Inland

Debatte zur Sterbebegleitung: Abgeordnete ringen um Menschenwürde

Der Begriff Menschenwürde fiel häufig, aus der Bibel wurde zitiert und persönliche Leidensgeschichten offenbart: Bei der Orientierungsdebatte zur Sterbebegleitung am Donnerstag im Bundestag machten es sich die Abgeordneten nicht leicht. In einem Jahr soll über ein Gesetz abgestimmt werden.
von Yvonne Holl · 13. November 2014
Die SPD-Politikerin Carola Reimann (3. v. l.) im Gespräch während der Orientierungsdebatte zur Sterbebegleitung am Donnerstag im Bundestag. Foto: Dirk Bleicker
Die SPD-Politikerin Carola Reimann (3. v. l.) im Gespräch während der Orientierungsdebatte zur Sterbebegleitung am Donnerstag im Bundestag. Foto: Dirk Bleicker

„Heute beginnen wir mit dem vielleicht anspruchsvollsten Gesetzgebungsverfahren dieser Legislaturperiode.“ Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte seine Worte wohl gesetzt um deutlich zu machen, wie besonders die Debatte am 13. November sein würde. Es folgten: 50 Redner in vier Stunden. Ohne Zwischenfragen. Thema: Sterbebegleitung. Zwei weitere Debatten sollen noch kommen, ein Gesetz Ende 2015 beschlussfertig sein. Die Abgeordneten nehmen sich Zeit. Denn es geht um nichts Geringeres als die Frage „wie der Staat seine unaufgebbare Verpflichtung gegenüber der Menschenwürde mit dem Recht auf individuelle Selbstbestimmung vereinbart“, so Lammert.

Kein Patentrezept

Fünf Positionspapiere, meist fraktionsübergreifend formuliert, liegen dem Bundestag vor (siehe Übersicht links). Allen geht es darum, die Würde des Menschen auch beim Sterben zu bewahren. Nur wie das geht, dafür gibt es eben kein Patentrezept. Einigkeit herrscht lediglich in dem Punkt, dass die Palliativmedizin, also die nicht mehr auf Heilung, sondern auf Linderung der Leiden ausgerichtete Versorgung Todkranker, ausgebaut und das Hospizwesen gestärkt werden soll. Der Bereich ist massiv unterversorgt. Laut der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin hat höchstens ein Fünftel aller Patienten Zugang zu palliativmedizinischen Maßnahmen. Das wollen die Politiker ändern. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat mit Parteikollegen sowie den SPD-Politikern Karl Lauterbach und Hilde Mattheis Vorschläge erarbeitet. Dazu gehören der Ausbau von Hospizen auf dem Land, die gezielte Ausbildung von Pflegepersonal und mehr Geld für die Hospizpflege von den Krankenkassen.

Eine Mehrheit dafür ist wahrscheinlich, denn im Parlament herrscht Konsens, dass die Verzweiflung Sterbende dazu bringe, den Tod selbst herbeiführen zu wollen. Und dass es gelte, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, diese Verzweiflung zu mildern. Derzeit ist die Tötung auf Verlangen strafbar, die Beihilfe zum Suizid aber nicht, weder für Privatpersonen noch für Ärzte. Allerdings verbieten einige Landesärztekammern den assistierten Suizid. Mediziner, die es doch tun, werden zwar strafrechtlich nicht belangt, verlieren aber ihre Zulassung als Arzt.„Wir müssen Patienten und Ärzten mehr Rechtssicherheit geben“, fordert deshalb Carola Reimann. „Denn nur so können wir gewährleisten, dass Patienten umfassend über medizinische Alternativen informiert werden.“ Die SPD-Abgeordnete gehört zu den Unterzeichnern des Gruppenantrages „Sterben in Würde“. Demnach soll Ärzten unter strengen Vorgaben im Einzelfall gestattet sein, Patienten beim Sterben zu helfen. „Dieser Fall wird die krasse Ausnahme bleiben“, betont Reimann.

„Kein Geschrei, kein Schmerz“

Mitunterzeichner und CDU-Politiker Peter Hintze beschrieb in der Bundestagsdebatte schwere Krankheiten drastisch um zu erklären, in welchen Situationen Menschen sich Hilfe beim Sterben wünschen. „Leiden ist immer sinnlos“, sagte er. Und zitierte aus der Bibel: „Kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz wird mehr sein.“ Mitantragsteller ist Karl Lauterbach der vor allem sicherstellen will, dass Patienten alle erdenklichen Informationen über Schmerzbekämpfung und alternative Behandlungen erhalten und dass Depressionen ausgeschlossen werden. Dies sei nicht gesichert, wenn Menschen Sterbehilfevereine aufsuchten oder etwa in die Schweiz reisten, wo es lockerere rechtliche Regelungen gibt.

Die überwiegende Mehrheit der Redner im Bundestag möchte organisierte Sterbehilfe per Strafrecht verbieten. Gegen einen „Regelanspruch auf assistierten Suizid“ sprach sich Kerstin Griese (SPD) aus. Auch sie hat ein Positionspapier vorgelegt, gemeinsam mit Parteifreundin Eva Högl. „Die Antwort einer solidarischen Gesellschaft“ auf die Ängste alter Menschen dürfe nicht die Ausweitung von Sterbehilfe sein. Griese wünscht sich eine „sorgende Gesellschaft“ sowie eine „Kultur des Lebens“, die den Menschen nicht das Gefühl gibt, zur Last zu fallen. Der „Todestrank auf dem Nachttisch“ sei für sie keine Option, so Griese im Bundestag. Ähnlich argumentiert eine Gruppe von Unionspolitikern um Michael Brand: „Wir dürfen keine Türen öffnen, durch die geschwächte oder verzweifelte Menschen hindurch gehen, oder gar hindurch gezwängt werden können.“ Nicht nur Brand sorgt sich, dass eine gesetzliche Regelung alte Menschen veranlasst, zu denken, sie dürften nicht länger zur Last fallen und deshalb den Suizidwunsch formulieren. Zudem verwies Brand auf Nachbarländer wie Belgien, wo zunächst strenge Kriterien zur Sterbehilfe immer weiter ergänzt und geöffnet wurden.

Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

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