Inland

Bundestagswahl: Warum „Flüchtlinge“ das richtige Wahlkampfthema sind

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will die Flüchtlingssituation zum Wahlkampfthema machen. Das ist gut so. Die SPD muss in der Migrationspolitik Haltung und Mut zeigen gegen den Zynismus der Kanzlerin – und den Rechten von CSU bis AfD. Ein Kommentar.
von Paul Starzmann · 24. Juli 2017
placeholder

Angela Merkel macht die Demokratie kaputt. Mit Absicht. So ähnlich beschrieb Martin Schulz im Juni auf dem SPD-Bundesparteitag in Dortmund den Regierungsstil der Kanzlerin. „In Berliner Kreisen nennt man das asymmetrische Demobilisierung“, sagte er über die Wahlkampfstrategie der Union. „Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie!“

Merkels Strategie: Betäuben, einschläfern, narkotisieren

Martin Schulz hat Recht. Bei allen bedeutenden Themen schweigt die Kanzlerin, nimmt sich zurück, hält sich aus der politischen Debatte raus. Merkel vermeidet jede Diskussion. Sie will die Deutschen betäuben, einschläfern, narkotisieren.

Merkel wünscht sich, dass die Wähler zu Hause bleiben. Sie sollen nicht daran denken, dass es überall brennt auf der Welt, in Südeuropa und an den EU-Außengrenzen. Dass es Zeit für einen Wechsel ist. Sie sollen nicht darüber nachdenken, warum so viele aus Afrika und dem Nahen Osten nach Europa fliehen. Merkel verspricht lediglich, dass sich das „Flüchtlingsjahr 2015“ nicht wiederholen werde. Mehr hat sie dazu nicht zu sagen. Die Deutschen sollen sich beruhigt in den Liegestuhl legen und die Augen schließen. Vergessen sollen sie die Bilder der ertrunkenen Babys, die aufgedunsen und entstellt an Mittelmeerstränden angespült werden. Nicht nachdenken sollen die Wähler über das Elend, die Not und die endlose Gewalt auf den Fluchtrouten in Richtung Europa.

Schweigespirale: Omerta der „Unionsfamilie“

Zum Glück will SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bei Merkels Schweigespirale nicht mitmachen. Er richtet sich gegen die Omerta der „Unionsfamilie“ und warnt vor einer erneuten Verschärfung der Lage in Italien und anderswo. Deshalb will er über die Flüchtlingsthematik reden. Jetzt. Im Wahlkampf. Gut so! Die Wähler haben ein Recht darauf zu wissen, wo die Parteien in dieser Frage stehen. Wenn nicht jetzt, wann denn sonst?

Am Donnerstag wird der SPD-Chef nach Italien reisen, um sich ein Bild von der dortigen Lage zu machen. Ganz der leidenschaftliche Europäer, der Schulz ist, fordert er mehr EU-Unterstützung für Italien, wo täglich hunderte gestrandete Menschen versorgt werden müssen. Im Gegensatz zu Merkel will Schulz etwas tun gegen die humanitäre Katastrophe, die sich seit Jahren im Mittelmeer abspielt. Er weiß: Die Lage lässt sich nur entspannen, wenn Europa zusammensteht, wenn Solidarität herrscht. Solidarität mit den Menschen in Not, aber auch zwischen den Mitgliedstaaten der EU. Der SPD-Chef zeigt Haltung, während die Kanzlerin sich wegduckt.

Von der „Obergrenze“ bis zum „Schießbefehl“

Merkel bleibt bei ihrer Verweigerungshaltung, weicht der Diskussion aus. Ihr Verhalten bezeichnete Martin Schulz am Wochenende in der „Bild am Sonntag“ als „zynisch“. Mit Zynismus, muss dazu gesagt werden, kennt sich die Union bestens aus: Vor allem die CSU übt sich in Überheblichkeit gegenüber all jenen, die in Europa Schutz vor Krieg, Hunger und Armut suchen. Die selbsternannten „Christsozialen“ fordern sogar eine offizielle „Obergrenze“ der Barmherzigkeit – gegen das Grundgesetz, wohlgemerkt. Höchstens 200.000 Menschen, dann ist für die CSU Schluss mit der christlichen Nächstenliebe. Ja, „zynisch“ ist noch höflich formuliert: Die CSU ist in der Asylpolitik endgültig rechtsaußen bei der AfD angekommen. Von der „Obergrenze“ bis zum „Schießbefehl“ ist es nicht mehr weit.

Die populistischen und teils radikalen Forderungen von CSU und AfD zeigen: Es kann keine einfachen Lösungen für die angespannte Flüchtlingssituation im Süden Europas geben. Gefragt sind vielmehr Zusammenhalt und Solidarität, differenzierte Ansätze und mutiges Handeln. Zur Not müssen dann auch die Asyl-Gegner in der EU ­– wie Polen oder Ungarn – zu ihrer Pflicht gezwungen werden, so wie es Martin Schulz fordert.

Aber angesichts der tausendfachen Not nichts tun und nur zu schweigen, wie es Merkel tut, das geht gar nicht.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare