Inland

Dein, mein, unser Büro

von Maicke Mackerodt · 6. Juni 2012

Hochkonzentriert sitzt Martin Herrndorf vor dem Laptop und schreibt seine Doktorarbeit. Es herrscht Ruhe. Was überraschend ist. Der BWL-Student aus dem schweizerischen St. Gallen arbeitet im Betahaus Köln, einem 500 Quadratmeter großen „Coworking Space“, zu deutsch etwa gemeinschaftlicher Arbeitsraum, in der Innenstadt. Es ist eine Art Großraumbüro mit Kaffeehaus-Atmosphäre. Telefoniert wird hier leise. Dauert das Gespräch länger, stellt man sich ans Fenster, mit Blick ins Grüne. Oder nutzt die extra dafür vorgesehene schalldichte „Skype-Box“. Vor allem Selbstständige wie Informatiker, Grafiker und Web-Designer mieten ihren Schreibtisch im Betahaus: für einen Monat, eine Woche oder nur einen Tag. Inzwischen gibt es die Gemeinschaftsbüros von Betahaus in Berlin, Hamburg und Köln. Das „Büro der Zukunft“ nennen es Trendforscher. 

Martin Herrndorf arbeitet seit Oktober im Betahaus, teilt sich Internet, Drucker, Kopierer und Büro mit bis zu 70 Frauen und Männern. Die eleganten Schreibtische sind aus schlichten weißen Holzplatten. Dazwischen stehen zum Austoben Sportgeräte wie ein Springbock oder lederbezogene Kästen. Zum Entspannen gibt es ein gemütliches Café mit frisch zubereitetem Essen. „Ich reise viel, arbeite auch gerne zu Hause. Aber zwischendurch brauche ich die kreative Atmosphäre hier. Selbst wenn es richtig voll ist, finde ich das eher inspirierend. Ich kann mit anderen reden, muss aber nicht.“

Das Ziel: Räume auf Zeit

Der Zuwachs solcher Coworking Spaces ist in den Großstädten weltweit enorm. Die Berliner Macher von club-office.com haben sich beispielsweise darauf spezialisiert, möblierte Einzelbüros, Konferenz- oder Tagungsräume auf Zeit, aber auch eine voll ausgestattete Küche an wechselnde Nutzer zu vermieten. In Zeiten, in denen Währungen wackeln und Einkommen stagnieren, scheint das Tauschen, Teilen und Leihen eine reizvolle Alternative geworden zu sein. Etwa die Büromiete nur zahlen zu müssen, so lange der Auftrag währt.

Hinzu kommt eine insgesamt geänderte Haltung zu Besitz. Nach einer Studie des Bundesumweltministeriums ist ein Drittel der Verbraucher aufgeschlossen gegenüber eigentumslosem Konsum. Für den Wuppertaler Konsum-Forscher Michael Kuhndt geht es definitiv „weg vom Hyperkonsum des letzten Jahrhunderts: Teilen wird zum Massenmarkt. Wir Konsumenten haben immer mehr Güter in immer kürzerer Zeit verbraucht, das ändert sich jetzt.“

Das Phänomen an sich ist nicht neu, zuletzt gab es Wohngemeinschaften, Mitfahrzentralen und Waschsalons. Ausschlaggebend dafür, dass sich dieses neue ökonomische Modell so rasant entwickeln kann, ist das Internet. Plattformen machen das Teilen und Tauschen überhaupt erst möglich. 3,5 Millionen Couchsurfer bieten ihr Sofa in der ganzen Welt zum Übernachten an. Über Seiten wie airbnb.de und 9flats.com werden leer stehende Zimmer oder Wohnungen angeboten. In den Offenen Werkstätten (offene-werkstaetten.org) können einfache Akku-Schrauber ausgeliehen werden, aber auch hochwertige High-Tech-Maschinen zum Schweißen, Reparieren oder Drechseln genutzt werden, teilweise sogar kostenlos.

Die Devise: Nutzen statt Besitzen

Und längst ist der Gedanke des Teilens auch in die Arbeitswelt vorgedrungen: Die Internet-Plattform Milkrun.info bringt Firmen zusammen, die ähnliche Transportstrecken nutzen, aber nichts voneinander wissen. Sie organisiert gegen Gebühr den Stückgutversand von Waren in nicht ausgelasteten LKW. Denn Fahrten zu teilen spart Geld. 

Die Trendforscherin Rachel Botsman prophezeit gar den Beginn einer neuen Ära: Nutzen statt Besitzen lautet die Devise. „Dank der sozialen Netzwerke erlebt dieses uralte menschliche Verhalten ein Comeback in einem nie da gewesenen Ausmaß“, so Botsman. Und steht mit dieser Prognose nicht allein da: Das Time Magazine kürte gemeinschaftlichen Konsum 2011 zu einer der „zehn Ideen, die die Welt verändern werden“.

Der Motor: Die Wirtschaftskrise 

Angetrieben wird der neue gesellschaftliche Trend von der wirtschaftlichen Krise. Der gemeinschaftliche Konsum schont nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die Umwelt. Über Netcycler.de können kostenlos gebrauchte Gegenstände verschenkt oder getauscht werden: Mixer gegen Hobel. Wanderschuhe gegen Kostüm. Mehr als acht Millionen Mitglieder hat das Tauschnetzwerk weltweit. 

Oder: Anstatt von Freunden borgt man sich über frents.com die Betonbohrmaschine oder den Hochdruckreiniger. Eine virtuelle Karte zeigt in der Nähe die nutzbaren Dinge: Vom Audi A4 über den Roller bis zu Büchern, alles ist gegen eine Gebühr, manchmal auch umsonst ausleihbar. Die Gründer nennen ihr Geschäftsmodell „Netzwerk für Freunde und Sachen“.

Autor*in
Maicke Mackerodt

ist Journalistin, Audio-Biographin und Coach. Sie lebt in Köln.

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