Contra Laschet: Warum auch Gewerkschaften 12 Euro Mindestlohn fordern
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CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat es am Wochenende noch einmal wiederholt und er wird auch nicht müde, es immer wieder zu sagen: Die Christdemokrat*innen sind gegen einen höheren Mindestlohn, wie er von der SPD, aber auch den Grünen und der Linken im Wahlkampf gefordert wird. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat immer wieder bekräftigt, dass es eine seiner ersten Aufgaben sein wird als Kanzler, den Mindestlohn bis 2022 auf 12 Euro pro Stunde anzuheben.
Dagegen laufen die Union und auch die FDP Sturm und verweisen auf die Unabhängigkeit der Tarifpartner*innen – also Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, im größeren Rahmen von entsprechenden Verbänden und Gewerkschaften vertreten. Zwischen den beiden Gruppen sollten doch Tariflöhne verhandelt werden statt von der Politik den Mindestlohn anzuheben. Damit suggerieren Laschet und seine Mitstreiter*innen: Die Politik dürfe den Verhandlungsrahmen nicht einschränken, auch um die Bedeutung der Gewerkschaften und ihrer Tarifverträge zu erhalten.
Das Problem an dieser Argumentation: Selbst die Gewerkschaften gehen da nicht mit und dafür gibt es gleich mehrere Gründe:
Mindestlohn als notwendige Untergrenze
Selbst die Gewerkschaften unterstützen den flächendeckenden Mindestlohn. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, Dachverband der großen deutschen Gewerkschaften, setzt sich auch für eine Erhöhung des Mindestlohnes auf mindestens 12 Euro ein – es ist eine zentrale Forderung in diesem Bundestagswahlkampf.
„Wir erwarten, dass die Politik eingreift, um den Mindestlohn armutsfest zu machen. Gleichzeitig braucht es Maßnahmen, um die Tarifbindung zu stärken“, argumentiert beispielsweise DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Aus Sicht von DGB, SPD und anderen ist der gegenwärtige Mindestlohn, 9,60 Euro, nämlich nicht existenzsichernd.
Tarifautonomie nicht in Gefahr
Der DGB hält einen höheren Mindestlohn für notwendig und sieht darin auch keine Gefahr für die Tarifautonomie, auf die die Gewerkschaften weiterhin pochen. Natürlich kämpfe man für anständige Löhne und Tarifverträge, heißt es. Allerdings: Vor allem in den niedrigeren Einkommensgruppen sind die Tarifbindung und auch der Organisationsgrad der Gewerkschaften oft gering, was gute Tarifabschlüsse schwierig macht. Wenn dort die Löhne aber niedrig bleiben, gefährdet das den sozialen Frieden in Deutschland – darum wissen auch die großen Gewerkschaften. Deswegen unterstützen sie staatliche Eingriffe am unteren Ende, während faire Verhandlungen und Tarifverträge mit den Arbeitgeber*innen oberhalb des Mindestlohns bevorzugt werden.
Das ist auch insofern für die Gewerkschaften unproblematisch, da ausgehandelte Tariflöhne in der Regel weit über dem angepeilten Mindestlohn-Niveau liegen. Der Abstand wäre weiterhin groß genug. Außerdem beinhalten Tarifverträge in der Regel wesentlich mehr als gute Löhne: Mehr Urlaubstage, bessere Arbeitszeiten, Weiterbildungs- und Gesundheitsangebote und vieles mehr.
Alte Debatte, alte, falsche Argumente
Als der Mindestlohn 2015 flächendeckend eingeführt wurde, gab es ähnliche Vorbehalte: Es wurde vor sinkender Beschäftigung, steigenden Preisen und unbezahlbarer, aber notwendiger Arbeit gewarnt. Mehr Arbeitslose und weniger Jobs durch den Mindestlohn – diese Horrorszenarien wurden von Arbeitgeber*innen, aber auch Union und FDP gezeichnet. Damals wie heute.
„Nichts davon ist passiert“, verdeutlichte Olaf Scholz auch bei der jüngsten Debatte im TV. Stattdessen habe es mehr Wachstum, mehr Arbeit gegeben, der Mindestlohn habe sich im Gegenteil positiv ausgewirkt, „und das wird wieder so passieren“.
Diese Argumentation teilen auch die Gewerkschaften: Stundenlöhne unter fünf Euro waren vor 2015 keine Seltenheit, rund vier Millionen Menschen hätten damals auf einen Schlag mehr Geld im Portmonnaie gehabt – teilweise bis zu 20 Prozent mehr. Eine ähnliche Lohnsteigerung könnte jetzt wieder anstehen, profitieren würden bis zu zehn Millionen Menschen davon – das unterstützt auch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung mit einer Untersuchung. Und wer mehr Geld übrig hat – so die Schlussfolgerung – kann auch mehr Geld ausgeben und so die Wirtschaft ankurbeln und so für das Wirtschaftswachstum sorgen, das sich alle Parteien, vor allem CDU/CSU und FDP, so sehr wünschen.
Keine Entmachtung der Mindestlohnkommission
Mit der Einführung des Mindestlohnes wurde auch eine Kommission begründet, die seither überprüft, ob der Mindestlohn noch angemessen ist oder angehoben werden muss. Dabei orientiert sich die Kommission an der allgemeinen Lohnentwicklung in Deutschland. Eine Anhebung auf 12 Euro würde die Empfehlung der Kommission untergraben, heißt es deswegen aus dem konservativen Lager, der sprunghafte Anstieg sei falsch.
Dem widersprechen aber ebenfalls wieder die Gewerkschaften – beispielsweise Michael Vassiliadis von der IGBCE. „Die Einstiegbasis in den Mindestlohn war mit 8,50 Euro zu niedrig, um davon zu leben und sich eine Rente aufzubauen“, argumentiert er.
Folglich ist auch die regelmäßige Anhebung zu niedrig dafür, was auch von Seiten der SPD immer wieder betont wird: Wer in Vollzeit arbeitet, dürfe niemals noch beim Amt aufstocken müssen und müsse auch im Alter noch von seiner Rente leben können. Olaf Scholz übersetzt das in: Respekt für die Lebensleistung eines jeden Menschen.