Inland

Bunte Kita-Republik Deutschland: So gelingt gute Kinderbetreuung

Die Nachfrage nach Kita-Plätzen steigt seit Jahren deutlich. Das hat Folgen für Erzieherinnen und Erzieher, für Eltern und Kinder. Beispiele aus Hessen, Berlin und Niedersachsen zeigen, wie gute Kinderbetreuung funktionieren kann – sogar kostenfrei.
von Jonas Jordan · 30. Oktober 2018
Bundesfamilienministerin Franziska Gipfel mit Kindern
Bundesfamilienministerin Franziska Gipfel mit Kindern

Wer von euch geht denn gerne in die Kita“, fragt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Alle Hände gehen hoch. Die Kinder jubeln. Offensichtlich mögen sie ihre Kita. Ihre Kita, das ist das Familienzentrum Ludwig-Uhland-Straße im hessischen Maintal, das vor wenigen Wochen als „Kita des Jahres“ ausgezeichnet wurde.

Der deutsche Kita-Preis war der Grund für einen Besuch der SPD-Politikerin, die sich persönlich über die Arbeit der prämierten Kindertagesstätte vor den Toren Frankfurts informierte. „Hier verbinden sich viele positive Dinge: eine tolle pädagogische Arbeit für die Kinder, Elternarbeit, Wirken ins ­Stadtteilzentrum hinein, kurzum eine positive Haltung zum Kind“, lobte Giffey.

Ideen aus England nach Hessen importiert

„Kein Kind darf zurückgelassen werden. Man muss die ganze Familie in diesen Prozess einbinden“, sagt die Leiterin des Familienzentrums Gabi Steltner-Merz. Diese Auffassung ist eine der Grundideen der Maintaler Einrichtung. Darüber hinaus bilden sich die Mitarbeiter der Kindertagesstätte ständig weiter, beispielsweise durch Besuche im europäischen Ausland. Aus England haben sie die Idee der Hortkonferenz mitgebracht, bei der die Kinder über verschiedene Themen diskutieren.

Geflüchtete Kinder können hier in Maintal zusammen mit Psychologen ihre Erfahrungen und teils traumatischen Erlebnisse verarbeiten. In einer Waldgruppe lernen die Mädchen und Jungen mit einer Umweltpädagogin den Umgang mit der Natur. Zugleich sieht sich das Familienzentrum im Maintaler Stadtteil Bischofsheim auch als Ort der Begegnung für die Nachbarschaft. Eltern können hier z.B. Deutsch lernen.

Integration von 140 Kindern aus 35 Nationen

Dadurch gelingt nicht nur die Integra­tion der 140 Kinder aus 35 verschiedenen Nationen, die zusammen betreut werden, sondern von ganzen Familien im Stadtteil. „Kinder können hier ein Stück weit selbst entscheiden, was sie machen wollen, ob Theater, ob Wald, ob Musik. Das wird hier zusammengeführt. Deswegen steht diese Kita beispielhaft dafür, dass überall in Deutschland Erzieherinnen und Erzieher hervorragende Arbeit leisten“, lobte Familienministerin Franziska Giffey bei der Verleihung des mit 25.000 Euro dotierten Kita-Preises.

Allerdings gibt es gerade im Kita-Bereich einen deutlichen Mangel an Fachkräften. Mehr als 300.000 Erzieherinnen und Erzieher werden bis zum Jahr 2025 fehlen, heißt es im Nationalen Bildungsbericht, der im Juni veröffentlicht wurde. 36.000 würden allein wegen der steigenden Geburtenrate gebraucht, weitere 106.000, um die zunehmende Nachfrage der Eltern zu befriedigen. In Berlin fehlen zurzeit bereits 2.000 Fachkräfte, sodass viele Kita-Plätze nicht ­belegt werden können.

