Inland

Das Ziel heißt Kosten senken und Renditen erhöhen

Immer mehr Arbeiten, die früher fest angestellte Mitarbeiter erledigten, übernehmen heute Freie. Soloselbständigkeit wächst, insbesondere über digitale Plattformen für Arbeitsvermittlung. Die bieten oft wenig Sicherheit. Was das für die Gesellschaft bedeutet, erklärt Nadine Müller von der Gewerkschaft ver.di.
von Susanne Dohrn · 4. Mai 2015
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Frau Müller, verändern digitale Plattformen für Arbeitsvermittlung die wirtschaftliche Situation von Freibruflern?

Ja, denn die Bedingungen sind teilweise schlechter, als wenn Freiberufler mit Honorar- und Werkverträgen arbeiten. Bei den digitalen Plattformen gibt es oft nur allgemeine Geschäftsbedingungen, die wenig rechtliche Sicherheit bieten, insbesondere bei ausländischen Plattformen. Dann müssen schon gravierende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht oder gröbste Benachteiligungen vorliegen, um dagegen vorgehen zu können. Sollte der Betreiber der Plattform seinen Geschäftssitz in Deutschland haben, dann greift das Bürgerliche Gesetzbuch. Wir kennen zudem Fälle, in denen Soloselbstständige für ihre Arbeit nicht bezahlt wurden, z.B. weil nur der beste Beitrag genommen wurde.

Wird die Soloselbstständigkeit zunehmen?

Crowdworking- bzw. Crowdsourcing-Plattformen werden diesen Prozess beschleunigen, weil sich immer mehr Arbeiten digital verrichten lassen. Verdi hat 2014 eine Studie über die Arbeitsbedingungen in der IT-Dienstleistungsbranche gemacht und darauf hingewiesen, dass der Anteil der Soloselbstständigen bei vor allen Programmierern und IT-Services mit 14 Prozent immens höher ist als in der Gesamtwirtschaft mit 6 Prozent. Paradebeispiel für diese Entwicklung ist das US-amerikanische IT-Unternehmen IBM: So wurde Anfang 2012 bekannt, dass in Deutschland tausende Stellen abgebaut und die Arbeit zunehmend von Freiberuflern bzw. Crowdworkern erledigt werden soll.

Welche Bedeutung haben Crowdworking-Plattformen in Deutschland?

Es gibt einige Arbeitsbereiche, die stark davon betroffen sind. Am weitesten fortgeschritten ist Crowdworking im Medienbereich, wo nach einer ZEW-Umfrage 9,1 Prozent der Dienstleister solche Plattformen nutzen oder dies planen, in der Informations- und Kommunikationstechnik sind es 5,3 Prozent. In der Medienbranche haben viele Redaktionen feste Stellen abgebaut, um mit Freien weiter zu arbeiten. In der Informations- und Kommunikationsbranche gibt es ähnliche Entwicklungen. Das Ziel ist oft, Kosten zu senken und die Rendite zu erhöhen.

Verstärken die Plattformen den Druck auf die Löhne nach unten?

Sie verstärken den Lohndruck, weil es einfacher wird, eine Arbeit in Länder zu vergeben, wo die Einkommen niedriger sind. Auch der Wettbewerb unter den Freiberuflern steigt, wenn mehr von ihnen um die Aufträge im Netz konkurrieren. Und insgesamt geraten damit auch die Löhne und Arbeitsbedingungen der in den Unternehmen Beschäftigten unter Druck.

Wo stößt Crowdworking an seine Grenzen?

Crowdsourcing bringt durchaus auch Probleme für die Unternehmen mit sich: beispielsweise lassen sich die sprachlichen und kulturellen Barrieren nicht immer so leicht überwinden. Hinzu kommen die unterschiedlichen Zeitzonen und die Angst der Unternehmer, dass Wissen abfließt, wenn man Aufträge nach außen gibt. Die Integration der verschiedenen Arbeitsergebnisse sowie die Qualitätskontrolle sind ebenfalls nicht einfach. Zudem ist ein Freelancer ja nicht zu Loyalität verpflichtet wie ein festangestellter Mitarbeiter.

Welche Folgen hat es für die Sozialversicherungen, wenn die Zahl der Freiberufler als Folge des Crowdworkings weiter steigt?

Freiberuflich arbeitende Spezialisten mit hohem Einkommen haben erst einmal kein Problem. Aber die große Mehrheit der Soloselbständigen verdient wenig, zahlt deshalb wenig Steuern, muss selbst für ihre Kranken- und Rentenversicherung sorgen, was sie oft gar nicht leisten können. Freelancer sind zumeist nicht für Zeiten der Arbeitslosigkeit versichert und haben keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Solidargemeinschaft insgesamt verliert, weil Krankenkassen, Rentenversicherung und der Staat weniger Einnahmen erhalten – auch weil die Auftraggeber ungenügend in die Pflicht genommen werden.

Lässt sich die Entwicklung aufhalten?

Aufhalten wohl nicht in Gänze, aber gestalten – gemeinsam mit den Erwerbstätigen. Wir sehen, dass es Selbstständige gibt, die das gerne und freiwillig sind, weil sie darin eine Chance sehen, ihr Arbeitsleben möglichst selbstbestimmt zu gestalten. Mit Plattformen wie mediafon unterstützt ver.di ihre 30.000 Solo-selbstständigen Gewerkschaftsmitglieder und Nicht-Mitglieder. Wo Beschäftigte in die Soloselbständigkeit gedrängt und Stellen abgebaut werden sollen, treten wir der Entwicklung entgegen. So ist auch das bei IBM 2012 bekannt gewordene Vorhaben, in den nächsten Jahren in Deutschland Tausende Stellen abzubauen deshalb nicht in diesen Ausmaßen umgesetzt worden.

Was ist mit Kranken- und Rentenversicherung?

Wir setzen uns für eine bessere soziale Absicherung der Soloselbstständigen ein. Eine Möglichkeit ist, dass die Betreiber dieser Plattformen in die Pflicht genommen werden, einen gewissen Prozentsatz der Auftragssumme für Sozialversicherungsbeiträge der Soloselbständigen abzuführen. Es geht uns darum, eine sich abzeichnende Entwicklung frühzeitig mit den Beschäftigten gemeinsam im Sinne Guter Arbeit zu gestalten.

 

INFO: Lesen Sie hierzu auch das Interview mit Thomas Jajeh, der 2009 die Plattform twago gegründet hat: Crowdworking: Freiberufler-Marktplatz für Europa

 

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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