Bundestag beschließt Tarifeinheitsgesetz
Das geplante Gesetz will vermeiden, dass in einem Betrieb zwei unterschiedliche Tarifverträge gelten. Wenn es keine freiwillige Einigung zwischen den Gewerkschaften gibt, dann soll künftig der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gelten, die im Betrieb mehr Mitglieder hat. Das Gesetz sieht zwar keinen direkten Eingriff ins Streikrecht vor. Die Gesetzesbegründung geht aber davon aus, dass Arbeitsgerichte Streiks von Minderheitsgewerkschaften als unverhältnismäßig verbieten werden – da deren Tarifverträge eh keine Wirkung haben.
Das Gesetz ist trotz der zeitlichen Koinzidenz aber nicht als Intervention in den laufenden Arbeitskampf gedacht. Union und SPD haben sich schon Ende 2013 im Koalitionsvertrag auf ein Tarifeinheitsgesetz geeinigt. Die Planungen gehen sogar bis 2010 zurück, als das Bundesarbeitsgericht das bis dahin über Jahrzehnte als Richterrecht geltende Prinzip der Tarifeinheit für die Tarifpluralität aufgab.Danach gab es keinen übergeordneten Grundsatz mehr, wonach für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen könnten.
Tarifeinheitsgesetz gilt nicht rückwirkend
Das zeitliche Zusammenfallen von GDL-Arbeitskampf und Gesetzgebung hat im Vorfeld aber für Spekulationen gesorgt: Eskaliert die GDL den Bahnstreik massiv, weil sie unbedingt noch vor Inkrafttreten des Gesetzes einen Abschluss erreichen will? Verzögert die Bahn absichtlich den Tarifabschluss, um nach Inkrafttreten des Gesetzes ein Verbot weiterer GDL-Streiks zu erreichen? Ulrich Weber, Personalvorstand der Bahn, hat regelmäßig bestritten, dass es bei der Bahn solche Überlegungen gab.
Sicher ist: Wenn GDL und Bahn vor Inkrafttreten des Gesetzes einen Tarifvertrag schließen, dann bleibt er wirksam, auch wenn es einen parallelen Tarifvertrag der Eisenbahngewerkschaft EVG gibt. Das Tarifeinheitsgesetz soll keine Rückwirkung haben. Es gilt nur für Tarifverträge, die später abgeschlossen werden. Doch wann wird das Gesetz in Kraft treten? Im politischen Raum wird oft der 1. Juli als Ziel genannt. Das aber ist wenig realistisch. Am Freitag will der Bundestag das Gesetz beschließen, am 12. Juni soll der Bundesrat zustimmen. Verkündet wird das Gesetz allerdings erst nach der Unterschrift des Bundespräsidenten. Und der prüft bei verfassungsrechtlich umstrittenen Gesetzen oft mehrere Wochen oder Monate. Schon deshalb wäre es von der Bahn unvernünftig, auf das Gesetz zu warten.
Gesetz benachteiligt nicht zwingend kleine Gewerkschaften
Es ist aber auch keineswegs sicher, dass das Gesetz zu einem Streikverbot für die GDL führen würde. Zwar ist die EVG mit 200 000 Mitgliedern deutlich größer als die GDL mit ihren 34 000. Laut Gesetz kommt es aber auf die Mitgliederzahl in jedem einzelnen Betrieb an, und die Deutsche Bahn AG besteht angeblich aus rund 300 einzelnen Betrieben. In manchen könnte die GDL durchaus eine Mehrheit haben. Vielleicht darf sie schon deshalb für einen GDL-Tarifvertrag streiken. Zumindest punktuelle Solidaritätsstreiks in anderen Betrieben dürften dabei erlaubt sein. Und wo die Mehrheiten knapp oder unübersichtlich sind, ist ein Streik sicher auch nicht unverhältnismäßig. Schließlich kommt es auf die Mitgliederzahl bei Abschluss des Tarifvertrags an und in der Regel gewinnen Gewerkschaften im Lauf eines Streiks deutlich Mitglieder hinzu.
Möglicherweise erlauben die Arbeitsgerichte Streiks der GDL künftig sogar dort, wo sie klar in der Minderheit ist. Denn das Tarifeinheitsgesetz ermöglicht einer Minderheitsgewerkschaft als Ersatz für den eigenen unwirksamen Tarifvertrag, den Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft zu übernehmen. Das kann sie laut Gesetz aber nur, wenn sie bereits einen eigenen Tarifvertrag abgeschlossen hat – für den sie aber streiken können müsste, schließlich fallen Tarifverträge nicht vom Himmel.
Verfassungskonformität nicht garantiert
Es ist also noch völlig offen, welche Wirkung das Tarifeinheitsgesetz in der Praxis haben wird – ob es wirklich zu dem erwarteten Streikverbot für Kleingewerkschaften führt. Von den praktischen Folgen hängt es dann auch ab, wie das Gesetz verfassungsrechtlich eingestuft wird. Neben der GDL wird wohl eine ganze Reihe anderer Gewerkschaften das Bundesverfassungsgericht anrufen, vom Marburger Bund (Ärzte) über Cockpit (Piloten) bis hin zur großen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Den Gewerkschaften könnte nichts Besseres passieren, als wenn die Bahn das neue Gesetz nutzt, um bei den Arbeitsgerichten ein Streikverbot gegen die GDL zu beantragen. Sollte die Bahn damit durchkommen, könnte die GDL mit einem Eilantrag sofort das Bundesverfassungsgericht mobilisieren und auf ihre Rechte pochen. Es ist also paradox: Je weniger Wirkung das Tarifeinheitsgesetz in der Praxis hat, um so eher wird es als verfassungskonform durchgehen.