Inland

Coronakrise: Sozialverbände fordern deutlich höhere Grundsicherung

600 statt 446 Euro – dann wäre der Hartz-IV-Regelsatz bedarfsgerecht, sagen Sozialverbände und Gewerkschaften. Sie fordern mehr finanzielle Unterstützung für Bedürftige, auch abseits der Corona-Pandemie. Rückenwind, mit dem die SPD den Koalitionspartner unter Druck setzt.
von Benedikt Dittrich · 25. Januar 2021
Armut bekämpfen, Bedürftigen helfen: Sozialverbände und Gewerkschaften fordern eine deutliche Erhöhung der Grundsicherung.
Armut bekämpfen, Bedürftigen helfen: Sozialverbände und Gewerkschaften fordern eine deutliche Erhöhung der Grundsicherung.

„Die Vorschläge von Hubertus Heil liegen auf dem Tisch“, sagt Katja Mast am Montagmorgen. Die Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion plädiert dafür, die Folgen der Coronakrise für Menschen mit geringen Einkommen abzufedern – auch durch einen finanziellen Zuschlag für Grundsicherungs-Empfänger*innen. Damit greift sie einen Aufruf von Sozialverbänden und Gewerkschaften auf, die sich erneut für eine deutliche Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes einsetzen. Für Mast ist indes klar: „Jetzt muss sich die Union bewegen.“

Gefordert wird von den Verbänden und den Gewerkschaften eine Anhebung des Regelsatzes in der Grundsicherung, der derzeit bei 446 Euro liegt. Dieser soll auf 600 Euro angehoben werden, außerdem soll es für die Dauer der Krise einen zusätzlichen Zuschlag von 100 Euro geben. Damit würden Bedürftige mindestens 700 Euro monatlich erhalten. „Arm sein ist teuer, Symbolpolitik können wir uns nicht mehr leisten“, so Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, der damit eine substanzielle Anhebung der Grundsicherung durch die Bundesregierung forderte. Unterzeichnet wurde der Aufruf unter anderem auch von ver.di, dem AWO-Bundesverband sowie kirchlichen Sozialverbänden, den Tafeln und dem Mieterbund. Insgesamt hat der Aufruf „Soforthilfe für die Armen – jetzt!“ 36 Unterstützer*innen.

Coronakrise: Bedürftige besonders belastet

Die Verbände begründen den zusätzlichen Bedarf damit, dass der gegenwärtige Regelsatz Bedürftige nicht entlaste. Auch die Anhebung zu Jahresbeginn um 14 Euro reiche nicht aus. Die weiteren Zuschüsse in der Coronakrise werden damit begründet, dass die coronabedingten Einschränkungen die Armen in der Gesellschaft besonders treffen: Die Tafeln seien geschlossen, in den Schulen falle das kostenlose Essen für Kinder aus und Schutzmasken und Desinfektionsmittel belasteten den Geldbeutel zusätzlich. „Ohne Unterstützung werden benachteiligte Kinder täglich weiter abgehängt“, warnte Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW. Deswegen müsse die Politik  jetzt handeln.

Diese Sorgen griff auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in seinen Forderungen am Freitag auf, Bedürftigen Corona-Zuschüsse zu zahlen, sowie Gutscheine für FFP2-Masken auszugeben. Im Bundesarbeitsministerium soll bereits mit Hochdruck an Konzepten gearbeitet werden, um solche Hilfen schnell und unkompliziert umzusetzen. „So schnell wie möglich“, sagte ein Sprecher des Ministeriums dazu in der Bundespressekonferenz am Montag. Ob es dazu bereits einen Entschluss in der Sitzung des Bundeskabinetts am Mittwoch geben könnte, ist derweil noch unklar. Über die Höhe der Zuschüsse müsse die Bundesregierung entscheiden, so Heil am Freitag.

„Soziales Bürgergeld“ als langfristige Perspektive

Auch für die langfristige Perspektive hatte der Sozialdemokrat eine Reform der Grundsicherung gefordert und ein „Soziales Bürgergeld“ vorgeschlagen, mit geringeren Sanktionen, besserer Unterstützung von Qualifizierung und Weiterbildung von Arbeitslosen. Ein Vorstoß, den unter anderem DGB-Vize Anja Piel als „ersten richtigen Schritt“ im „vorwärts“ gelobt hatte. Darin soll unter anderem der derzeit gültige, vereinfachte Zugang zur Grundsicherung verstetigt werden. In der aktuellen Coronakrise haben Bedürftige auch ohne tiefgreifende Vermögensprüfung Anspruch auf Grundsicherung,

Dieser vereinfachte Zugang läuft allerdings im März aus. Deswegen mahnt Heil auch in diesem Punkt zur Eile in der Bundesregierung: „Menschen sollen sich in Notsituationen nicht um eine neue Wohnung kümmern müssen, sondern um Arbeit“, rechtfertigte er das Aussetzen einer Vermögensprüfung. Es gehe ihm um pragmatische Lösungen, so Heil im Gespräch mit der „Rheinischen Post“ am Samstag weiter, außerdem koste die geplante Reform nicht viel.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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