Der Euro darf nicht fallen – fallen müssen die Schwätzer
Ein Appell an die Wut richtet, anders als bei "Stuttgart 21", nicht viel aus. Die Mehrheit unserer Bürger sorgt sich nicht um Europa. Sie sorgt sich wegen Europa. Sie hält die Union von Brüssel samt der gemeinsamen Währung für die Ursache ihrer Ängste. Die Obertrommler der sogenannten politischen Klasse, gleichviel welcher Couleur, sollten sich über die Verwirrung der Instinkte so wenig beklagen wie das Mediencorps: Sie haben sich und uns in die Krise geredet. Nun strampeln wir im Sumpf wie weiland der Baron Münchhausen, und wir haben den Zopf, mit dem wir uns aus dem modrigen Feuchtgebiet hätten ziehen können, womöglich selber abgeschnitten.
Vielleicht könnte uns eine Radikalkur die festgefressenen Vorurteile austreiben. Man müsste Europa für eine halbe Woche schließen. Grenzen zu, Türen und Fenster vernageln. Die Nationalstaaten, die in Karlsruhe als "Schicksalsgemeinschaften" mit Wagner-Bombast heilig gesprochen wurden, wären mit sich allein. Ein Tag und eine Nacht genügten, um die ersten Erstickungsanfälle zu provozieren. Nach einer zweiten Nacht rüttelten Millionen im Zustand kollektiver Hysterie an den Gittern.
Wann immer die Politiker Ausreden suchten (und wann brauchen sie die nicht), zeigten sie mit den dicken Zeigefingern auf die Eurokratie in Brüssel, die Verordnungswut, den Regulierungswahn. Dass die Administration in Brüssel geradezu vorbildlich schlank ist - verglichen mit den Stadtverwaltungen von Köln oder München, von Berlin nicht zu reden -, das sagt den Deutschen selten einer.
Dass die Bundes- und Landesregierungen ein Vielfaches des bürokratischen Schrottes von Kommission, Rat und Europa-Parlament produzieren: Darüber klärt unsere Bürger keiner auf. Die Journalisten gaben sich zum guten - nicht zum besten - Teil für die Multiplikation europäischer Gräuelmeldungen her - um gedruckt zu werden. "Krise" die Hauptvokabel, gebetsmühlenhaft wiederholt.
Natürlich gibt es sie, die Krise. Sie wurde von den Strategen der Spekulanten nicht nur herbeigeredet. Die Medienmacher, die es besser wissen, fraßen ihnen die Untergangsparolen aus der Hand. Sie konstatieren mit dramaturgisch vorgeschriebener Leichenbittermiene, dass eine der privaten Rating-Agenturen - von niemandem ermächtigt, von keinem auf ihre Kompetenz geprüft -, den Vereinigten Staaten ein halbes ihrer drei "A" weggeputzt hat. Das besagt nichts. China, Japan, die Scheiche, Russland, Europa können den Dollar nicht fallen lassen. Die Schuldengeber sind in der Hand der Schuldenmacher - und vice versa. Sie werden auch den Euro halten, denn sie brauchen - siehe oben - eine zweite Weltwährungsreserve.
Die Spekulanten aber setzen auf Baisse. Die Kurse fallen. Finanzkrise zweiter Akt? Auftakt einer neuen Weltwirtschaftskrise? Es wird beides nicht geben. Obama mag kein schwarzer Roosevelt sein, aber den chaotisch gespaltenen Republikanern wird er vor den Wahlen 2012 mit einer vergleichslosen online-Kampagne heimleuchten, den TeaParty-Marketenderinnen vorweg. Vielleicht schickt er ihnen Frau Merkel zur Abschreckung.
Sie scheint endlich gelernt zu haben - mit drei Jahren Verspätung -, dass Euroland eine Art Wirtschafts- und Finanzministerium braucht, in dem Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland,
später zusammen mit Polen, die Richtung weisen. Sarkozy weiß es, sein Außenminister Juppé weiß es. Steinbrück, Steinmeier, Schäuble wissen es schon lange. Merkel scheint es begriffen zu haben.
Der Euro wird nicht zerbrechen. Das Scheitern der Europäischen Union bezeugte das Versagen der regierenden Generation an der großen Aufgabe, die uns die Opfer der Vernichtungsregime und der
beiden Weltkriege hinterlassen haben: unser Europa durch Arroganz, Faulheit, Geschichtsvergessenheit verschleudert.
ist preisgekrönter Journalist und Autor. Von 1972 bis 1974 war er Redenschreiber für Willy Brandt.