Inland

Danke Franz!

von Die Redaktion · 28. November 2007
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Der Rücktritt von Franz Müntefering als Arbeitsminister und als Vizekanzler ist nicht nur ein Verlust für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Bundesregierung, sondern auch ein Verlust für die Politik in Deutschland, denn mit ihm tritt ein ganz besonderer Charakter von der politischen Bühne ab. Es sind seine Geradlinigkeit, seine Standfestigkeit und Unerschütterlichkeit, die Respekt abnötigen, und seine besondere Gabe, komplizierte politische Entscheidungen den Menschen so zu erklären, dass sie diese verstehen, nachvollziehen und unterstützen können.



Diesem Phänomen "Münte" haben viele Jahre die Leitartikler versucht, auf die Spur zu kommen. Sie haben sich die Zähne an ihm ausgebissen. Und deshalb haben sie ihn oft als "geheimnisvoll", "unnahbar", "kühl" beschrieben. Ich, der ich mit ihm, vor allem im Wahlkampf 1998 und den dann folgenden sieben Jahren rot-grün, eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe, kann mit diesen Stereotypen nichts anfangen. Ich habe ihn anders kennen gelernt. Er ist jemand, bei dem man sich Nähe erarbeiten muss, aber wenn sie da ist, dann ist dort viel Loyalität, Verlässlichkeit und Vertrauen. Ich habe das in stürmischen Zeiten erlebt, als uns Sozialdemokraten der Wind hart entgegen blies, als wir Nein sagten zum Irak-Krieg und als wir Ja sagten zur Agenda 2010.

Das ist es, was Franz Müntefering antreibt

Vor fast dreißig Jahren haben wir uns im Bundestag zum ersten Mal getroffen. Im Jahr 1980 wurde ich in den Bundestag gewählt und dort Mitglied des Ausschusses für Raumordnung, Wohnungswesen und Städtebau. Da war Franz Müntefering bereits seit fünf Jahren Bundestagsabgeordneter und wohnungsbaupolitischer Sprecher der Fraktion. Unsere Gespräche kreisten damals fast ausschließlich um Fachthemen der Wohnungspolitik, vor allem des Mietrechts, das mich als junger Anwalt interessierte.

Weder die große Politik noch unsere Herkunft aus einfachen Verhältnissen waren Thema. Nur manchmal, da habe ich schon gemerkt, wie Franz den "Rücken grade machte", wenn andere glaubten, Geld und Macht dürften über Lebens- und Aufstiegschancen des Einzelnen entscheiden. Eins war bei Franz aber von Anfang an zu spüren: Der Kampf um Gerechtigkeit und gerechte Chancen auch für Menschen, denen es nicht so gut geht, weil sie arm, krank oder hilfebedürftig sind. Hier zu helfen, die Welt ein bisschen besser zu machen, damit alle teilhaben können am Haben und Sagen - das ist es, was ihn antreibt.

Unser Verhältnis ist geprägt von gegenseitigem Vertrauen und dem Gefühl, sich auf den anderen verlassen zu können, weil wir uns in den Grundfragen einig waren und sind. Beide wissen wir um die Bedeutung des Regierungshandelns. Wer gestalten und verändern will, braucht politische Macht. Wer diese gefährdet, handelt verantwortungslos.

Diese Erkenntnis rührt auch aus den bitteren Jahren der Opposition nach 1982. Nach den langen und unser Land so lähmenden Jahren unter Helmut Kohl war für uns beide klar: Die SPD muss wieder in die Regierungsverantwortung, wenn Deutschland eine Zukunft haben soll. Welche Chancen hatte unser Land vor 1998 in den Jahren des Stillstands vergeben! Wir alle haben dafür schwer bezahlen müssen, dass in den 90er Jahren wichtige Reformen in der Wirtschafts-, in der Sozial-, aber auch in der Gesellschaftspolitik versäumt wurden.

1998 hatten wir es endlich geschafft, stärkste Partei zu werden. Und diesen Triumph haben wir 2002 wiederholt. Zum ersten Mal in der Geschichte der SPD sind wir zweimal hintereinander stärkste Partei in Deutschland geworden. Und es hat nicht viel gefehlt, dass uns dies 2005 noch einmal gelungen wäre. Ich kann das beurteilen: Es waren die besten Wahlkämpfe der SPD. Und Franz Müntefering hat sie organisiert, in unterschiedlichen Positionen - als Bundesgeschäftsführer, als Generalsekretär und als Parteivorsitzender.

