Inland

"Das Flugzeug sollte gefüllt werden"

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will einen unrechtmäßig abgeschobenen Asylbewerber aus Afghanistan zurückholen. Die Anwältin und Bundestagsabgeordnete aus Stralsund Sonja Steffen (SPD) vertritt ihn vor Gericht. Eine Bestandaufnahme.
von Johanna Schmeller · 19. Juli 2018

Wie das Bundesinnenministerium am Mittwoch bekannt gab, sollen die für die Rückholung nötigen Schritte von Nasibullah S.eingeleitet werden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte Fehler des BAMF eingeräumt. Welche Fehler gab es?

Nach meiner Auffassung ging es darum, dass die Akte des Nasibullah S. nicht ordnungsgemäß bewertet wurde hinsichtlich der Zulässigkeit von Abschiebungsmaßnahmen.

Gab es vergleichbare Fälle in der Justizgeschichte?

Durch dieses Verfahren wurden zwei weitere Fälle an mich herangetragen, aber in meiner anwaltlichen Tätigkeit habe ich dergleichen noch nicht erlebt.

Ihr Mandant, ein 20-Jähriger aus Neubrandenburg, ist am 3. Juli nach Afghanistan ausgeflogen worden. Schon im vergangenen Jahr hatte Ihr Mandant gegen die Ablehnung seines Asylantrages geklagt. Warum?

Es geht in der Sache um eine konkrete Bedrohungssituation von Seiten der Taliban.

Was erwartet ihn in Afghanistan?

Der Asylantrag von Nasibullah S. stützt sich auf die Gewährung von Asyl, hilfsweise auf die Gewährung einer Flüchtlingseigenschaft, wegen einer Gefährdung mit politischem Hintergrund.

Bitte beschreiben Sie Ihren Mandanten kurz.

Nasibullah S. kam nach Deutschland Ende 2015, und zwar alleine. Hintergrund der Flucht war der Tod seines Vaters, der mutmaßlich von den Taliban getötet wurde. Er selbst fühlt sich in Afghanistan durch die Taliban ebenfalls bedroht und es liegen Gründe vor, die seine Glaubhaftigkeit unterstützen.

Als Argument für eine rigide Flüchtlingspolitik wird bisweilen von der rechten Ecke eine sogenannte „Ausländerkriminalität“ angeführt. Dass Asylsuchende, oft junge Männer, weit weniger Straftaten begehen als gleichaltrige Deutsche, ist statistisch belegt. Als Anwältin haben Sie täglich mit Menschen zu tun, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Erleben Sie denn eine signifikant höhere Kriminalität von Flüchtlingen?

Mir liegen keinerlei Informationen vor, dass mein Mandant straffällig geworden ist. Ich erkenne auch wirklich keine höhere Kriminalität von Flüchtlingen. Viele Straftatbestände haben unmittelbar mit der Situation zu tun: In den allermeisten Fällen geht es um fehlende Ausweispapiere und damit verbundene Delikte.

Ihr Mandant gehört zu den 69 Afghanen, über die Seehofer gesagt hatte: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“ Sie hatten nun – zwar dienstlich – eng mit einem dieser Menschen zu tun. Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund dieser menschlichen Begegnung die Äußerung eines deutschen Bundesinnenministers?

Die Äußerung war zynisch, wahrscheinlich auch unbedacht. Es deutet einiges darauf hin, dass es vor allem darum ging, das Flugzeug unbedingt mit einer hohen Zahl von Afghanen zu füllen und zumindest in meinem Fall wurde dadurch die sorgfältige Prüfung vernachlässigt. Ich hoffe, dass meinem Mandanten in Deutschland ein ordnungsgemäßer Abschluss des Verfahrens gewährt werden kann und dieser Vorfall dazu führt, dass zukünftig sehr sorgfältig geprüft wird, bevor man Menschen nach Afghanistan und in alle weiteren Krisen- und Gefahrgebiete der Welt zurückführt.

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