich denkt, dann ist an jeden gedacht – nach diesem Prinzip kann keine Gesellschaft funktionieren. Das gilt in Berlin wie überall auf der Welt. Unter dem Titel “Gemeinsam mehr erreichen“ trafen sich Akteure der Zivilgesellschaft, Vertreter der Wissenschaft und interessierte Bürger in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), um über die Zukunft Bürgerschaftlichen Engagements in Berlin zu sprechen.

 In der Berliner Landespolitik genießt das Bürgerschaftliche Engagement schon lange einen hohen Stellenwert  - seit 2003 ist das Thema auf Staatssekretärsebene beim Senat angesiedelt. Die aktuelle Verantwortliche, Hella Dunger-Löper, brachte ihre Wertschätzung bei einer Veranstaltung des Arbeitsbereichs BerlinPolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung auf den Punkt: „Es ist der Kitt unserer Gesellschaft“. Die Staatssekretärin stellte die Vielfalt des Engagements dar, ohne allerdings unkritisch zu loben: „Es ist eine große und manchmal vielfältige Landschaft, mitunter aber durchaus mit einigen Gräben.“ Diese Gräben gelte es zu überspringen und gemeinsam zum Wohle der Gesamtgesellschaft tätig zu werden.

Gelebte Demokratie

 Zur Einführung ins Thema zitierte die ehemalige Bundesministerin Christine Bergmann aus Willy Brandts legendärer Regierungserklärung „Mehr Demokratie wagen“: „Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und die mehr Mitverantwortung fordert.“ Bergmann stellte klar, dass Bürgerinnen und Bürger sich mit ihrem Sachverstand in die Gesellschaft einbringen und an ihr beteiligt sein wollen. Das setze Transparenz und Verlässlichkeit voraus. Staat und Politik, betonte sie, würden jedoch keinesfalls aus ihrer Verantwortung entlassen.

Japanische Technik und Baywatch am Wannsee

Mit elf Gästen aus verschiedenen Praxisbereichen holte man sich, wie es Organisatorin Nicole Zeuner ausdrückte, „die Stadt in den Konferenzraum“. Doch wer jetzt elf langstielige und -weilige  Referate befürchtete, sollte nicht Recht bekommen. „Pecha Kucha“ ist ein aus Japan stammendes Präsentationsformat, das zur Anwendung kam. Der Kern dieses Vorgehens: Jede Präsentation besteht aus genau 20 Folien, die jeweils genau 20 Sekunden zu sehen sind.

Das Resultat war ein eineinhalbstündiger unterhaltsamer und zugleich informativer Parforceritt durch die Engagementsvielfalt in der Hauptstadt. Da waren Rettungsschwimmer des DRK zu sehen, die Baywatchflair am Wannsee ausstrahlen. Ein Redner versuchte dem verordneten Zeitlimit durch eine Sprechgeschwindigkeit zu begegnen, die manchen Rapper neidisch machen würde. Ein Vortragender verglich die Vielfalt der Träger des Ehrenamtes mit einer Inselgruppe,  in der jedes Inselvölkchen eine eigene Suppe kocht. 

Aus Moabit berichtete ein Quartiersmanager von Muslimen, die befürchteten, durch das Schmücken eines Weihnachtsbaumes eine Sünde zu begehen (tun sie nicht). Internetprojekte von sehr konventionell bis hochinnovativ gab es zu sehen und einen zornigen Appell an die Landes- und Bezirkspolitik zu hören: „Kommt von Eurem Ross herunter, redet mit den Menschen und sprecht mit einer Stimme!“

So unterschiedlich die Vorstellungen auch waren, eines hatten alle Vortragenden gemeinsam: Sie setzen sich in ihren Organisationen, in ihren Stiftungen mit enormem Kraftaufwand ein – für eine funktionierende Gesellschaft von Bürgerinnen und Bürgern. Dies geschieht im 21. Jahrhundert ganz im Sinne des Perikles. Christine Bergmann hatte ein Zitat des Athenischen Staatsmannes, der vor fast 2.500 Jahren gelebt hat, an das Ende Ihres Referates gestellt: „Wer an den Dingen seiner Gemeinde nicht Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger.“

Autor*in
Martin Jungmann

ist freier Autor in Berlin.

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