Aber es war mehr als nur Organisation. Diese Wahlkämpfe, so unterschiedlich sie auch waren, haben immer Organisation, Themen und Person miteinander verbunden. Und zwar so, dass wir unseren politischen Gegnern durchaus Angst einjagen konnten, denn Franz Müntefering ist auch ein Taktiker, und er hat einen ausgeprägten politischen Instinkt - sowohl in der Wahl der Themen als auch in der rechtzeitigen Witterung von Gefahren.

Franz hat sich nie vor der Macht gescheut

Das haben wir beide immer wieder deutlich gemacht: Wir Sozialdemokraten brauchen uns nicht zu schämen, dass wir regieren. Das ist kein "Betriebsunfall" wie die Konservativen glauben machen wollen. Ja, es war und ist immer schwierig für die SPD, gegen den Widerstand großer Teile der veröffentlichten Meinung Macht zu erlangen und Macht zu verteidigen. Aber Franz hat sich nie vor der Macht gescheut. Im Gegenteil: Er weiß, wozu man sie braucht: Um die politischen Ziele der Sozialdemokratie in konkrete Politik umzusetzen und damit die Welt besser und vor allem gerechter zu machen.

Dieses rationale Verhältnis zur politischen Macht, das ist es, was uns beide nahe gebracht hat. Und es war ein zentraler Grundstein des sozialdemokratischen Erfolgs. Wir hatten den Mut und die Kraft, gegen heftigste Widerstände unser Land zu modernisieren und an die Entwicklungen der Welt anzupassen. Franz hat sich in keinem Moment einschüchtern lassen. Im Gegenteil. Proportional zum Anschwellen des Protests ist seine Standfestigkeit gewachsen, gespeist aus der festen Überzeugung, das einzig Richtige zum Wohle der Menschen zu tun. Wir haben mit der Agenda 2010 Deutschland auf die Herausforderung der Globalisierung und der Demographie eingestellt. Im Unterschied zur Kohl-Regierung haben wir uns den Aufgaben gestellt.

Vor heftiger Kritik bist Du nicht eingeknickt

In Franz Müntefering hatte ich in dieser Phase des politischen Handelns meinen wichtigsten Verbündeten. Heute können wir mit Stolz sagen: Wir Sozialdemokraten waren es, die unsere sozialen Sicherungssysteme wieder zukunftsfest gemacht haben, nicht allein mit den Arbeitsmarktreformen, sondern zum Beispiel auch mit der Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente.

Wir Sozialdemokraten haben zudem die Wende weg von der Atomkraft hin zu regenerativen Energien und zu einer wirklichen Klimaschutzpolitik vollzogen. In der Gesellschafts-, Familien- und Bildungspolitik haben wir den konservativen Mief weggeblasen, z.B. durch Investitionen in Betreuung und Bildung, in Ganztagsschulen, durch Elterngeld und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Ebenso bei der zeitgemäßen Zuwanderungs- und Integrationspolitik, die wir begonnen haben.

In der Außenpolitik haben wir Sozialdemokraten die Verantwortung Deutschlands für Sicherheit und Frieden in reales Handeln umgesetzt - auf dem Balkan und in Afghanistan, aber eben auch durch unser Nein zum Irak-Krieg. All das haben wir gemeinsam durchgesetzt. Franz Müntefering hat als Minister, Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender der SPD dafür erfolgreich um Zustimmung und politische Mehrheiten gekämpft.

Auch deshalb sage ich heute: Danke, Franz! Du hast erkannt, dass in einer Gesellschaft, die sich jeden Tag rasant wandelt, Stillstand Rückschritt bedeutet. Du hast eine unglaubliche Wandlungsfähigkeit aus Einsicht und Überzeugung gezeigt. Für die Erkenntnis, dass ein ständiger Zuwachs an Sozialleistungen nicht mehr möglich ist, dass wir die sozialen Sicherungssysteme neu justieren müssen, damit sie auch für kommende Generationen noch halten, hast du als Sozialminister bis zuletzt hart gekämpft. Vor heftiger Kritik bist du nicht eingeknickt. Und ich bin sicher, dass sich deine Politik als richtig erweisen wird.

Deine Stimme wird in der deutschen Politik auch in Zukunft von großem Gewicht sein, denn eigentlich bist aus der Bundespolitik gar nicht wegzudenken. Die Partei und alle Sozialdemokraten, die im Lande Verantwortung tragen, können auf deinen Rat und deine Erfahrung nicht verzichten. "Jeder muss da, wo er steht, tun, was er kann." Das ist dein Motto. Und dein Rücktritt aus sehr persönlichen Gründen erklärt sich daraus. Euch, Ankepetra und Dir, wünschen wir alles Gute.

Quelle: vorwärts 12/2007-1/2008

erscheint am Samstag, 1.12. am Kiosk

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