Daten-für-alle-Gesetz: „Es ist ein mutiger und neuer Ansatz“
Andrea Nahles hat kürzlich den Entwurf für ein „Daten-für-alle-Gesetz“ präsentiert. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag?
Henning Tillmann: Ich finde den Ansatz, den Andrea Nahles gewählt hat, richtig. Es ist ein mutiger und neuer Ansatz. Es gibt bislang auch keine anderen Länder, bei denen man das hätte abschreiben können, sondern es ist etwas, bei dem die SPD und Deutschland in Europa federführend nach vorne gehen würden. Man muss überlegen, wie man Solidarität auf der einen und Innovationen auf der anderen Seite im digitalen Zeitalter sichern kann. Es ist richtig, Daten, die von allen produziert werden, auch der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, damit daraus neue Innovationen entstehen können.
Sie haben in einer Expertenanhörung gesagt, dass man die beiden Ziele des Entwurfs, die Marktdominanz großer Unternehmen zu brechen und Anreize für Innovationen zu schaffen, stärker trennen sollte. Welcher der beiden Punkte ist für Sie der relevantere?
Innovationen schaffen zu können ist vielleicht etwas einfacher. Daten an sich sind aber kein Garant für Innovationen. Es kommt auf eine gute Geschäftsidee an und darauf, wie ich Daten verarbeite und was ich daraus mache. Wenn ich einfacher an Daten komme, habe ich aber einen gewissen Startvorteil, der gerade für kleinere Start-Ups hilfreich ist. Viele haben den Entwurf als Instrument interpretiert, die Marktdominanz großer Unternehmen zu brechen. Das sehe ich nicht unbedingt so. Google stellt schon jetzt viele Daten zur Verfügung. Solche Unternehmen wären also gar nicht viel schlechter gestellt. Die Frage, wie man Marktdominanz brechen und Monopole verhindern kann, ist eher eine kartellrechtliche, die mit dem „Daten-für-alle-Gesetz“ gar nicht wirklich adressiert werden kann und vielleicht auch nicht soll. Man kann aber dafür sorgen, dass aus Daten, die beispielsweise bei Industrieunternehmen oder Verkehrsbetrieben liegen, neue Geschäftsmodelle oder neue Arten der öffentlichen Daseinsvorsorge entstehen können. Wenn NGOs Zugang zu diesen Daten haben, kann man daraus etwas entwickeln, was für die Bürgerinnen und Bürger von Vorteil sein kann.
Eine der Grundintentionen dieses Vorschlags ist es auch, Innovationsanreize auf europäischer Ebene zu schaffen. Was ist dafür aus Ihrer Sicht notwendig?
Ich glaube, dass man durch die Europawahl zumindest in Deutschland eine gute Chance hat, das Thema zu positionieren. Anschließend muss man das Schritt für Schritt aufbauen und diese Idee europäisch denken. Ein solches Gesetz erst mal nur national einzuführen, bringt nichts und wäre europarechtlich wahrscheinlich auch nicht möglich. Man kann in Deutschland dafür werben, diese Idee bekannter machen und mit der Zeit weitere Länder finden, die sie unterstützen.
Gerade auf europäischer Ebene wurden in der Vergangenheit in Bezug auf Netzpolitik nicht besonders progressive Ideen diskutiert. Ist Europa vielleicht das größte Hindernis?
Es ist in der Tat richtig, dass leider sehr viele Abwehrschlachten geführt werden, weil konservative Kräfte in vielen Dingen den Takt vorgeben. Wenn man aber mit einer progressiven Idee die Deutungshoheit bekommt, kann man diesen Mechanismus umdrehen. Die Zukunft ist in Europa. Deswegen stellt sich für mich die Frage nicht, ob das mit oder ohne Europa geht. Es muss mit Europa gehen, aber man muss es mit Mut und Vehemenz nach vorne tragen.
Hat sich die SPD innenpolitisch betrachtet mit diesem Vorschlag einen kleinen Standortvorteil gegenüber den anderen Parteien erarbeitet?
Ja, auf jeden Fall. Diese Datenteilungspflicht habe ich bisher nicht bei anderen Parteien gelesen. Das ist ein innovativer Gedanke, der nach vorne geht. Die Grundrichtung stimmt. Jetzt kommt es auf den weiteren Abstimmungsprozess an, damit auch die Feinheiten passen. Die Frage der Anonymisierung ist beispielsweise essentiell und nicht einfach zu lösen. Aber ich bin sicher, man wird die Nuss knacken können. Anders als von manchen behauptet, sind auch Sensordaten oder Daten ohne jeden Personenbezug sehr interessant.
Welche weiteren Ideen wären für Sie in der Netzpolitik denkbar?
Da es gerade aktuell ist: Beim Thema Urheberrecht müssen wir überlegen, wie wir die Rechte von Urhebern schützen und für eine faire Vergütung sorgen können. Wir müssen es so machen, dass es mit den digitalen Welten auch funktioniert und dürfen nicht alte Geschäftsmodelle in die digitale Welt pressen. Man sollte zum Beispiel eine Remixschranke einführen, mit der man dafür sorgt, dass aus bestimmten Werken neue Sachen geschaffen werden können. Auch sollte es eine gewisse Bagatellgrenze geben. Die aktuell drohenden Uploadfilter sind der komplett falsche Weg: Wenn ich eine Instagram-Story mache und im Hintergrund läuft Radio mit Musik, die urheberrechtlich geschützt ist, kann es nicht sein, dass das gesperrt wird. Wir müssen auch in das Urhebervertragsrecht rein, damit sichergestellt wird, dass die Künstler vernünftig bezahlt werden, wenn Leute bei Spotify Musik hören, und das Geld eben nicht zum größten Teil bei den Labels landet.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo