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Bundesteilhabegesetz: Ein Meilenstein in der Inklusion?

Das Bundesteilhabegesetz soll das Leben von Menschen mit Behinderung verbessern. Der Gesetzesentwurf sei gut, findet Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Kritik daran kann die SPD-Politikerin aber verstehen.
von Paul Starzmann · 19. Oktober 2016

Eine kugelsichere Weste wie aus einem Action-Film hatte Dörte Maack vor ihrem Auftritt im Willy-Brandt-Haus angelegt. Die allermeisten kennen so ein Outfit nur aus dem Fernsehen: eine schwarze Weste im Look eines Sonderkommandos – mit Taschen auf der Vorderseite, die Platz bieten für Funkgerät, Pistolenmagazin und Handgranate.

„Da brauchst du eine Schutzweste“ – das sei der Ratschlag einer Freundin gewesen, als diese erfuhr, dass Dörte Maack am Dienstag eine Veranstaltung der AG „Selbst Aktiv“ in der SPD-Parteizentrale moderieren sollte. Will heißen: Beim Thema Inklusion kann die Diskussion schon einmal hitzig werden – da kann ein wenig Selbstschutz nicht schaden.

Mehr Teilhabe und Selbstbestimmung

Die martialische Schutzweste kam selbstverständlich nicht zum Einsatz, vielmehr legte die Moderatorin Maack sie bereits zum Veranstaltungsbeginn ab. Trotzdem: Kontrovers war die Debatte zum Bundesteilhabegesetz allemal.

Das „Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung“ befinde sich derzeit in der entscheidenden Phase der parlamentarischen Beratung. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles erklärte, sie strebe eine „Finalisierung der ganzen Debatte“ innerhalb weniger Wochen an. Das neue Gesetz, so Nahles, bringe eine Reihe von Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen – auch wenn die SPD-Politikerin Kritik daran nachvollziehen könne.

„Leistungen aus einer Hand“

Nahles erklärte, das neue sogenannte Teilhabeplanverfahren sei eine „wesentliche Verbesserung für die Betroffenen“. Es geht dabei um Reha-Leistungen für Menschen mit Behinderung: Auch bei verschiedenen Zuständigkeiten – Sozialamt, Unfallkasse oder Rentenversicherung – reicht in Zukunft nur noch ein Antrag aus, um eine Überprüfung des Leistungsanspruchs in Gang zu setzen. Die „Leistungen aus einer Hand“ sparten Zeit und Geld, so Nahles.

Auch soll nach Nahles’ Plänen die sogenannte Eingliederungshilfe von der Sozialhilfe getrennt werden. Fachleistungen, die mehr Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen sollen – wie etwa eine Begleitung beim Besuch von Veranstaltungen –, werden in Zukunft von den Sachleistungen für den Lebensunterhalt getrennt. Auch das sogenannte Schonvermögen für Menschen mit Behinderung soll erhöht werden, damit etwa Betroffene weniger Geld aus der eigenen Tasche einsetzen müssen. So sollen Menschen mit Behinderung mehr Erspartes anlegen können.

Beauftrage von Bund und Ländern wollen mehr

Zufrieden sind die Interessensvertretungen der Menschen mit Handicap allerdings noch nicht mit den Plänen des Arbeitsministeriums. In vielen Punkten gehe das Gesetz zwar in die richtige Richtung, erklärten die Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen von Bund und Ländern. Allerdings fehle „die konsequente Umsetzung der von Deutschland 2009 ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention.“ So dürfe es nicht als zumutbar angesehen werden, wenn Menschen mit Behinderung gegen ihren Wunsch auf ein Wohnheim verwiesen werden. Auch blieben „Besonderheiten im Bildungsverlauf von Menschen mit Behinderung“ im neuen Gesetz unberücksichtigt. Die Folge sei zu wenig Chancengleichheit bei Bildung und Ausbildung. Kurz: Der Gesetzentwurf aus Nahles’ Ministerium gehe nicht weit genug.

Dafür hat die Arbeitsministerin Verständnis. Die Anwendung des Teilhabegesetzes werde deshalb stufenweise erfolgen – bis zum Jahre 2020. In dieser Zeit sollen die Auswirkungen der neuen Regelungen genau evaluiert werden. Es sei jedoch noch nie „ein Sozialgesetz auf einen Schlag gemacht worden“, gab Andrea Nahles zu bedenken. Sicherlich müsse in Zukunft daher noch das eine oder andere Mal nachgebessert werden. Eins aber stehe fest, sagte Nahles: „Das Gesetz kommt.“

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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