Erzieherinnen auf Probe

„Der Fachkräftemangel ist eines der größten Probleme“, weiß auch Laura Benary. Sie koordiniert das Projekt „Kitas im Kiez“ im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick, das Arbeitslosen den Einstieg in den Erzieherberuf ermöglichen soll. „Wir wollen Wege finden, wie wir neue Fachkräfte für den Kita-Bereich gewinnen und sichern“, sagt Benary. Das Programm ist angelegt auf drei Monate. Am Anfang steht ein einwöchiger Workshop zur Einstimmung. Danach geht es für zehn Wochen zum Praktikum in eine Partner-Kita im Bezirk, um möglichst viel Erfahrung im Umgang mit Kindern zu sammeln. „Manch einer merkt dabei schnell, dass ihm die Arbeit mit Kindern nicht liegt“, berichtet Benary. Aber auch das gehöre eben dazu.

Während des Praktikums werden die Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer weiterhin eng betreut. „Wir reflektieren viel über die Erfahrungen in der Kita“, berichtet Laura Benary. Auch mit den Kitas stehe sie in regelmäßigem Austausch. Wer sich nach dem Praktikum für die Erzieher-Ausbildung entscheidet, wird von ihr bei der Bewerbung beraten. „Wir arbeiten dabei eng mit Kita-Trägern und Ausbildungsstätten zusammen“, sagt Benary.

Lust auf Kitas im Kiez

Zurzeit läuft der erste Durchgang des neuen Programms. Sechs Teilnehmende – darunter zwei Männer – absolvieren seit August ihre Kita-Praktika. „Zwei von ihnen haben bereits einen Ausbildungsplatz sicher“, berichtet Laura ­Benary. Eine ähnlich gute Quote hat – mit mehr Teilnehmenden – das Projekt „Zukunft Kita“, das bereits seit März 2017 im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf stattfindet, vorzuweisen. Hier haben 14 der 48 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Anschluss an das Projekt einen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz erhalten.

Und das Interesse reißt nicht ab. „Für den zweiten Durchgang von ‚Kitas im Kiez‘, der Anfang November startet, gibt es bereits 17 Interessentinnen und Interessenten. „Unser Traum ist, das Programm eines Tages berlinweit anbieten zu können“, sagt Laura Benary.

Einen Traum hatte auch Frank Schmidt, als er 2009 Bürgermeister der Gemeinde Löhnberg in Mittelhessen wurde. Die Kinderbetreuung in dem 4.400-Einwohner-Ort sollte kostenfrei sein. Zuvor hatte Schmidt für die SPD im Bundestag gesessen und schon in dieser Zeit Gutachten erstellen lassen, wie stark Kita-Gebühren die Familien belasten. Das Ergebnis: „Es sind nicht Grundsteuer oder Abwassergebühren, sondern die Betreuungsbeiträge, die drücken“, berichtet Schmidt, der selbst drei Kinder hat.

Gebührenfrei in Löhnberg

Sein Ziel nach der Amtsübernahme in Löhnberg war deshalb schnell klar: „Zum 1. Januar 2010 sollten alle Gebühren für Krippe, Kita und Schule für Kinder bis 10 Jahren fallen.“ Klar, dass das nicht ohne Widerstände ging, zumal die SPD damals noch nicht die Mehrheit im Rat stellte. „In der Gemeindevertretung ging es hoch her“, erinnert sich Schmidt. Schließlich ließen sie den Bürgermeister aber gewähren – „unter der Bedingung, dass ich jedes Jahr vorrechne, dass die Gemeinde nicht draufzahlt“.

