Demokratie braucht Haltung!
Die Demokratie wacht auf, ein wenig zumindest. Hunderttausende haben in den vergangenen Monaten gegen Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus demonstriert, oft und immer wieder. Die Anständigen haben Gesicht gezeigt – und deutlich gemacht, wo die Mehrheit steht. Das ist für den Moment eine wunderbare Botschaft. Aber eine Strategie ist es noch nicht. Zumal verdächtig oft davon die Rede war, dass man „die Fragen verunsicherter Bürger doch verstehen“ könne, auch wenn die Antworten der Populisten falsch seien.
Dialog setzt Augenhöhe voraus
Nein: Weder die Fragen noch die Antworten dürfen so akzeptiert werden. Und auch wer süßlich „Dialog“ ankündigt, setzt auf eine falsche Strategie. Dialog setzt Augenhöhe voraus, gegenseitige Akzeptanz in aller Unterschiedlichkeit. Die kann es nicht geben gegenüber Leuten, die ausgrenzen und hetzen. Nur Klarheit hilft: Haltung. Auch gegenüber denen, die nur mitlaufen und rechtsideologisch nicht unbedingt gefestigt sind. Selbstvertrauen der Demokraten. Entschiedenheit, Eindeutigkeit. Nicht das Signal, man könne ja mal drüber reden.
Gewiss ist es so, dass die Dialoganbieter immer dort am zahlreichsten sind, wo man um Klientel fürchtet (hier bei den Konservativen) oder man vor Ort – jetzt rund um Dresden – so etwas wie eine lokale Meinungshegemonie der Gegenseite fürchtet. Oder man gutmenschlich-nachbarschaftlich reagiert, wo gutes Zureden letztlich aber naiv ist. Als ein Signal der Schwäche, das es bei demokratischen Grundfragen nicht geben darf. Wer eine Religionsgemeinschaft kulturell ausgrenzt oder die Pressefreiheit beschimpft, sollte klar spüren: Hier ist die Grenze offener staatsbürgerlicher Diskurse überschritten.
Konstruktion gesellschaftlicher Feindbilder
Die Wahrheit ist: Was sich gesellschaftlich da jetzt im Südosten der Republik äußert, ist nicht in jeder Hinsicht neu. Diesmal ist das Auftreten eher bieder und teils sogar (Vorsicht: Strategie) betont unpolitisch – und es wird jenseits klassischer Organisationen demonstriert. In anderen Fällen waren die Stimmführer verbalradikaler, ideologischer. Aber von den „Republikanern“ einst in Bayern bis hin zur AfD und der Ost-Variante Pegida läuft doch letztlich auch eine bekannte Platte.
Immer wird versucht, unter Konstruktion gesellschaftlicher Feindbilder kulturelle Retrokräfte zu sammeln. Stimmen gegen Offenheit, Liberalität, Internationalität, Modernität schlechthin. Landsmannschaftlich unterschiedlich ausgeprägt, aber immer auch mit einem rückwärtsgewandten Heimatbegriff operierend. Oft aus ländlichen oder sonst randständigen Restgesellschaften heraus befeuert. Von Menschen, die sich als Verlierer fühlen – häufig Männern, die damit auch traditionelle Rollenbilder transportieren. Und in abgelegenen Regionen eher mehr Resonanz haben als in den städtischen Modernitätszentren.
Religion darf Recht nicht ersetzen
Denen gegenüber ist es allemal sinnvoller, Stärke und Klarheit zu zeigen als Verunsicherung. Genau wie gegenüber allen, die Religionen zum Vorwand für antidemokratische Haltungen nehmen. Denn es wäre – zum Beispiel – ja geradezu eine Bestätigung für Anti-Islam-Hetzer, wenn demokratische Werte nicht in alle Richtungen gleich engagiert verteidigt würden.
Keiner Religion darf zugestanden werden, sich an die Stelle des Rechts zu setzen. Das ist das zentrale Argument dafür, darauf zu bestehen, dass die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen von der Pressefreiheit gedeckt ist. Und es ist auch richtig, wenn an den in Deutschland praktizierten Islam klare demokratische Erwartungen gestellt werden. Bekenntnisse zur Scharia haben in demokratischen Gesellschaften nichts verloren.
Da sind in Teilen des Islam Modernisierungsprozesse immer noch überfällig, die eingefordert werden müssen. Gerade weil religiöse Bekenntnisse in liberalen Gesellschaften Privatsache sind, während die Regeln des öffentlichen Zusammenlebens demokratisch bestimmt werden.
Rückkehr des Nationalpopulismus
Solche Debatten werden wahrlich nicht leichter, wenn in der öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck entsteht, sie seien letztlich doch eher ein Reflex auf die rechtspopulistische Kritik. Und ähnlich ist es mit der Diskussion über die Oberflächlichkeit und Skandalisierungstendenz des Tagesjournalismus – wenn der gleichzeitig durch „Lügenpresse“-Parolen attackiert wird. Aber genau das ist ja das Wesen einer klaren und eindeutigen Haltung in all diesen Fragen: Sie lässt sich nicht in falsche Dialoge treiben, sondern hält ihre Linie und führt das öffentliche Gespräch selbstbewusst so, wie es nötig ist.
Kein Zweifel: Hier geht es nicht um einzelne Fehlgeleitete und auch nicht um bloße regionale oder nationale Phänomene. Die Rückkehr des Nationalpopulismus als vermeintliches Bollwerk gegen die Globalisierung und die von ihr ausgehende Verunsicherung alter Milieus ist ein gesamteuropäischer Trend. Sogar in Frankreich stehen Rechtspopulisten inzwischen vor einer Chance auf die Führungsrolle. In Russland regieren sie mit Putin – und natürlich einer ganz anderen Rhetorik als im Westen, wenn auch gesellschaftspolitisch nicht unbedingt mit anderen Botschaften.
Demokraten müssen Definitionshoheit ausüben
Heimat als Identitätsanker: Darum geht es letztlich. Deshalb geht es immer auch darum, wer die Definitionshoheit für Heimat behält – und wer sie hergibt. Es ist an der Zeit, dass die Demokraten sehr offensiv und sehr klar diese Definitionshoheit selbst ausüben. Heimat in Deutschland, das bedeutet ein Leben in einem vielfältig gewordenen Land, das auch wirtschaftlich längst von seiner Weltoffenheit abhängt. Da darf es nie mehr Kompromisse geben.
Der Journalist war von 2007 bis Dezember 2014 Staatssekretär und Sprecher des Berliner Senats unter Klaus Wowereit.