Inland

CDU-Minister lenkt auf SPD-Kurs ein: Altmaier korrigiert Stromprognose

Die SPD und Expert*innen hatten immer wieder gemahnt: Der Stromverbrauch in Deutschland wird deutlich steigen. Trotzdem hielt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lange an alten Prognosen fest. Jetzt lenkt er ein, erntet aber neue Kritik.
von Benedikt Dittrich · 13. Juli 2021
Bloß schneller drehen hilft nicht: Um den steigenden Strombedarf zu decken, müssen die Erneuerbaren Energien stärker und schneller ausgebaut werden.
Bloß schneller drehen hilft nicht: Um den steigenden Strombedarf zu decken, müssen die Erneuerbaren Energien stärker und schneller ausgebaut werden.

Klimaschutzgesetz, Änderungen beim Erneuerbaren-Energien-Gesetz, Green Deal in Europa und dann noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den langfristigen Klimazschutzzielen: In den vergangenen Jahren hat sich in Sachen Klimaschutz und Energiepolitik viel bewegt, erinnert Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Dienstag. Und es ist trotz der bevorstehenden Bundestagswahl noch lange nicht vorbei mit den Veränderungen – im Grunde beginnt die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft erst.

15 Prozent mehr Strom benötigt

Klar ist allerdings schon jetzt: Der Energiebedarf wird steigen – das sieht sich nun nicht nur das vom CDU-geführten Ministerium beauftragte Forschungsinstitut „Prognos“ so, sondern auch weitere Einrichtungen. Die steigende Elektromobilität, der Einbau von Wärmepumpen zum Heizen von Wohngebäuden, die energieintensive Produktion von CO2-neutralem Wasserstoff und vieles mehr sorgen für einen Anstieg des Strombedarfs – je nachdem, welches Institut befragt wird, bis 2030 auf 650 bis 700 Terawattstunden. Es geht um ein Plus von rund 15 Prozent.

Altmaier hatte alte Prognosen aus seinem Haus – rund 580 Terawattstunden – noch lange verteidigt. Auch noch nach der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetz Ende 2020 sowie den verschärften Klimaschutzzielen der EU im April war er noch nicht von einem deutlichen höheren Verbrauch ausgegangen. Erst im Juni lenkte er demnach ein, beauftragte „Prognos“ mit einer neuen Prognose, vieles sei zuvor noch unklar gewesen, verteidigte er den späten Auftrag am Dienstag.

Scholz spricht von „Stromlüge“

Allerdings: Schon lange vorher hatten SPD-Politiker*innen bereits kritisiert, dass die Prognosen, mit denen die Bundesregierung arbeitet und plant, überholt sind. Auch Olaf Scholz, Vizekanzler und Bundesfinanzminister, hatte mehrfach vor veralteten Zahlen gewarnt. Altmaier hatte er jüngst deswegen sogar eine „Stromlüge“ vorgeworfen – ausgerechnet beim Auftritt vor der deutschen Wirtschaft, auf dem Tag der Industrie. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup verwies darüber hinaus bei Twitter schon auf Berechnungen von Branchenverbänden aus dem Jahr 2019, die bereits damals einen deutlich höheren Stromverbrauch prognostizierten als Altmaier. Aufgrund dessen warf der Berliner Sozialdemokrat dem Bundeswirtschaftsminister nun eine unglaubwürdige Wende und Heuchelei vor der Wahl vor.

Vom prognostizierten Stromverbrauch hängt auch wirtschaftlich viel ab: Welche Stromtrassen werden benötigt, wie viele Windräder müssen gebaut werden, muss Deutschland Strom importieren, kurzum: Die gesamte Energiepolitik der kommenden Jahre und Jahrzehnte stützt sich auf diese Prognosen – und damit auch geplante Investitionen, Förderungen, Ausbauziele, mit denen letztlich auch die Industrie und Energiekonzerne arbeiten und planen.

Scholz: „Haben keine Zeit mehr zu verlieren

Dass nun auch Altmaier die Zahlen nach oben korrigierte, lobte Olaf Scholz in einer ersten Reaktion als „realistische Prognose“. Der Sozialdemokrat und Kanzlerkandidat drängte allerdings auch zur Eile: Nun müssten auch die Ausbauziele für Erneuerbare Energien massiv erhöht und Gesetze angepasst werden. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren“, so Scholz.

Punkte, die auch Altmaier am Dienstag betonte, ohne allerdings konkret zu werden. Vielmehr betonte er, dass dies die Aufgabe der kommenden Bundesregierung sei – und verwies mehrmals darauf, dass sein Ministerium jetzt die Vorarbeit für die kommenden Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl leiste. Zu konkreten Forderungen, um beispielsweise den Ausbau der Windkraft an Land zu beschleunigen, ließ er sich auch auf Nachfrage nicht ein. Vor allem Länder wie Baden-Württemberg stehen aufgrund ihrer Mindestabstandsregeln bei Windkraftanlagen und dem schleppenden Ausbau Erneuerbarer Energien in der Kritik. Altmaier versprach dabei lediglich weitere Gespräche mit den Ländern, an deren Ende man sich zusammenraufen müsse, „damit die Ziele stimmen“.

Stattdessen verwies Altmaier auf das Bundesumweltministerium von Svenja Schulze (SPD) und den Artenschutz, der mit dem Ausbau der Windkraft vor Ort immer wieder kollidiere. „Am Ende geht es aber um den Schutz einer Art, nicht dem Schutz eines Individuums“, kritisierte der Christdemokrat. Eine finale Prognose erwarte er erst im September oder Oktober.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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