Inland

Blue Card- Morgengabe für die Wirtschaft

von Ursula Engelen-Kefer · 9. Januar 2012

Zum Jahreswechsel hat die Bundesregierung der Wirtschaft eine Morgengabe überbracht: die „Blue Card“ zur erleichterten Anwerbung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland außerhalb der Europäischen Union (EU). Die Expertise dazu kam von der unabhängigen und parteiübergreifenden „Hochrangigen Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung“.

Sie arbeitete im „großkoalitionären“ Parteiproporz unter der Leitung des ehemaligen „Generationenministers“ von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU) und Dr. Peter Struck, vormaliger Fraktionsvorsitzender der SPD und derzeitiger Vorsitzender der Friedrich Ebert Stiftung. Initiiert wurde diese Kommission von wirtschaftsnahen Stiftungen: Mercator Freudenberg Stiftung, Körber-Stiftung, Vodafone Stiftung Deutschland. Unterstützung erfuhr sie von der Robert Bosch Stiftung mit begleitenden Studien. Ihre Aufgabe war es, „durch eine Verbesserung der beruflichen Chancen der Menschen in Inland sowie gesteuerte Zuwanderung einen Beitrag zur Wohlstandssicherung zu leisten“. 

Die Empfehlungen zur Gestaltung der Zuwanderung aus Mitgliedsländern der Europäischen Union sowie aus Drittstaaten sollten „Impulse“ für eine Reform der Zuwanderungsregelungen in der Bundesrepublik geben. Kaum war der Bericht fertig gestellt, hat das Bundeskabinett die Anpassung der gesetzlichen Zuwanderungsregelungen bereits am 14. Dezember beschlossen. Wie durch öffentliche Äußerungen innerhalb und außerhalb der Konsensgruppe vorbereitet, geht es dabei ausschließlich um die Erleichterung der Zuwanderung aus Drittstaaten. Die „Gehaltsschwelle“ für Fachkräfte aus dem Ausland wird von bisher 66 000 Euro auf 48 000 Euro Jahresgehalt herabgesetzt, in Mangelberufen wie Ingenieurtätigkeiten und Ärzten sogar auf 33 000 Euro. In diesen Fällen entfällt die sonst erforderliche „Vorrangprüfung“ der Bundesagentur für Arbeit (BA), wonach ein Ausländer nur beschäftigt werden darf, wenn kein Inländer oder EU-Ausländer zur Verfügung steht.  Erleichtert wird auch die Beschäftigung von ausländischen Absolventen deutscher Hochschulen.
 
Fachkräftemangel hausgemacht
Wie nicht anders zu erwarten, mahnte die Wirtschaft schon vor Verabschiedung der „Blue Card“ weitere Schritte zur Lockerung der Zuwanderungen an. Seit Jahren vergeht kaum ein Tag, in dem nicht lautstark über den Fachkräftemangel geklagt wird.  Dabei kann trotz der „demographischen Zeitbombe“- Rückgang von Bevölkerung und Erwerbstätigen sowie Verschiebung der Altersstrukturen nach oben - keinesfalls von einer generellen flächendeckenden Arbeits- und Fachkräftelücke ausgegangen werden. Zudem stehen wir am Beginn einer Wirtschaftsrezession, auch wenn bislang keine größeren negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt erwartet werden. Die vollmundigen Erklärungen des vormaligen Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle, jetzt Fraktionsvorsitzender der FDP,  wir befänden uns auf der Straße in die Vollbeschäftigung sind jedoch inzwischen verstummt.

Es gibt auch bei dem erheblichen Zuwachs der Beschäftigung immer noch eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit, die bei Menschen in höherem Lebensalter oder mit Behinderungen erneut drastisch ansteigt. Zudem sind der Anstieg der Beschäftigung und der Abbau der Arbeitslosigkeit um einen hohen Preis für immer mehr Menschen in Deutschland erkauft. Beim Anstieg der Löhne liegt die Bundesrepublik seit vielen Jahren im EU Vergleich an unterer Stelle, in einigen der Krisenjahre gingen die Nettolöhne sogar zurück und auch in der seit 2010 anhaltenden guten Konjunktur- und Beschäftigungsphase konnten die Löhne nicht mit den Preissteigerungen mithalten. Die Bundesrepublik hält inzwischen einen traurigen Rekord bei der Entwicklung und dem Niveau der Niedriglohnsektoren bis zur Armut bei Arbeit sowie den immer größer werdenden Abständen der unteren zu den oberen Einkommensgruppen.

