Dirk Bleicker
Er hat ein Image-Problem – gilt als altmodisch und überholt, gerade unter jungen Frauen. Zu Unrecht, denn Feminismus wird heute immer noch gebraucht.
Vor nicht allzu langer Zeit saß ich in geselliger Runde mit ein paar Leuten zusammen. Es wurde gegessen, getrunken und dabei kam das Gespräch irgendwie auf Kinder. Sie wolle, so eine Bekannte, auf jeden Fall Kinder, aber das sei schwierig mit dem Job unter einen Hut zu bekommen. Ob der Vater in spe sich an der Erziehung beteiligen würde sei ja auch nicht garantiert und das ganze System generell eine Katastrophe. Ich nickte die ganze Zeit mit dem Kopf, bis die Bekannte ein „Also, ich bin jetzt aber keine Feministin oder so!“ hinterherschob.
Feministin sein, das wollen junge Frauen heute garantiert nicht. Feminismus ist in etwa so angesagt wie Markus Lanz oder Wanderschuhe. Die Alleinschuld daran wird gerne und oft Alice Schwarzer zugeschoben, doch damit macht man es sich zu einfach: Feministinnen waren noch nie angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Schon die Suffragetten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht kämpften, wurden als „Mannweiber“ beschimpft. Feminismus hat also ein Image-Problem und das nicht nur in Deutschland.
Lila Latzhosen und hysterisch kreischende, unrasierte „Emanzen“ spuken immer noch in vielen Köpfen herum. Diese Klischees sind aber nicht das größte Problem, das der Feminismus als Bewegung heute hat. Nein, sein größtes Problem ist, dass er scheinbar nicht mehr gebraucht wird. So bezeichnet sich Yahoo-Chefin Marissa Mayer, die ihren Job hochschwanger antrat, nicht als Feministin, weil sie das mit Militanz verbindet und schließlich gäbe es überall auf der Welt „tolle Möglichkeiten für Frauen“.
Entweder Schlampe oder Opfer
Viele junge Frauen würden diese Aussage wahrscheinlich direkt unterschreiben. Denn ganz ehrlich, was wollen wir denn noch? Deutschland wird von einer Frau regiert und auch die deutschen Truppen hören neuerdings auf weibliches Kommando. Frauen dürfen wählen, machen die besseren Uni-Abschlüsse und müssen sich nicht mehr zwischen Kind und Karriere entscheiden. Nebenbei können sie noch One-Night-Stands haben, ohne dass jemand daran Anstoß nimmt. Klingt doch toll!
Weniger toll sind die folgenden Fakten. So machen Frauen zwar die besseren Abschlüsse, verdienen im Berufsleben aber deutlich weniger als Männer: durchschnittlich 22 Prozent. Deutschland hat außerdem eine im europäischen Vergleich sehr niedrige Müttererwerbsquote – viele Mütter geben also ihren Job auf, um beim Nachwuchs bleiben zu können. Kind und Karriere? Von wegen. Jeden Tag werden Frauen Opfer sexueller oder körperlicher Gewalt. Frauen wird eingeredet, sie seien zu dick, zu laut, zu fordernd. Frauen erscheinen halbnackt im Fernsehen, in Magazinen und auf Plakatwänden. Frauen sind immer entweder Schlampe oder Opfer.
Frauen sind nicht das Problem
Nun ist es nicht einmal so, dass junge Frauen diese Tatsachen nicht kennen. Sie finden es sogar ziemlich nervig, wenn ein Eis mal wieder mit einer lüstern leckenden Bikini-Frau beworben wird. Und klar, Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen sind total ungerecht. Aber mit Feminismus hat das Ganze für sie nichts zu tun. Mit ihnen selbst schon gar nicht. Das könnte einerseits daran liegen, dass sie zwar kleine und große Ungleichheiten mitbekommen – aber sie gekonnt ignorieren und denken, es handle sich um Einzelphänomene. Bloß nicht hysterisch werden! Andererseits wissen viele einfach nicht so genau, was Feminismus überhaupt bedeutet. Und wer will sich schon mit etwas identifizieren, das so schwammig wirkt?
Dabei ist es ganz einfach: Feminismus ist eine politische Bewegung, die nach gesellschaftlicher Veränderung strebt und sich dabei an den Bedürfnissen von Mädchen und Frauen orientiert. Er möchte Chancengleichheit und das unabhängig vom Geschlecht, von Geschlechternormen und -zuweisungen.
Diese Anliegen sind nach wie vor aktuell. Feminismus ist in diesem Sinne auch eine Überlebensstrategie: Er macht uns bewusst, dass etwas in unserer Gesellschaft im Argen liegt und nicht Frauen das Problem sind, sondern dass es um etwas Größeres geht. Feminismus zeigt, dass das Private politisch ist. Und geht somit jede(n) etwas an.
Julia Korbik (geb. 1988) wuchs im Ruhrgebiet auf. Sie studierte European Studies und Kommunikationswissenschaft in Deutschland und Frankreich. In Berlin arbeitet sie als Redakteurin für das Debattenmagazin „The European“, wo sie eine feministische Kolumne schreibt.