Inland

Corona-Hotspot Fleischindustrie: Warum es nicht nur um Tönnies geht

Im Fokus steht die Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, doch eigentlich ist die gesamte Fleischindustrie ein Corona-Risiko. Was sich ändern muss, war Thema eines Gesprächs unter SPD-Politiker*innen im Enzkreis in Baden-Württemberg. Arbeitsminister Hubertus Heil fand dort deutliche Worte.
von Benedikt Dittrich · 14. Juli 2020
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Während in den vergangenen Tagen vor allem der Fleischbetrieb von Clemens Tönnies in den Schlagzeilen war, geriet ein ähnliches Unternehmen bei Pforzheim aus dem Blick. Dabei war „Müller-Fleisch“ ebenso ein Corona-Hotspot. Der Betrieb mit hunderten Arbeitskräften hatte bis vor wenigen Tagen ebenfalls mit einer Masseninfektion zu kämpfen. Das Unternehmen stand aufgrund seiner Arbeitsweise, Arbeitsschutz und Hygiene in der Kritik – ähnlich wie Tönnies oder „Westfleisch“ in Hamm (Westfalen) in den vergangenen Wochen.

„Müller-Fleisch“ liegt im Wahlkreis der SPD-Bundestagsabgeordneten Katja Mast. Für die stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist klar: Das System ist kaputt – und zwar nicht erst seit der Corona-Pandemie. Deswegen hat sie sich Schützenhilfe von höchster Stelle geholt: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil beteiligte sich am Montagabend digital an einer Diskussionsrunde im Enzkreis, an der neben Mast auch Landtags- sowie Kreistagsabgeordnete und weitere SPD-Kommunalpolitiker*innen aus der Region rund um Pforzheim und den Enzkreis teilnahmen.

Skandal in der Fleischindustrie keine „Lifestyle-Debatte“

„Ich kämpfe nicht gegen ein Unternehmen, sondern gegen das Geschäftsmodell einer ganzen Industrie“, betonte Katja Mast schon zu Beginn der Diskussion. Und diese sei auch keine „Lifestyle-Debatte“, sondern es gehe darum, Lebensmittel fair zu produzieren und gleichzeitig das Wohl von Arbeitnehmer*innen und Tieren im Blick zu behalten. „Das kann auch zu teurerem Fleisch führen“, räumte Mast ein, „aber teure Preise sind kein Garant für bessere Arbeitsbedingungen“. Dem pflichtete auch Hubertus Heil bei. Bessere Arbeitsbedingungen würden aus Sicht des Arbeitsministers das Fleisch gar nicht zwangsläufig teurer machen, sondern nur den Anteil der Mitverdiener*innen senken: „Irgendwer hat an der Struktur immer mitverdient.“

Mit Struktur meint der Sozialdemokrat das inzwischen undurchschaubare System aus Werksverträgen, Subunternehmertum und Leiharbeit in der Fleischindustrie – vor allem in den großen, industriell betriebenen Fleischfabriken. Eine Situation, die schon vor der Corona-Krise beklagt worden war, und gegen die die SPD schon vor Jahren vorgehen wollte, erinnerte Heil unter anderem an Initiativen seiner Vorgängerin Andrea Nahles und auch der zuständigen Gewerkschaft Nahrung – Genussmittel – Gaststätten (NGG). „Aber all diese Bemühungen wurden versucht abzuschleifen“, kritisierte Heil – bis das öffentliche Interesse an dem Thema wieder gesunken war und damit der Druck fehlte.

Arbeitsminister Heil hofft auf öffentlichen Druck

Jetzt, wo durch mangelnde Verantwortung, Kontrolle, Hygiene und Arbeitsschutz die Betriebe zu Infektionsherden des Coronavirus wurden, hofft Heil auf eine Trendwende. Und er verspricht: „Wir räumen in dem Bereich auf.“ Noch im Juli, so der Plan des Arbeitsministers, solle ein entsprechender Gesetzentwurf mit strengeren Kontrollen und einem Verbot der Werksverträge dem Kabinett vorgelegt werden. „Das ist mittlerweile der Wille der großen Koalition“, versichert Heil, der mehrmals die tatkräftige Unterstützung von Katja Mast und den Genoss*innen in der Bundestagsfraktion erwähnte. „Aber trotz der Unterstützung wird das ein harter Ritt.“

Vor Ort treibt die SPD noch ein anderes Thema um: Die finanziellen Folgen der Masseninfektion bei Müller-Fleisch gehen in die Millionen. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Birkenfeld, mitten im Enzkreis. „Die SPD-Fraktion ist sich darin einig, dass wir im Kreis dafür keine Kosten übernehmen“, sagte der SPD-Kreistagsabgeordnete Hans Vester aus dem Enzkreis. Dass die zivilrechtliche Haftung geklärt werden müsse, dem stimmte Heil zu, schräkte aber ein: „Das kann ich juristisch nicht zu Ende beurteilen.“ Den Ärger über die Vorgänge könne er aber verstehen, vor allem bei direkten Auswirkungen wie in Gütersloh, als bedingt durch die Infektionen bei Tönnies wieder ganze Landkreise in den Lockdown geschickt werden mussten. „Das bringt die Menschen auf die Palme.“ Schließlich hätten sich viele auf die Lockerungen gefreut. „Und dann kommt da ein Unternehmen, das sich nicht an die Regeln hält“, sagte der Minister mit Verweis auf die Verstöße bei Tönnies.

Arbeitsschutz und Hygiene: nur anlassbezogene Kontrollen

Doch diese Regeln müssen auch eingehalten und kontrolliert werden. Dass dies in Baden-Württemberg aber nur anlassbezogen stattfinde, also nur nach Hinweisen, ärgert wiederum Katja Mast. Sie hatte nach den Covid-19-Infektionen im Enzkreis beim zuständigen Regierungspräsidium in Karlsruhe nachgefragt und diese Auskunft erhalten. „Das ist natürlich schwierig, wenn dort Menschen prekär beschäftigt sind, kaum der deutschen Sprache mächtig sind und gar nicht ihre Rechte kennen.“ Hinzu komme: Die Landesregierung in Baden-Württemberg sei in dem ganzen Skandal bisher vollkommen abgetaucht. „Das habe ich in meiner politischen Laufbahn noch nicht erlebt“, so Mast.

Auf Bundesebene möchte Hubertus Heil indes auch dieses Detail in Angriff nehmen: Auch Mitarbeiter*innen aus anderen Ländern müssten über ihre Arbeitsrechte aufgeklärt werden – in einer Sprache, die sie verstehen können. Bei den Gewerkschaften gebe es dazu bereits die Initiative der „Fairen Mobilität“, so Heil.

Da bei dem Skandal in der Fleischindustrie vor allem ausländische Arbeitskräfte in den Fokus gerieten, die für die deutsche Fleischindustrie schuften, wurde der Arbeitsminister bei der Diskussion noch einmal besonders deutlich: „Wir dürfen nicht zulassen, dass das zu Fremdenfeindlichkeit bei uns führt.“ Andersherum werde ein Schuh draus: „Das Ansehen Deutschlands leidet darunter.“ Denn im europäischen Ausland beklage man sich über die Arbeitsbedingungen in Deutschland. Deswegen müsse auch für die Fleischindustrie gelten: Gleicher Lohn für alle, egal wo, egal für wen.

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