Das fordert die neue VdK-Chefin Bentele von der großen Koalition
Frau Bentele, was werden ihre wichtigsten Ziele sein im Amt der VdK-Vorsitzenden?
Zuallererst will ich mit den engagierten ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern im Sozialverband VdK gemeinsam den guten Weg fortsetzen, den unser Verband in den letzten Jahren gegangen ist. Es gab durch den VdK wichtige Anstöße und konkrete Verbesserungen im Bereich Rente, Pflege und Inklusion. Aber wir wissen auch, dass es noch viel zu tun gibt.
Zum Beispiel Pflege: Wir haben gute Pflegestärkungsgesetze, die für die Betroffenen Leistungen bereithalten, aber leider finden die Menschen vor Ort zu wenig Angebote, zum Beispiel bei der Kurzzeitpflege oder bei haushaltsnahen Dienstleistungen. Das Geld kann gar nicht abgerufen werden.
Bei der Rente werden wir um eine vollkommene Angleichung der Mütterrenten kämpfen, egal, wann Kinder geboren wurden. Wir fordern drei Jahre Kindererziehungszeiten für alle Mütter – alles andere ist ungerecht.
In der Behindertenpolitik ist eine zentrale VdK-Forderung, alle privaten Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit zu verpflichten. Allen voran im Gesundheitsbereich: Krankenhäuser, Arztpraxen, Therapeuten oder Apotheken – alle Menschen müssen diese Einrichtungen nutzen können.
Wie ungerecht geht es in Deutschland zu? Wo sehen Sie aktuell den größten Handlungsbedarf?
Trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung und einer Rekordbeschäftigungsquote ist die Armut in Deutschland angestiegen. Die Einkommens- und Vermögenszuwächse bei einigen wenigen Reichen auf der einen Seite, auf der anderen Seite stehen Reallohnverluste bei den unteren Einkommensschichten, eine ansteigende Verschuldung und fehlende soziale Mobilität. Immer mehr Menschen können von ihrer Arbeit nicht mehr leben, die steigenden Mieten und Energiekosten nicht bezahlen und müssen oft noch mit Hartz IV aufstocken.
Grundsätzlich geht es mir darum, eine sozial gerechte Gesellschaft zu schaffen – für alle Generationen und egal, welche Einschränkungen, Bildungsvoraussetzungen, Nationalitäten jemand hat. Die soziale Kluft in Deutschland ist real. Um diese zu schließen, muss es mehrere Ansätze geben.
Wir müssen in die Bildung und Ausbildung der Kinder und Jugendlichen investieren, um allen gute Startbedingungen zu ermöglichen. Und wir müssen den Menschen die Angst vor Altersarmut nehmen, also beispielsweise die gesetzliche Rente stärken. Sie ist die wichtigste Altersvorsorge für den Großteil der Bevölkerung. Und wir sollten das politische Element des sozialen Ausgleichs stärken. Das geht über unterstützende Maßnahmen wie eine Rente nach Mindesteinkommen, Freibeträge für Grundsicherungsbezieher oder ganz einfach über ein Steuersystem, das dem Staat über eine gerechte Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögen mehr sozialen Handlungsspielraum schafft.
Sie fordern einen deutlich höheren Mindestlohn. Kritiker warnen, das koste Arbeitsplätze. Was antworten Sie denen?
Schon vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gab es viele Warnungen, dass er zu massivem Arbeitsplatzabbau und großen Preissteigerungen führen würde. Schlussendlich hat sich keine bewahrheitet. Im Gegenteil hat der Mindestlohn sogar zu einem Anstieg der Beschäftigung geführt, und viele prekäre Minijobs sind in reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen umgewandelt worden. Der deutsche Mindestlohn liegt mit seiner augenblicklichen Höhe im Vergleich mit anderen westeuropäischen Staaten auf den hintersten Plätzen. Hier ist also noch viel Luft nach oben. Nur mit einem ordentlichen Mindestlohn kann man sich eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus erwirtschaften.
Bei welchen Themen wünschen Sie sich ganz besonders die Unterstützung ihrer Partei, der SPD?
Beim Thema soziale Gerechtigkeit sind die SPD und der VdK ja grundsätzlich schon nah beisammen. Bei der Rentenpolitik, etwa bei der Frage der Angleichung der Mütterrente, würde ich mir mehr Unterstützung wünschen. Und auch bei der Neuausrichtung der Steuerpolitik wünsche ich mir Mut zum Handeln.
Wie bewerten Sie den bisherigen Start der großen Koalition aus sozialpolitischer Sicht?
Der Koalitionsvertrag wird hoffentlich abgearbeitet – und zwar so, dass aus manchen Textpassagen, die bisher eher nach „Das könnte man machen“ ein „Das werden wir machen“ wird. Zum Beispiel bei der schon angesprochenen Verpflichtung von privaten Anbietern von Gütern und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit. In Österreich hat das übrigens gut funktioniert, ich verstehe deshalb die zögerliche Haltung der Bundesregierung nicht.
Außerdem finden wir es sehr bedauerlich, dass der Sozialverband VdK bisher nicht Teil der einberufenen Rentenkommission ist. Die Expertise des größten deutschen Sozialverbands darf nicht fehlen. Wir werden die Bundesregierung in ihrem Handeln kritisch begleiten und uns einmischen.
Sie sehen in der AfD eine besondere Gefahr. Wie sollte man ihr begegnen?
Als Demokratinnen und Demokraten. Abweichende Meinungen sind ja nicht verboten, aber wenn menschenrechtliche Standards in Frage gestellt werden und wenn verfassungsmäßige Grundsätze in Gefahr sind, dann müssen wir deutlich Kante zeigen. Wir sagen kategorisch „Nein“ zu fremden- und minderheitenfeindlichen Positionen. Ohne Wenn und Aber. Gerade ein Verband wie der VdK ist mit über 1,8 Millionen Mitgliedern vielfältig und hat eine starke Stimme, diese werden wir erheben für Toleranz.