Inland

Bundesverfassungsgericht: Warum ver.di auf Amazon-Parkplatz trommeln durfte

Die Gewerkschaft ver.di darf auf den Betriebsparkplätzen von Amazon für einen Streik agitieren, wenn es die einzige Möglichkeit zur persönlichen Kontaktaufnahme mit den Beschäftigten ist. Dies hat jetzt das Bundesverfassungsgericht entschieden und eine Klage von Amazon abgelehnt.
von Christian Rath · 5. August 2020

Seit 2013 versucht ver.di (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft) vergeblich, mit dem Online-Händler Amazon in Deutschland einen Tarifvertrag abzuschließen. Da Amazon keinem Arbeitgeberverband angehört, muss die Gewerkschaft direkt mit dem Unternehmen verhandeln. Doch man kommt sich kaum näher. Amazon zahlt die Beschäftigen bisher so, wie es dem Tarifvertrag für die Logistikbranche entspricht. ver.di hält jedoch den Tarifvertrag für den Versandhandel, der bessere Löhne vorsieht, für passender. In Deutschland arbeiten in den 15 Versandzentren von Amazon rund 13.000 Festangestellte.

Mit Trommeln auf dem Parkplatz

Immer wieder versucht ver.di mit Streiks Druck auf Amazon auszuüben. So kam es Ende 2014 im Versandzentrum Kobern-Gondorf (bei Koblenz) zu zweitägigen Arbeitsniederlegungen, ebenso im September 2015 bei Amazon in Pforzheim (bei Stuttgart). Die Gewerkschaft wollte jeweils zum Schichtwechsel die arbeitswillige Mehrheit der Beschäftigten von der Teilnahme am Streik überzeugen. Auf dem jeweiligen Firmenparkplatz bauten deshalt einige Dutzend ver.di-Mitglieder Stehtische auf, teilweise gab es auch große Trommeln.

Gegen diese Aktionen wehrte sich Amazon. Man sei nicht verpflichtet, der Gewerkschaft beim Streiken zu helfen, in dem man den Betriebsparkplatz für Infostände zur Verfügung stellt. Stattdessen klagte Amazon gegen ver.di auf Unterlassung. Die Vorinstanzen urteilten unterschiedlich. Doch das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied Ende 2018 zugunsten von ver.di. Dagegen erhob das Unternehmen Verfassungsbeschwerde, die in Karlsruhe nun aber zurückgewiesen wurde. Die Verfassungsrichter konnten im BAG-Urteil keine Verletzung der Grundrechte von Amazon erkennen.

Grundgesetz garantiert Gewerkschaftsrechte

Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass hier die Rechte von Amazon und ver.di gegeneinander abgewogen werden müssten. Amazon berief sich auf seine unternehmerische Freiheit und den Schutz des Eigentums. Deshalb könne es Kundgebungen von ver.di auf seinem Parkplatz unterbinden. ver.di berief sich auf die im Grundgesetz garantierten Gewerkschaftsrechte, die so genannte Koalitionsfreiheit.

In den zwei konkreten Fällen hielt Karlsruhe es für richtig, dass ver.di an Streiktagen die beiden Firmenparkplätze von Amazon nutzen konnte. Denn es sei die einzige Möglichkeit gewesen, mit den Beschäftigten ins persönliche Gespräch zu kommen. Die Mitarbeiter kämen überwiegend mit dem Auto, parkten dann auf dem Firmenparkplatz, der direkt ans Firmengelände anschließt.

Streikrecht hat Vorrang

Zur Gewerkschaftsfreiheit gehöre es nicht nur, so Karlsruhe, eine Gewerkschaft zu gründen, einen Tarifvertrag zu fordern und dafür zu streiken, sondern auch für einen Streik zu mobilisieren. Ohne effizientes Streikrecht sei das Unternehmen der Gewerkschaft „strukturell überlegen“, den Beschäftigten bliebe dann nur das „kollektive Betteln“. Die Gewerkschaft nutze den Parkplatz also nicht widerrechtlich zur Streikmobilisierung, sondern rechtmäßig.

Die Richter sahen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es bei Auseinandersetzungen auf dem Parkplatz zu Exzessen seitens der Gewerkschafter kommen würde. Diese waren daher auch nicht verpflichtet, den Arbeitswilligen eine Gasse zum Arbeitsort freizuhalten. Diese mussten also jeweils die Gruppe der ver.di-Aktivisten durchqueren.

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