Das Internet entwickelt sich rasant und bietet viele neue Möglichkeiten. Doch mit der Leistungsfähigkeit des Netzes nehmen auch die Anforderungen an seine Nutzer zu. Das könnte teuer werden.
Seit Jahrzehnten verdoppelt sich die Leistungsfähigkeit der Informationstechnik alle 18 Monate. Die Folge: Ein Smartphone kann heute mehr als alle Computer der Mondrakete Apollo 11 zusammen. Und der Chip-Hersteller Intel meint, die Leistungsfähigkeit werde bis 2029 weiter in diesem Tempo zunehmen. Damit ließe sich – so Intel – das Wetter 14 Tage im Voraus mit der theoretisch maximalen Genauigkeit vorhersagen.
Rechenkraft setzt Phantasien frei: Politik und Wirtschaft wollen virtuelle Behördengänge und ebensolche Einkaufspassagen mit zahlreichen Argumenten durchsetzen: Virtuelles Verwalten und Einkaufen seien umweltfreundliche Innovationen, die auch zu Exportschlagern werden könnten. So sollen die Massen veranlasstwerden, sich mit der Online-Funktion im „neuen Personalausweis“ rechtsverbindlich im Netz auszuweisen – was die Bürger aber bislang boykottieren.
Semantisches Web und Netz der Dinge
Parallel dazu schafft das Netz heute schon Fakten für die Zukunft: Zum Einen transformiert sich das Internet zum „semantischen Web“. Dieses Netz kann den gespeicherten Informationen „automatisch“ eine Bedeutung zuzuweisen, um so aus dem Zusammenhang eines Textes zu „erkennen“, ob es sich bei „Kohl“ um ein Gemüse oder einen früheren Bundeskanzler handelt.
Zum Zweiten entwickelt sich das Netz zum „Internet der Dinge“. In diesem Netz verfügt rein rechnerisch jeder der 80 Millionen Deutschen über 62,5 Trillionen IP-Adressen. Damit ließe sich jede der 100 Billionen Körperzellen aller Deutschen 62 500 Mal durchnummerieren. In Zukunft könnte die Milch im Kühlschrank ihr eigenes Schlechtwerden ankündigen und selbständig eine neue Tüte bestellen, das Auto findet „autonom“ – also ohne Zutun eines Fahrers – seinen Weg und der besorgte Tourist kann per Telefon von der Alm aus prüfen, ob zuhause der Backofen ausgeschaltet ist.
Hilfloses Agieren der Entscheidungsträger
Doch mit der Größe der Systeme wächst auch der Anspruch an die Fähigkeiten derer, die die damit verbundenen Entscheidungen fällen oder darauf aufbauend Konzepte entwickeln, Software schreiben, implementieren oder nutzen. Diesem Anspruch wird das Personal nicht immer gerecht: Regierungsmitglieder hoffen auf Konzerne wie Google, falls „das Internet überlaufen“ sollte. Der Chef eines Telekommunikations-Konzerns wusste immerhin, dass er aus China digital angezapft wird, glaubt aber nicht, dass das „schlimm“ sein könnte. Jahre später ist sein Konzern pleite. Es deutet also einiges darauf hin, dass diese Personen mit einer Entscheidung über die Gesundheitskarte, die „intelligenten“ Stromnetze, die Onlinedurchsuchung oder die Vorratsdatenspeicherung überfordert sind.
Von den Informatikern wird Bildung verlangt. Bislang mussten sie keine Vorlesung zum Thema „Sicherheit“ besuchen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass dies bei Ärztinnen, Apothekern, Architektinnen, Betriebswirten, Ingenieuren, Juristinnen und ihrem jeweiligen Personal besser ist. Das könnte eine Ursache für Datenverluste sein – 90 Prozent aller Anwender-Passwörter gelten als unsicher. Hinzu kommt, dass die "datenschutzkritische Spackeria", eine Gruppierung um die Piratin Julia Schramm, „keine Macht den Datenschützern“ verlangt. Die gerade zu Ende gegangene Computermesse „Cebit“ hatte das „Datenteilen“ zum Leitthema erkoren.
„Idiotensteuer“ für Kundendaten
Das könnte teuer werden: Um im Namen und zu Lasten eines Dritten im Internet einkaufenzu gehen, braucht man nur den Namen und das Geburtsdatum der Zielperson. Geschädigte berichten, sie hätten „Zehntausende“ Euro und 800 Arbeitsstunden aufwenden müssen, um ihren guten Ruf wieder herzustellen. Grundsätzlich gilt: Je mehr Informationen über eine Zielperson vorhanden sind, desto mehr Betrug ist möglich.
Dem Bildungsniveau der Angegriffenen stehtdas der Angreifer gegenüber: Zielgericht, professionell und skrupellos ist die Datenkriminalität gefährlicher als alle anderen Kriminalitätsformen – meintInterpol: Der Dexia Bank in Belgien wurden im vergangenen Jahr Kundendaten geklaut – anschließend wurde das Geldinstitut um 150 000 Euro erpresst– andernfalls würden die Daten veröffentlicht. Statt von Erpressung zu sprechen, bevorzugen die Angreifer den Begriff „Idiotensteuer für das ungeschützte Speichern vertraulicher Daten auf einem Web-Server“. Die US-Bundespolizei gibtzu: „Wir gewinnen (den Cyberkrieg) nicht.“
Die Digitalisierung der Gesellschaft bedeutet auch, dass unsere 'kritischen Infrastrukturen' – Strom, Wasser, Gas – übers Internet betrieben werden. Das Leben hängt an der Datenleitung. Wirtschaftund Politikversuchen, mit diversen Maßnahmen, Sicherheit zu gewährleisten. Ob diese Bemühungen ausreichen, uns vor einer kriminellen Forderung wie "Geld oder Strom!" zu bewahren, ist fraglich.
ist Journalist mit dem Schwerpunkt Internetsicherheit. Er hat das Buch „Vernetzte Gesellschaft. Vernetzte Bedrohungen – Wie uns die künstliche Intelligenz herausfordert“ verfasst.