Cansel Kiziltepe: Friedrichshain-Kreuzberg ist ein Gradmesser für die soziale Schieflage
Was waren Ihre Gründe in die SPD einzutreten?
Das waren die Grundwerte der SPD oder allgemein gesagt Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit. Auch die Forderungen der SPD waren für mich ein wichtiger Punkt, denn die SPD ist eine Partei, die sich stark macht für Menschen, die in der Minderheit sind, für Menschen die nicht so viel Geld haben. Ich selbst habe meinen Werdegang auch der Sozialdemokratie zu verdanken. Mein Aufstieg durch Bildung war nur durch eine sozialdemokratische Bildungspolitik möglich. Ich habe eine Ganztagsschule besucht, Bafög erhalten. Das hat die SPD durchgesetzt.
Haben Sie sich auch schon vor Ihrem Eintritt mit der SPD identifiziert haben?
Ich glaube schon, dass das schon immer ganz gut gepasst hat, bevor ich in die SPD eingetreten bin war ich bereits Gewerkschaftsmitglied und da gibt es ja durchaus Überschneidungen. Also würde ich schon sagen, dass ich diese sozialdemokratischen Werte schon immer geteilt habe. Auch in meinem VWL Studium ging es schon um ähnliche Dinge, wie etwa der Wohlstand verteilt wird.
Sie sind jetzt seid 2005 Mitglied in der SPD, was begeistert Sie heute am meisten an der SPD?
Der Markenkern der SPD ist die soziale Gerechtigkeit. Das bedeutet, dass wir Solidarität in der gesetzlichen Rente haben wollen, aber auch Steuergerechtigkeit, dass also die, die mehr verdienen auch mehr für das Gemeinwohl tun. Diese Solidarität fordern wir eigentlich in allen Bereichen ein und das ist mir auch sehr wichtig.
Als Abgeordnete des Bundestags beschließen sie Gesetzte für das ganze Land, vertreten aber auch Friedrichshain-Kreuzberg Prenzlauer Berg Ost. Würden Sie sagen, dass die Verbundenheit zu Kreuzberg für Sie immer das wichtigste bleibt?
Berlin ist meine Heimat. Ich bin in Kreuzberg geboren und aufgewachsen, habe Freunde und Familie in Kreuzberg und vertrete Kreuzberg-Friedrichshain Prenzlauer Berg Ost im Bundestag. Ich fühle mich auch immer noch sehr verbunden zu Kreuzberg und glaube auch, dass dieser Bezug für eine*n Abgeordneten sehr wichtig ist. Friedrichshain-Kreuzberg ist ein sehr spannender Bezirk auch historisch gesehen und mir ist diese Verbundenheit zu Kreuzberg sehr wichtig. Viele gesellschaftliche Herausforderungen polarisieren hier. Mein Wahlkreis ist ein Gradmesser für die soziale Schieflage.
Sie sind Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages setzen sich aber auch für faire Mieten und eine gerechte Rente für alle Menschen ein. Welches von Ihren Themen liegt Ihnen am meisten am Herzen?
Ich bin Finanzpolitikerin, deswegen setze ich mich besonders für Steuergerechtigkeit in allen Bereichen ein. Unter anderem dafür, dass auch große Unternehmen, genauso wie viele kleine Unternehmen gerecht ihre Steuer zahlen. Auch die Themen Mieten und Wohnen sind mir sehr wichtig, obwohl die Politik jetzt seit mehreren Jahren etwas tut, wirkt das nicht alles sofort und mir ist es ein Herzensthema, dass vor allem Menschen die schon lange am selben Ort leben nicht aus ihren Wohnungen verdrängt werden auf Grund von extrem hohen Mieten.
Es gab jetzt nach 2016 eine zweite Wohngeldreform. Glauben Sie, dass das jetzt ausreichend ist für die Zukunft?
Für diese Reform haben wir hart gekämpft. Der Niedriglohnsektor ist größer geworden und auch wegen den niedrigen Renten können sich viele Menschen ihren Lebensunterhalt neben den hohen Mieten kaum noch leisten. Deswegen war es längst überfällig, dass es eine zweite Wohngeldreform gibt. Natürlich ist das nur ein Baustein in der komplexen Wohnungsfrage. Wichtig für die Zukunft ist auch, dass neu gebaut werden muss, da wir in Deutschland zu wenig sozialen Wohnraum haben.
Welche Rolle spielt die geplante Wohnungslosenstatistik dabei?
Wir haben tatsächlich bisher keine Zahlen darüber, wie viele Wohnungslose es in Deutschland gibt. Um genug Geld bereitstellen zu können, ist es für uns selbstverständlich enorm wichtig zu wissen, wie hoch der Bedarf ist und deshalb haben wir uns dafür eingesetzt diese Wohnungslosenstatistik einzuführen. Das ist zwar keine konkrete Maßnahme gegen Armut und Wohnungslosigkeit, aber so wissen wir wenigstens wie hoch der Bedarf ist.
Am 16. Januar hat der Bundestag über die Neuregelung der Organspende und gegen die, auch von Ihnen präferierte, Widerspruchslösung abgestimmt. Was ist Ihre Meinung zur jetzigen Lösung?
Ich habe mich für die doppelte Widerspruchslösung ausgesprochen, weil ich der Meinung bin, dass die Zustimmungslösung an der aktuellen Situation nicht so viel ändert. In Deutschland gibt es eine zu hohe Nachfrage an Organen, die von den Organspenden in Deutschland nicht gedeckt werden kann. Deswegen importieren wir Organe aus anderen Ländern, die die doppelte Widerspruchslösung haben. Das heißt wir importieren Organe aus anderen Ländern, weil wir selber zu wenig Spenden und in anderen Ländern mehr Leute bereit sind zu spenden. Ich sehe das auch nicht als schweren Eingriff in die persönliche Freiheit, sondern halte es für sinnvoll, dass jeder Spender ist, außer er sagt, er möchte kein Spender sein. Ich wünsche mir, dass es auch mit der Zustimmungslösung funktioniert, glaube aber, dass es anders einfacher gewesen wäre.
Bis 2025 sollen die Renten im Osten auf das gleiche Niveau wie im Westen angehoben werden. Wieso passiert das erst jetzt 30 Jahre nach der Wiedervereinigung?
Wir wollten die Angleichung schon deutlich früher, nur hat sich da die CDU quergestellt. Man muss aber auch erwähnen, dass es im Osten eine Höherbewertung der Renten gab. Hätten wir also früher angefangen die Renten anzugleichen, wäre auch diese Höherbewertung weggefallen und wir hätten ein Minus oder Plus – minus Geschäft gemacht. Plakativ ist diese Diskussion also immer gut zu führen, im Detail kann man aber nicht sagen, dass es eine so große Ungerechtigkeit gibt.
hat im Januar 2020 ein Schüler-Praktikum in der Redaktion des vorwärts gemacht.