Der Arbeits- und Fachkräftemangel in einzelnen Berufsbereichen ist zudem durch mangelnde eigene Ausbildung – wie z.B. bei speziellen technischen Berufen-  sowie unzumutbare Arbeitsbedingungen – vor allem in den Gesundheits- und Pflegeberufen hausgemacht. Die vielfach beschworene Fachkräftelücke muss daher zuerst durch eigene Maßnahmen in der Bundesrepublik weitgehend geschlossen werden. Dringend erforderlich sind die Verbesserung der Beschäftigungschancen  von Frauen und Älteren sowie die Förderung des lebenslangen Lernens auf breiter Basis.

Im Rahmen der UN Konvention für Behinderte ist die Inklusion dieser Menschen in Bildung, Aus- und Weiterbildung sowie humane qualifikationsgerechte Arbeit zu fördern. Gerade hier sind erhebliche Qualifikationsreserven, die zur Deckung des Fachkräftebedarfs der nächsten Jahre beitragen können und müssen. Ähnliches gilt für die Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, das erhebliche Ausmaß an Beschäftigung weit unterhalb des Qualifikationsniveaus sowie Arbeitslosigkeit schnellstmöglich zu beenden.

Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik gefordert
Formal korrekt richten sich die Empfehlungen der Hochrangigen Konsensgruppe zur Fachkräftesicherung und Zuwanderung  vorrangig auf die bessere berufliche Eingliederung der bisher auf dem Arbeitsmarkt benachteiligten Menschen. Hierbei geht es  insbesondere um die Verringerung der viel zu hohen Abbrüche in Schule, Berufsbildung und Hochschulen; der besseren Beschäftigung von Frauen, älteren Arbeitnehmern sowie Menschen mit Migrationshintergrund. Allerdings enthält der Bericht dazu nur sehr allgemeine Hinweise ohne Bezug zur praktisch-politischen Umsetzung: Die Entwicklung in der Bundesrepublik geht schon längst in die umgekehrte Richtung. Den größten Beitrag im Rahmen des über 80 Mrd. schweren Kürzungspakets der Bundesregierung zur Finanzierung des ersten Rettungsschirmes für die Banken von 2008 müssen die Arbeitslosen erbringen. Das Gesetz mit dem irreführenden Titel “Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“ wird die Arbeitsmarktpolitik für die Langzeitarbeitslosen in den nächsten Jahren halbieren.

Die vorgesehenen Kürzungen der Arbeitsmarktpolitik von 16 Mrd. Euro für die nächsten vier Jahre müssen wieder aufgehoben werden. Aufzugeben ist ebenfalls die Verschiebung der Finanzierung der Kinderpakete im Rahmen der Hartz IV Reform auf die Bundesagentur für Arbeit.  Hierbei handelt es sich um Beträge zwischen 3,5 und 4 Mrd. Euro im Jahr. Darüber hinaus ist die vollkommen ungerechtfertigte Belastung der BA mit der Hälfte der Kosten für die Arbeitsmarktpolitik der Langzeitarbeitslosen von 4 bis 5 Mrd. Euro im Jahr endlich zu beenden. Als wesentlicher Teil des Hartz IV Systems ist dies aus Mitteln des Bundes zu finanzieren.
 
Defizite bei Arbeitsmarktpolitik in der EU beseitigen
Die Vorschläge der hochrangigen Konsensgruppe zur Gestaltung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU beschränken sich auf die Verbesserung von Information, Transparenz und Werbekampagnen, um die Fachkräftelücke in der Bundesrepublik zu füllen. Zusätzlich erforderlich sind Vorschläge für die Politik und die Tarifparteien, soziale Rahmenbedingungen in der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik der EU zu schaffen ohne die Freizügigkeit als grundlegendes Prinzip der EU zu gefährden. So ist es besonders dringend, einen wirksamen Beitrag zum Abbau der dramatisch steigenden Arbeitslosigkeit und vor allem der Jugendarbeitslosigkeit im Rahmen eines „Marschallplanes“ für die überschuldeten Euroländern zu leisten. In erster Linie muss es darum gehen, den von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen eine Zukunft und ihren Ländern Entwicklungsperspektiven zu geben.

Der zu Recht von Konsensgruppe und Bundesregierung angestrebte Paradigmenwechsel in der Zuwanderungskultur kann aber nur gelingen, wenn dies für den Umgang mit allen benachteiligten Menschen jedweder Herkunft gilt, mithin auch für die Verbesserung der Beschäftigungschancen der Arbeitslosen in der Bundesrepublik und der EU.

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Ursula Engelen-Kefer

Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.

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