Corona und Schule: „Der Infektionsschutz unserer Kinder muss an erster Stelle stehen.“
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Trotz hoher Zahlen bei den Corona-Neuinfektionen ist es das wichtigste Ziel von Ministerpräsident*innen und Bundesregierungen, dass die Schulen geöffnet bleiben. Ist das die richtige Entscheidung?
Als Bundeselternrat sehen wir diese Entscheidung vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Auf die Eltern käme ein ungeheurer Druck zu, wenn die Schulen erneut bundesweit für mehrere Wochen geschlossen würden. Was das bedeutet, haben wir im Frühjahr gesehen. Gleichzeitig haben wir große Sorge, ob wir den derzeitigen Kurs tatsächlich durchhalten können. Die Infektionszahlen steigen ja trotz des Teil-Lockdowns weiter, auch in den Schulen. Eine temporäre Schulschließung mit einem begleitenden digitalen Unterricht könnte aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive letztlich der bessere Weg sein.
Und danach dann wieder Unterricht wie bisher?
Das muss nicht sein. Es gibt ja viele Modelle – von versetztem Unterricht mit A- und B-Gruppen, die sich wöchentlich im Unterricht in der Schule und zuhause abwechseln, bis hin zu Lerngruppen, die komplett digital unterrichtet werden. Als Bundeselternrat verschließen wir uns solchen Vorschlägen nicht, wenn klar ist, dass sie die Infektionszahlen signifikant senken.
Sollte die Wahl solcher Modelle bundesweit einheitlich geregelt sein oder besser den Schulen nach den Gegebenheiten vor Ort überlassen werden?
So etwas sollte jede Schule für sich entscheiden können. Auf Bundesebene muss aber gleichzeitig eindeutig geregelt sein, dass Schüler*innen, die vorübergehend in solchen Modellen unterrichtet werden, später keine Nachteile haben gegenüber Schüler*innen in anderen Teilen des Landes, die weiterhin am Präsenzunterricht teilgenommen haben, weil dort die Infektionszahlen deutlich geringer waren. Das betrifft etwa das Thema Zentralabitur. Da ist die Kultusministerkonferenz gefragt und letztlich die Ministerpräsident*innen.
Am Mittwoch wollen die Ministerpräsident*innen weitere Maßnahmen im Kampf gegen das Corona-Virus beschließen. Was erwarten Sie?
Wichtig ist, dass sich die Ministerpräsident*innen und die Bundesregierung ihrer Verantwortung bewusst sind, dass – jenseits des Bildungsföderalismus – der Infektionsschutz und die Gesundheitsvorsorge unserer Kinder an erster Stelle stehen. Wenn uns die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen vernünftig erklärt wird, ziehen wir als Eltern mit. Das ist ja klar. Schulen einfach zu schließen, ohne gleichzeitig digitale Lernmöglichkeiten einzuführen und auszubauen, lehnen wir aber in jedem Fall ab. Wenn es im großen Stil zu Schulschließungen kommt, muss es gleichzeitig Konzepte geben, wie der Unterricht weiter gewährleistet werden kann.
Wurde die Zeit im Sommer genutzt, um solche Konzepte zu entwickeln?
Das ist von Schule zu Schule sehr unterschiedlich. Einzelne Schulen haben die vergangenen Monate sehr gut genutzt und mit Lehrer*innen, Schulleitungen, Eltern und zum Teil auch Schulträger sehr gute Konzepte für das digitale Lernen entwickelt. Da sind teilweise richtig tolle Labore entstanden, in denen gemeinsam mit vielen Akteur*innen Kommunikationssysteme und Lernräume erarbeitet wurden. Allerdings sind das leider Einzelfälle. Wenn man die Situation in der Bundesrepublik insgesamt betrachtet, scheint es so, dass in einigen Bundesländern nicht nur die Schüler*innen in den großen Ferien waren, sondern auch die Bildungsministerien.
Die Elternschaft scheint gespalten in die, die wollen, dass ihre Kinder möglichst normal unterrichtet werden und die, die in der Schule eine zu große Infektionsgefahr sehen. Wie lässt sich das zusammenbringen?
Eltern sind eine der heterogensten Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Kritik, die zurzeit an den Schulen und zum Umgang mit Corona geäußert wird, ist deshalb auch sehr vielfältig. Die Mehrheit der Eltern steht aber hinter den Maßnahmen, die die Politik bisher ergriffen hat. Und die Kinder nehmen die Situation ohnehin sehr viel unaufgeregter wahr als wir Eltern. Die Maske gehört für sie inzwischen ganz selbstverständlich zum Schulalltag. Abstände einzuhalten, ist da schon etwas schwieriger, zumindest bis zu einem bestimmten Alter.
Wäre eine Maskenpflicht im Unterricht für alle Jahrgänge, also auch an Grundschulen, sinnvoll?
Alle Mitglieder des Fachausschuss für Grundschulen und frühkindliche Bildung des Bundeselternrats, den ich leite, sind sich einig, dass eine Maskenpflicht im Unterricht auch in der Grundschule problemlos möglich ist. Allerdings warnen wir davor, in der Maske ein Allheilmittel zu sehen. Die Infektionszahlen sinken nicht automatisch, nur weil jede Schüler*in mit einer Maske im Unterricht sitzt. Viel entscheidender sind Corona gerechte Unterrichtsmodelle und die Nutzung digitaler Möglichkeiten.
In Berlin hat gerade die Landesdatentschutzbeauftragte einer Grundschule untersagt, eine digitale Lernplattform zu nutzen, weil sie gegen den Datenschutz verstoße. Wie bewerten Sie so einen Vorgang?
Datenschutz ist wichtig, keine Frage. Wenn er aber als Mauer vor uns steht, sodass uns die Möglichkeit der Kommunikation genommen wird, läuft etwas falsch. Ganz unabhängig von dem konkreten Fall darf der digitale Unterricht nicht gegen den Datenschutz ausgespielt werden. In manchen Bundesländern ist eine Dienst-E-Mail-Adresse für Lehrer*innen immer noch keine Selbstverständlichkeit. Da läuft die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrer*innen nur über das sogenannte Mutti-Heft, das die Schülerin oder der Schüler wie eine Umlaufmappe im Ranzen hat.
In manchen Bundesländern wird zur Eindämmung der Infektionszahlen eine Verlängerung der Weihnachtsferien ins Spiel gebracht. Der Bundeselternrat ist dafür offen. Was erhoffen Sie sich davon?
Der Ferienkalender in Deutschland ist bunter als der Flickenteppich der Fürstentümer in Zeiten der Kleinstaaterei. Jetzt starr daran festzuhalten, dass die Weihnachtsferien unbedingt so stattfinden müssen, wie sie im Kalender stehen, halten wir für falsch. Wenn sie zwei, drei Tage früher beginnen, schadet das niemandem, im Gegenteil. Für die Schüler*innen bedeutet das eine Verringerung des Risikos, sich anzustecken. Und die Schulen sowie die Kultusministerien könnten die Zeit nutzen, um über digitale Unterrichtsformen und die Bewertung von Schüler*innen während der Corona-Zeit nachzudenken.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.