Ende März gab es im Bundestag in der SPD-Fraktion eine Expertenanhörung zur Föderalismusreform und ihre Auswirkungen auf die Bildungs- und Forschungspolitik. Was war das Ergebnis?
Die SPD-Fraktion hat zu dieser Anhörung alle Experten aus dem Bildungs- und Forschungsbereich eingeladen. Mit ihren Vorsitzenden und Präsidenten vertreten waren zum Beispiel die Deutsche
Forschungsgemeinschaft, der Wissenschaftsrat, die Leibniz-Gemeinschaft, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Bundeselternrat und die Juso-Hochschulgruppen. Die Bedenken an der Reform
waren einstimmig. Unisono gab uns die Fachwelt ein deutliches Zeichen, dass dieses Gesetz den Bundestag nicht unverändert passieren darf. Der SPD-Fraktion wurde für die Initiierung dieser
Expertenanhörung ein großes Lob ausgesprochen einher gehend mit der dringenden Bitte, standhaft zu bleiben und die Fahne des Parlaments hochzuhalten.
Was sind die wesentlichen Kritikpunkte an der Reform?
Der wesentliche Punkt ist, dass die Reform zukünftig eine Kooperation zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich ausdrücklich verbietet. Eine Förderung beispielsweise von Ganztagsschulen
wird nicht mehr möglich sein. Der neue Artikel 104 verbietet dem Bund auch jegliche Finanzierungshilfen für Schulen und Hochschulen. Ein Beispiel: Für die kommenden Jahre wird ein Anstieg der
Studentenzahl auf 2,7 Millionen erwartet, wofür die Kapazitäten der Hochschulen in keiner Weise ausreichen werden. Der Bund wird dann aber keine finanziellen Hilfen für mehr Studienplätze und mehr
Qualität in der Lehre zur Verfügung stellen dürfen. Und die meisten Länder werden die bisherigen Anteile des Bundes nicht aufbringen können.
Macht das Sinn?
Das versteht kein Mensch. Nehmen wir ein anderes Beispiel. Das Sinus-Programm. Nachdem bei deutschen Schülern eine Schwäche in Mathematik festgestellt wurde, startete der Bund mit den Ländern
ein Modellprogramm, wie Mathematik in Schulen interessanter gestaltet werden kann. Mit Erfolg. Die Leistungen der deutschen Schüler in Mathematik verbesserten sich. Würde man das gleiche nach der
Föderalismusreform vorhaben, beispielsweise die Lesekompetenz der Schüler fördern wollen, wäre das nicht mehr möglich.
Es sei denn, die Länder würden dies selbst finanzieren....
Ja, aber es wird nur sehr wenige Länder geben, die das finanzieren können. Das bedeutet, dass ein einheitlicher bundesweiter Standard nicht mehr gewährleistet ist. Von gleichen
Lebensverhältnissen und Bildungschancen kann dann keine Rede mehr sein. Genau das klagen die Fachexperten an. Es wird Länder geben, im Osten der Republik aber auch im Norden, die sich Investitionen
in ihre Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen schlicht nicht leisten können. In der Konsequenz wird es nicht nur ein Ost-Westgefälle geben, sondern auch ein Nord-Südgefälle. Die Qualität
von Bildung aber auch von Forschung wird leiden.
Auch die Gemeinschaftsinvestitionen von Bund und Ländern in die Hochschulen sollen abgeschafft werden…
Stimmt, das hat dramatische Folgen. Schon heute können bestimmte Bundesländer ihre Unikliniken kaum mehr finanzieren. Wenn jetzt aber der gemeinsame Hochschulbau abgeschafft wird, von dem die
Unikliniken besonders profitieren, wird es zu Privatisierungen von öffentlichen Einrichtungen kommen. Darunter leidet der medizinische Fortschritt und die Qualität von Forschung. Darunter leidet
auch der Innovationsstandort Deutschland. Nur als Ganzes kann er sich behaupten, das können nicht allein zwei finanzstarke Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg leisten.
Spricht das dafür, dass die Föderalismusreform nachgebessert werden muss, auch wenn es immer heißt, die Vorteile würden die Nachteile überwiegen?
Auf jeden Fall. Was ist denn das Versprechen der Reform? Dass es eine Entflechtung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern geben wird und damit Entscheidungen schneller getroffen werden
können. Aber bedenkt man, dass die Länder Abweichungsmöglichkeiten von vielen Bundesgesetzen haben sollen, könnte genau das Gegenteil eintreten. Ein Beispiel: Auch nach der Reform wird der Bund für
die Hochschulzugangsregelungen zuständig sein. Aber den Ländern wird die Möglichkeit eingeräumt, eigene Zugangsregelungen festzulegen, dann hätten wir schon mal 16 verschiedene
Hochschulzugangsvoraussetzungen. Werden jetzt auch noch die einzelnen Universitäten von ihrem Recht Gebrauch machen, gesonderte Zugangsregelungen für ihre Hochschule festzulegen, bleibt im Ende ein
einziges Durcheinander. Das führt nicht zu Bürokratieabbau und mehr Transparenz für die Bürger.
Wie steht die Fraktion zu den Nachbesserungen, gibt es einen breiten Rückhalt?
Den gibt es. Auch aus der Fachwelt und der Öffentlichkeit. Wir wollen Wettbewerb, aber zu fairen Bedingungen. Was hier durchgesetzt werden soll, nenne ich Ellbogenföderalismus, der dem Recht
des Stärkeren zur Geltung verhilft.
Interview: Vera Rosigkeit
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Vorwärts:Wissen
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Ulla Burchardt ist seit 1990 direkt gewählte Abgeordnete für Dortmund
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.