Inland

Bricht Zschäpe ihr Schweigen im NSU-Prozess?

Das Oberlandesgericht München hat den NSU-Prozess für eine Woche unterbrochen. Dem neuen Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe soll damit Gelegenheit gegeben werden, sich in die Akten einzuarbeiten. Kommt es danach zur Wende im Prozess?
von Thomas Horsmann · 8. Juli 2015

Im Münchner NSU-Prozess hat neben der Hauptangeklagten Beate Zschäpe ein neuer Anwalt Platz genommen. Der 30-jährige Mathias Grasel war zu Beginn der Woche vom Oberlandesgericht als zusätzlicher Pflichtverteidiger zugelassen worden. Der Fachanwalt für Strafrecht verstärkt auf Wunsch Zschäpes das Verteidigerteam, mit dem sie bereits seit längerer Zeit unzufrieden war.

Eine Woche Zeit für Einarbeitung in NSU-Prozess

Grasels Antrag auf eine dreiwöchige Unterbrechung des Prozesses gab Richter Manfred Götzl jedoch nicht statt. Das Gericht gewährte ihm eine Pause von einer Woche, um sich in die 216 Verhandlungstage, über 600 Aktenordner und zahlreiche Videodateien einzuarbeiten. Grasel, der nicht aus der rechten Szene stammt, zeigte sich zuversichtlich, diese Mammutaufgabe zu bewältigen und Zschäpe eine Verteidigung nach ihren Wünschen zu ermöglichen.

Bereits seit längerem gilt das Verhältnis Zschäpes zu ihren Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm gestört. Offensichtliche Fehler sind dem Anwaltstrio nicht unterlaufen. Doch im Prozess, der sich in seiner Endphase befindet, sieht es schlecht aus für Zschäpe. Aus Sicht der Hauptangeklagten scheint die Strategie des Schweigens, die ihre Anwälte ausgearbeitet haben, keinen Erfolg zu haben. Darüber hat sich offenbar ein Machtkampf entwickelt, wie die Verteidigung arbeiten soll. Angeblich will die Hauptangeklagte doch aussagen, zumindest teilweise. Seit Monaten ist die Stimmung auf der Anklagebank deshalb frostig, es wird kaum mehr gesprochen, Zschäpe blickt lustlos ins Leere, ignoriert ihre Verteidiger.

Gericht lehnte Anträge Zschäpes ab

Zweimal hat sie bereits versucht, sich von ihren Anwälten zu trennen. Beide Male lehnte der Senat ihr Ansinnen ab. Die vorgetragenen Gründe hatten aus Sicht des Gerichts jeweils zu wenig Substanz, waren nicht stichhaltig genug. Zschäpes Verteidiger wiesen zudem die Anschuldigungen zurück, sie hätten keinen Anlass für den Vertrauensentzug ihrer Mandantin gegeben und sicherten zu, auch weiterhin ihre Arbeit gewissenhaft zu erledigen. 

Beim ersten Versuch im Sommer vergangenen Jahres war Zschäpe wohl von Rechtsanwalt Hermann Borchert unterstützt worden, einem erfahrenen Münchner Strafverteidiger, der sie in zivilrechtlichen Belangen berät. Borchert ist ein Bürokollege von Grasel. Grasels Kontakt zu Zschäpe dürfte so entstanden sein. Beim zweiten Versuch konzentrierte sich Zschäpes auf Anja Sturm, zu der sie kein Vertrauen mehr habe. Damit sollte wohl ein Keil zwischen  die Anwälte getrieben werden. Doch auch dieser Versuch blieb erfolglos. Richter Götzl blieb eisern, stellte aber Grasel als vierten Pflichtverteidiger an Zschäpes Seite.

Zschäpe gesundheitlich angeschlagen

Nun hat sie also den kleinen Erfolg erzielt. Das tut ihr offensichtlich gut. Zschäpe war am letzten Verhandlungstag bester Laune. Dennoch ist sie weiterhin gesundheitlich angeschlagen, die inzwischen dreieinhalb Jahre dauernde Untersuchungshaft sind nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. Um Zschäpe zu entlasten, schränkte das Gericht vor einiger Zeit deshalb die Möglichkeit der Fotografen ein, Bilder im Gerichtssaal zu machen, und ließ zuletzt immer wieder einzelne Verhandlungstage ausfallen.

Wird Beate Zschäpe nun aussagen? Es ist kaum vorstellbar, dass Mathias Gasel ihr dazu raten könnte. Zumal er angekündigt hat, die Zusammenarbeit mit Heer, Sturm und Stahl zu suchen. Nur eine vollständige Aussage könnte ihr als Vorteil ausgelegt werden, eine Teilaussage wäre eher ein Nachteil für sie. Rätselhaft bleibt auch, was der neue Anwalt in diesem Stadium des Prozesses ändern kann. Derzeit werden im Prozess weitere Weggefährten Zschäpes und der andern Angeklagten vernommen. Verhandlungstermine sind bereits bis ins neue Jahr vergeben.

Im NSU-Prozess, der seit Mai 2013 läuft, geht es unter anderem um die Mittäterschaft bei zehn Morden und 15 Raubüberfällen, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie um schwere Brandstiftung.

Autor*in
Avatar
Thomas Horsmann

ist freier Journalist und Redakteur.

 

0 Kommentare
Noch keine Kommentare