Boomtown in Sachsen
Erst schlossen Kindergärten, später Grundschulen, danach Mittelschulen und Gymnasien. Die Bevölkerung Leipzigs schrumpfte von 511 000 im Jahr 1990 auf 437 000 im Jahr 1998. „Das war eine große Belastung für das gesellschaftliche und politische Leben in der Stadt“, erinnert sich Wolfgang Tiefensee, der in dieser schwierigen Zeit erst Schuldezernent und von 1998 bis 2005 Oberbürgermeister war. Aber was soll man machen, wenn die Zahl der Geburten rapide sinkt: von 6000 im Jahr vor der Wende auf 2300 danach? Dazu kam die Abwanderung. Wer im Westen Arbeit fand, zog fort.
Und heute? „Arbeitsplätze sind kein vorrangiges Problem mehr“, erklärt Tiefensee. Der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung von 2005 bis 2009 ist inzwischen Bundestagsabgeordneter. Natürlich für Leipzig. Und er strahlt, wenn er von seiner Stadt heute erzählt. „Leipzig ist eine aufblühende, hochinteressante Stadt, die vor allem für junge Leute attraktiv ist – vom Facharbeiter über Studenten bis zu jungen Familien.“ Mit dem Ergebnis, dass es derzeit eher zu wenig Kita-Plätze, Schulen, Erzieherinnen und Lehrer gebe. Ein Problem, an dessen Beseitigung fieberhaft gearbeitet werde. „Dass sich die Bevölkerungszahl derart sprunghaft erhöhen würde, war so nicht abzusehen.“
Warum dieser Wandel? Natürlich profitiert Leipzig, wie viele große Städte, vom Trend zurück in die Stadt. Aber das funktioniert nur, wenn das Umfeld stimmt, es Wohnungen, kulturelle Angebote und vor allem Arbeit gibt. „Wir haben versucht, mit allen Kräften die Attraktivität der Stadt zu verbessern“, erinnert sich Tiefensee. Mit Erfolg: 1996 wurde die Messe neu eröffnet, große Unternehmen siedelten sich an, wie Porsche, BMW, DHL und zuletzt Amazon.
„Viele Städte, die nach der friedlichen Revolution 1989 wieder durchgestartet sind, konnten an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg anknüpfen“, sagt Tiefensee. So auch Leipzig, denn als ehemals viertgrößte und sehr reiche Stadt Deutschlands war sie sowohl mit der Industrie und dem Maschinenbau sowie ihrer Stellung als Verlagshauptstadt und Universitätsstadt, mit dem Gewandhausorchester und der Oper als auch dem „selbstbewussten stolzen Bürgertum“ auch nach 1990 im Vorteil.