Wie leicht ihm das fallen würde, damit hätte Frank Schmidt wahrscheinlich selbst nicht gerechnet. Doch da eine Gemeinde umso mehr Zuschüsse vom Land erhält, je mehr und je länger Kinder eine Betreuungseinrichtung besuchen, wurde die Gebührenfreiheit zum Selbstläufer. 70 Prozent der Unter-Dreijährigen und alle Drei- bis Sechs-jährigen Kinder in Löhnberg besuchen eine der beiden städtischen Kitas. Zudem wuchs der Ort seit Einführung der kostenlosen Kinderbetreuung um 200 Einwohner, während die Gemeinden im Umkreis schrumpfen. „Vor allem junge Familien ziehen zu uns, weil man hier Beruf und Familie gut unter einen Hut bringen kann“, sagt Schmidt. Die Eltern pendelten zum Arbeiten in die umliegenden Städte. „Das schafft man nur mit einer guten Kinderbetreuung.“

Weil: „Bildung muss kostenfrei sein“

Dass sechs Stunden Betreuung täglich seit dem 1. August endlich auch in ganz Hessen kostenfrei sind, sieht Frank Schmidt daher auch nur als ersten zaghaften Schritt. „Noch besser wäre, wenn die Elternbeiträge komplett wegfallen würden, wie es die SPD fordert.“ Trotzdem profitiert Löhnberg schon jetzt. Von dem zusätzlichen Geld, das die Gemeinde vom Land erhält, hat Schmidt in den Kitas ein Sekretariat eingerichtet, „um die Erzieher von Verwaltungskram zu entlasten. Auch das verbessert die Kita-Qualität“. Sozialarbeiter, Physiotherapie und kostenlosen Musikunterricht gab es vorher ohnehin schon. Als nächstes möchte Frank Schmidt an die Öffnungszeiten ran. „Zug um Zug“ sollen sie auf den Zeitraum zwischen halb sieben morgens und fünf Uhr nachmittags verlängert werden.

Auch Stephan Weil hat sich entschieden, die Kitas kostenfrei zu machen – allerdings nicht nur in ­einem einzelnen Ort, sondern im ganzen Bundesland. Mit dem Versprechen einer kostenlosen Betreuung für Kinder ab drei Jahren war er im vergangenen Jahr als Ministerpräsident und SPD-Spitzenkandidat in den vorgezogenen Landtagswahlkampf in Niedersachsen gezogen und gewann. In den Koali­tionsverhandlungen überzeugte Weil auch die CDU von seinem Vorhaben und so wurden die Kita-Gebühren zum 1. August dieses Jahres landesweit abgeschafft. „Ich halte die Gebührenfreiheit für eine hoch soziale Maßnahme“, sagt Ministerpräsident Weil. Das Argument, dass reiche Eltern von der kostenlosen Kita im selben Maße profitierten wie arme, lässt Weil nicht gelten. „Bildung muss kostenfrei sein, weil Bildung der Schlüssel zu einem zufriedenen und erfolgreichen Lebensweg jedes Einzelnen ist“, sagt er.

Niedersachsen mit guter Quote

92 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen besuchen in Niedersachsen einen Kindergarten. Auf eine Erzieherin kommen dabei 8,2 Kinder, wie der „Ländermonitor frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann-Stiftung ermittelt hat. Im Bundesdurchschnitt sind es 9,1 Kinder. Im Krippenbereich kommen auf einen Erzieher in Niedersachsen 3,8 Kinder, bundesweit sind es 4,3. Damit steht Niedersachsen zwar gut da, hat aber „auf dem Weg zu einer optimalen frühkindlichen Förderung noch Hausaufgaben zu erledigen“, wie Ministerpräsident Weil weiß.

So bekommen Erzieherinnen und Erzieher während eines Großteils ihrer zumeist vierjährigen Ausbildung kein Gehalt. „Das ist ein massiver Wettbewerbsnachteil des Erzieherberufs“, findet er. Sein Vorschlag: „Wir wollen in Niedersachsen auf absehbare Zeit möglichst schnell eine Erzieherausbildung bereithalten, für die es vom ersten Tag an eine Vergütung gibt.“ Bezahlt werden soll diese über Steuergelder. Profitieren würden davon nicht nur die Erzieherinnen und Erzieher, sondern die Gesellschaft insgesamt. Deshalb fordert Stephan Weil: „Wir werden in den kommenden Jahren nach und nach zu einer finanziellen Aufwertung der ­sozialen Berufe kommen müssen.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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