Der hessische Weg: Wie Thorsten Schäfer-Gümbel Ministerpräsident werden will
„Es war der 18. Januar 2015, als ich auf meinem iPad einen Vier-Jahres-Countdown eingestellt habe. Der war brutal lang“, berichtet Thorsten Schäfer-Gümbel, während er mit seinem Wahlkampfbus von Wiesbaden nach Marburg quer durch Hessen unterwegs ist. Nur noch wenige Tage sind es bis zur Wahl. Oder genauer gesagt „13 Tage, 3 Stunden und 34 Minuten“, wie der Spitzenkandidat der hessischen SPD nach kurzem Blick auf seine Armbanduhr verrät.
Auf Hessen ruht die Hoffnung der SPD
Thorsten Schäfer-Gümbel – oder „TSG“, wie ihn hier in Hessen viele nennen – ist keiner, der Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft. Er denkt und handelt langfristig. Schon im Dezember 2016 – zwei Monate, bevor die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz bekannt wurde – hat die hessische SPD ihre Kampagne für die Landtagswahl 2018 beschlossen.
Für diese Art, Politik zu machen, wurde Schäfer-Gümbel bundesweit lange belächelt. Inzwischen ist er zum Hoffnungsträger für die Parteiführung im Willy-Brandt-Haus geworden. Er selbst sagt: „Ich habe bundespolitisches Gewicht, weil die Leute an mir schätzen, dass ich ehrlich und solide bin. Dieser Stil kann Wahlen gewinnen und Politik verändern. Davon ist Schäfer-Gümbel überzeugt und fügt an: „Das Gesicht der hessischen SPD in der bundespolitischen Wahrnehmung wäre von einem Tag auf den anderen ein anderes.“ Dann wäre wieder Hessen vorn.
Zuspruch von den Bürgern
Doch erst mal gilt es, eine Niederlage zu verdauen. In Bayern hat die SPD bei der Landtagswahl nur 9,7 Prozent der Stimmen eingefahren, bundesweit steht sie in Umfragen teilweise nur bei 15 Prozent. Wie soll angesichts dieser Werte in Hessen der Wechsel gelingen? Schäfer-Gümbel antwortet erwartbar. „Hessen ist nicht Bayern“, sagt er. Die Probleme seien andere. „Der Wechsel tut Hessen gut“, steht auf den Großflächenplakaten, die die hessische SPD zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase am Montagvormittag vor dem Landtag in Wiesbaden präsentiert.
Zumindest die Bürger in der hessischen Landeshauptstadt scheinen davon überzeugt. „Viel Erfolg! Wir müssen zusammenhalten“, ruft eine Frau Thorsten Schäfer-Gümbel zu. Jetzt erst recht, auch nach der Niederlage in Bayern. Wie man damit umgeht, weiß Schäfer-Gümbel aus eigener Erfahrung. Im Januar 2009 war er zum ersten Mal Spitzenkandidat der hessischen SPD. Nach der gescheiterten Regierungsbildung unter Andrea Ypsilanti sollte er retten, was nach dem Vertrauensverlust noch zu retten war. 2013 fehlten wiederum nur wenige tausend Stimmen zum Regierungswechsel.
Ein erstaunlich entspannter Spitzenkandidat
Diesmal soll es klappen, hofft Schäfer-Gümbel und wirkt erstaunlich entspannt. „Er ist sehr gut drauf und sehr fokussiert“, sagt seine Frau Annette Gümbel, die ihn in den verbleibenden beiden Wochen bis zur Wahl begleitet. Der Spitzenkandidat selbst sagt: „Ich bin mir meines Weges klar.“ Und er scheut sich nicht vor dem Kontakt mit den Bürgern: „Ganz viele wollen wissen, was wir konkret verändern wollen.“
So auch Fabienne McCullough, die TSG vor dem Wiesbadener Hauptbahnhof anspricht. „Hi! Ich habe eine Frage zu diesem Punkt“, sagt die junge Frau, die eine Ausbildung zur Sozialassistentin macht, und zeigt auf das Wahlprogramm der SPD. Es entwickelt sich ein intensives Gespräch über Ausbildungsförderung, Kinderbetreuung und Integrationsfragen, bis ein Mitarbeiter Schäfer-Gümbel antippt: „Thorsten, wir müssen jetzt wirklich los.“
Fabienne McCullough bedankt sich. Sie lächelt und sagt: „Ich hatte die SPD bisher noch nicht auf dem Schirm, aber ich fand es sehr gut, was er gesagt hat. Ich hätte eine verschlossenere Antwort erwartet, aber er war mega locker.“
Schäfer-Gümbel stellt sich auch schwierigen Gesprächen
Weniger locker verläuft ein Gespräch vor der Stadthalle in Marburg, wo die Juso-Hochschulgruppe „die kleinste WG“ der Stadt aufgebaut hat, um den Wohnungsmangel zu thematisieren. Ein aufgebrachter Bürger konfrontiert Schäfer-Gümbel mit all dem, was die SPD aus seiner Sicht in den vergangenen Jahren falsch gemacht hat. Die beiden Männer stehen sich gegenüber, weniger als einen halben Meter voneinander entfernt, der Bürger mit erhobenem Zeigefinger. Schäfer-Gümbel weicht nicht zurück, hält argumentativ dagegen, bis der Mann sich nach einigen Minuten mit den Worten verabschiedet: „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und alles Gute.“
Inzwischen sind es nur noch 13 Tage, eine Stunde und 17 Minuten, bis das Wahlergebnis feststeht. Schäfer-Gümbel steigt wieder in seinen Wahlkampfbus. Nächste Station Baunatal. Er freut sich auf weitere Begegnungen mit Menschen. Und darauf, dass das Warten ein Ende hat. Und was kommt danach? Regiert dann nach knapp 20 Jahren wieder ein SPD-Mann in der Staatskanzlei? Der Sohn eines Lkw-Fahrers und einer Putzfrau. Es wäre eine klassich-sozialdemokratische Aufstiegsgeschichte. Und es wäre vor allem „der Lohn von viel harter Arbeit“, wie Annette Gümbel sagt.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo