Inland

Bildungspolitik: Wie Rheinland-Pfalz zum Vorreiter wurde

Die rheinland-pfälzische Bildungspolitik setzt seit Jahren auf den Gleichklang von Leistungsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit im Bildungssystem. Dabei geht es nicht um Leistung oder Gerechtigkeit, sondern um Leistung und Gerechtigkeit.
von Malu Dreyer · 23. Februar 2016

„Es gibt zwei Dinge, die wir unseren Kindern mitgeben sollten: Wurzeln und Flügel.“ Diesen wunderbaren Satz von Johann Wolfgang von Goethe kann ich voller Überzeugung unterschreiben. Er beschreibt ein Lebensgefühl, einen Begriff von Heimat und Zusammenhalt, der typisch für Rheinland-Pfalz ist. Die Menschen, die hier leben, sind weltoffen, tolerant und wollen, dass jeder „nach seiner Fasson“ glücklich werden kann. Viele junge Leute gehen für ein paar Monate oder Jahre woanders hin – zum Studieren, für einen Job oder aus privaten Gründen. Viele von ihnen kommen danach wieder nach Rheinland-Pfalz zurück, weil sie sich hier zu Hause fühlen, weil ihre Wurzeln hier sind.

In bildungspolitischen Fragen Vorreiter

Wurzeln und Flügel – das ist auch ein ideales Leitbild für die erfolgreiche Bildungspolitik der rheinland-pfälzischen Landesregierung. Damit wir das damit verbundene Versprechen auch wirklich für alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land einlösen können, setzen wir seit vielen Jahren auf den Gleichklang von Leistungsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit im Bildungssystem. Es geht – anders als von Konservativen und Liberalen in schöner Regelmäßigkeit unterstellt – nicht um entweder Leistung oder Gerechtigkeit, sondern es geht um Leistung und Gerechtigkeit, um einen hohen Anspruch und gleiche Bildungschancen. Beides sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wir wollen und wir müssen beides zusammen erreichen. Das ist es, was ein erfolgreiches Bildungssystem auszeichnet.

Im bundesweiten Vergleich ist Rheinland-Pfalz mit dieser Linie sehr gut gefahren. Wir waren und wir sind in vielen bildungspolitischen Fragen Vorreiter. Deutlich früher als andere haben wir auf den Ausbau der Ganztagsschulen gesetzt und sind stolz darauf, dass mittlerweile jede zweite Schule in unserem Land eine Ganztagsschule ist. Wir garantieren eine gute Unterrichtsversorgung und wir sind nicht zuletzt das Land der kleinen Klassen. In den Grundschulen sind nirgendwo mehr als 24 Schülerinnen und Schüler in einer Klasse. Im Durchschnitt sind es sogar weniger als 19. Gute Bildung von Anfang an – unter dieser Überschrift haben wir das Kita-Angebot in Rheinland-Pfalz deutlich ausgebaut als die Bedeutung frühkindlicher Bildung andernorts noch gar nicht erkannt war. Wir setzen auf Beitragsfreiheit und auf den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem zweiten Lebensjahr. Und der Erfolg gibt uns recht: Heute besuchen 42 Prozent der Unter-Dreijährigen und 98 Prozent der Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren eine Kindertagesstätte.

Pragmatisch handeln, wo konkreter Bedarf besteht

Im nächsten Schritt werden wir eine Betreuungsgarantie einführen: Eltern von Grundschulkindern können sich zukünftig darauf verlassen, dass ihr Kind über die Unterrichtszeit hinaus in der Schule gut betreut wird. Und wir werden gemeinsam mit den Trägern von Ferienprogrammen das Angebot besonders in den großen Sommerferien massiv ausbauen. Dafür steht im Landeshaushalt künftig eine Million Euro zur Verfügung.

Das zeigt: Wir handeln pragmatisch an den Stellen, wo tatsächlich ein konkreter Bedarf besteht. Und wir wissen, was in den Gemeinden und an den Schulen vor Ort los ist. Wir laufen nicht jedem Trend hinterher und springen nicht über jedes Stöckchen. Ginge es nach Schwarz-Gelb, dann hätten wir in Rheinland-Pfalz längst flächendeckend G8 und das Zentralabitur eingeführt und wir hätten allgemeine Studiengebühren zuerst erhoben und mittlerweile wohl wieder abgeschafft. Trotz schwieriger Diskussionen und gegen manche Widerstände haben wir in Rheinland-Pfalz diese vermeintlichen Modetrends nicht mitgemacht. Heute ist mehr denn ja klar: Das war gut so!

Konsens statt Konfrontation

Wir sind nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil wir auf den ernst gemeinten und engen Dialog mit allen Beteiligten setzen. Wir wollen Konsens statt Konfrontation. Bei uns in Rheinland-Pfalz gab es keine Elternproteste, als mit der Schulstrukturreform aus den früheren Haupt- und Realschulen die „Realschule plus“ entstanden ist. Sie steht heute als erfolgreiche Schulform für Durchlässigkeit und Aufstiegsorientierung in unserem Bildungssystem und ist neben Gymnasien, Integrierten Gesamtschulen und berufsbildenden Schulen Garantin dafür, dass wir allen Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern gute Bildungschancen bieten können.

Der beste Beweis für unseren Erfolg sind die guten Leistungen, die Schülerinnen und Schüler aus Rheinland-Pfalz erzielen, wenn sie sich mit ihren Altersgenossen aus anderen Bundesländern messen. Sei es in bundesweiten Leistungsvergleichen, die von der Kultusministerkonferenz in Auftrag gegeben werden, oder sei es bei bundesweiten Wettbewerben wie „Jugend forscht“ oder „Jugend musiziert“. Auch das rheinland-pfälzische Abitur genießt bundesweit hohe Anerkennung. All das ist vor allem ein Verdienst der engagierten professionellen Arbeit der vielen tausend Lehrerinnen und Lehrer in Rheinland-Pfalz, die unseren Dank und unsere Wertschätzung für ihre anspruchsvolle pädagogische Tätigkeit verdienen. Sie erfüllen den Satz von den Wurzeln und Flügeln, die wir unseren Kindern mitgeben müssen, Tag für Tag mit Leben und begleiten ihre Schülerinnen und Schüler bis zum erfolgreichen Abschluss ihrer Schullaufbahn.

Wohin die Flügel tragen

Und was kommt dann? Nach der Schule? Um Schülerinnen und Schüler bei dieser wichtigen Weichenstellung bestmöglich zu unterstützen, gibt es in Rheinland-Pfalz seit diesem Jahr an jeder Schule einen „Tag der Berufs- und Studienorientierung“. Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft, den Hochschulen und der Arbeitsagentur kommen in die Schule und informieren über duale Ausbildung und Studium. Und zwar überall gleichermaßen – ob am Gymnasium, in der „Realschule plus“ oder an der Integrierten Gesamtschule. Mehr als alle theoretischen Debatten über die Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Bildung ist das sowohl praktische Hilfestellung für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wie auch wirksames Werben für die Möglichkeiten der dualen Ausbildung. Das Ziel: In Rheinland-Pfalz soll jede und jeder am Ende der Schulzeit kompetent in eigener Sache entscheiden können, welcher der richtige Weg in den Beruf ist und wohin die Flügel ihn oder sie tragen sollen.

Autor*in
Malu Dreyer

ist Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und kommissarische SPD-Parteivorsitzende.

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