Bundesparteitag in Dortmund: SPD bereit für den Kampf ums Kanzleramt
„Mann, ist das heiß“, sagt Martin Schulz und blickt kurz ins Publikum. Er hat sich in Rage geredet, legt sein Sakko ab und spricht im Hemd weiter. Vor ihm die mit mehr als 5000 Besuchern voll besetzte Dortmunder Westfalenhalle.
Der Saal kocht. Seit Beginn der Rede brandet immer wieder spontaner Applaus auf. Die Menschen jubeln. Das Publikum, darunter mehr als 600 Delegierte, ist begeistert. Wer denkt, die SPD habe in den vergangenen Wochen an Kraft verloren, wird von der Stimmung auf diesem Bundesparteitag am Sonntag eines Besseren belehrt.
„Ein Anschlag auf die Demokratie!“
Schulz fährt scharfe Attacken gegen seine politischen Gegner. Die Zuhörer feiern ihn dafür. Der CDU – allen voran der Bundeskanzlerin – wirft er Missachtung der Demokratie vor. Es sei die Strategie der Union, die Wähler einzulullen und sich dem Wahlkampf zu entziehen. Merkel und die Union nähmen dadurch bewusst das Absinken der Wahlbeteiligung in Kauf, lautet Schulz’ Vorwurf. „In Berliner Kreisen nennt man das asymmetrische Demobilisierung“, sagt er. „Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie!“
Dass die Union ohne ein Rentenkonzept in die Bundestagswahl geht, dafür hat Schulz kein Verständnis. „Warum weigert sich denn die Union, ein Rentenkonzept überhaupt vorzulegen?“ fragt er. „Ich höre immer von der Union, man wolle die Rente aus dem Wahlkampf raushalten’“. Dies will der SPD-Chef den Konservativen nicht durchgehen lassen. „Die Rente ist eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit!“ betont er. Dass Merkel bei diesem Thema beharrlich schweige, belege nur ihre „Arroganz der Macht“.
Die AfD gehört nicht zu Deutschland
Diese Angriffe kommen gut an bei den Zuhörern. Schulz holt aus zu einem Rundumschlag: nicht nur gegen die Union, sondern auch gegen „die Feinde der Demokratie“, wie er die Rechtspopulisten in Deutschland und weltweit nennt. Er wendet sich direkt an Recep Tayyip Erdoğan, den türkischen Staatspräsidenten: „Kehr wieder zurück auf den Weg der Demokratie“, fordert er. Und mit Blick auf die vielen Journalisten, die derzeit in der Türkei inhaftiert sind: „Geben Sie diese Leute frei!“ Dafür bekommt Schulz mitten in seiner Rede stehende Ovationen. Die Menschen springen von ihren Sitzen auf, viele halten Schilder in die Luft, auf denen „Gemeinsam für Europa“ steht. Einige schwenken SPD-Fahnen. Schulz’ klare Worte in Richtung Ankara begeistern den Parteitag. Als hätten die Besucher nur auf jemanden gewartet, der in dieser Sache endlich Klartext redet.
Auch die rechtspopulistischen Demagogen in Deutschland bekommen ihr Fett weg in der fast eineinhalbstündigen Rede: Die AfD nennt Schulz eine „NPD-light“. Die SPD müsse dafür sorgen, dass es die Rechtspopulisten im Herbst nicht in den Bundestag schaffen, fordert Schulz und schüttelt den Kopf: „Nee, Leute, diese Partei gehört nicht zu Deutschland.“ Ähnlich deutliche Worte findet er auch mit Blick auf das Problem des Islamismus in Deutschland. „Das hier ist eine verdammt wehrhafte Demokratie“, sagt Schulz. „Das gilt für alte wie neue Nazis genauso wie für islamistische Terroristen und für alle Extremisten.“ All diese Gruppen hätten in der SPD „einen entschiedenen Gegner“. Die Botschaft: Beim Thema „Innere Sicherheit“ stehen die Sozialdemokraten der Union in nichts nach. Für die SPD sei Sicherheit auch eine soziale Frage, erklärt Schulz: „Sicherheit ist ein Grundversprechen des demokratischen Rechtsstaates und es darf kein Luxusgut sein.“
Schulz gegen Trumps NATO-Plan
An vielen Stellen wird der SPD-Chef grundsätzlich – auch das danken ihm die Anwesenden mit tosenden Applaus. Zum Beispiel, wenn er verspricht, sich in Zukunft für eine konsequente Abrüstungspolitik einzusetzen. Hier zieht er rote Linien: Der Forderung Donald Trumps an die NATO-Mitglieder, mehr Geld für die Rüstung auszugeben, erteilt Schulz eine klare Absage. Er warnt vor einem „Deutschland, das sich mitten in Europa bis an die Zähne bewaffnet“. Dabei schaut er das Publikum an. „Ich frage euch: Wollen wir das?“ Pfiffe schallen durch den Raum, einige schreien „Nein“. Schulz hat die Genossen auf seiner Seite bei der Forderung nach einem Ende der „globalen Aufrüstungsspirale“. Die Bundeswehr müsse zwar besser ausgerüstet werden als das unter CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyern aktuell der Fall sei, forderte Schulz. „Deshalb müssen wir der Arbeit der Bundeswehr unseren Respekt zollen“, sagt er. „Aber wir dürfen sie nicht zur größten Armee unseres Kontinents machen.“
Hier lobt Schulz auch den ehemaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der zuvor ebenfalls auf dem Parteitag geredet hat. Schröder sei während des Irakkriegs 2003 standhaft geblieben, als er dem US-Einmarsch in den Irak nicht folgte. Merkel, so betont Schulz, sei damals für diesen Krieg gewesen. Schulz macht klar: Der Altkanzler ist für ihn ein Vorbild im Umgang mit den USA.
Jusos wollen mit allem kämpfen, was sie haben
Nun will es Martin Schulz seinem Genossen Gerhard Schröder gleichtun und im Herbst für die SPD das Kanzleramt erobern. „Er will kämpfen um dieses Amt, weil er es will“, sagt Schröder dazu. Auch Juso-Chefin Johanna Uekermann zeigt, dass sie fest an den SPD-Kanzlerkandidat glaubt, als sie auf der Bühne steht und dessen Rede ankündigt. Zwei Politiker-Generationen sprechen sich auf diesem Parteitag für Martin Schulz aus: der Altkanzler Gerhard Schröder sowie die junge Frau Johanna Uekermann. Dabei scheint die Juso-Vorsitzende für alle Anwesenden zu sprechen, als sie sagt: „Wir kämpfen bis zum 24. September mit allem, was wir haben.“
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.