Inland

Bildungsminister Tonne: Jeder Schüler soll ein Impfangebot erhalten

Wie geht es weiter in den Schulen nach den Sommerferien? Für Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne ist klar: Das Schuljahr soll im Präsenzunterricht beginnen. Wie er das ermöglichen will, sagt er im Interview.
von Vera Rosigkeit · 6. August 2021
Zurück in die Schule: Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne hat klare Vorstellungen, wie das trotz Corona gelingt.
Zurück in die Schule: Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne hat klare Vorstellungen, wie das trotz Corona gelingt.

Niedersachsen ist mitten in den Sommerferien. Wie schätzen Sie derzeit die Möglichkeit ein, nach den Schulferien Anfang September wieder in den Präsenzunterricht zurückzukehren?

Es ist unser großes Bestreben, das neue Schuljahr in Niedersachsen mit Präsenzunterricht für alle zu beginnen und auch dabei zu bleiben. Darauf haben wir uns und die Schulen intensiv vorbereitet, das gilt für den Schutz vor Infektionen ebenso wie für die besonderen pädagogischen und didaktischen Herausforderungen nach eineinhalb Jahren Pandemie. Dabei halten wir an unseren bewährten Schutzmaßnahmen in den Schulen fest – angefangen bei Abstands- und Hygieneregeln über Masken- und Testpflicht bis zum Lüftungskonzept. Schule ist und bleibt ein sicherer Ort.

Mit Blick auf die inzwischen vorherrschende Deltavariante des Corona-Virus und mögliche Infektionen durch Reiserückkehrer ziehen wir den Schutzschirm aber noch engmaschiger: Statt bisher zwei verpflichtende Selbsttest zu Hause werden wir die Taktfrequenz erhöhen und die Pflicht zum Tragen von Masken auch bei niedrigen Inzidenzen vorschreiben.

Zugleich können wir davon ausgehen, dass bis zum Schulstart nahezu alle Lehrkräfte und zunehmend auch Schülerinnen und Schüler durchgeimpft sind. Schon jetzt liegt Niedersachsen mit einer Impfquote von mehr als 28 Prozent bei den 12- bis 17-Jährigen bundesweit an der Spitze. Die Linie in Niedersachsen ist hier ganz klar: Jeder Schüler und jede Schüler, der oder die geimpft werden möchte, soll ein Angebot dazu erhalten.

Insgesamt schaffen wir damit gute Voraussetzungen für einen Start in den Präsenzunterricht, belassen es dabei aber nicht: Jeweils vier und zwei Wochen vor Unterrichtsbeginn wird die dann aktuelle Lage gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und dem Landesgesundheitsamt eingeschätzt und unsere Strategie erneut überprüft und ggf. angepasst.

 

Welche Maßnahmen wurden denn ergriffen, um einen Regelbetrieb zu realisieren?

Das ist eine große Palette, einige Punkte habe ich bereit angerissen. Wichtig sind folgende Punkte:

Wir setzen die Corona-Selbsttestungen fort und erhöhen dabei zu Schuljahresbeginn die Frequenz auf tägliche Tests an den ersten sieben Schultagen. Niemand, der nicht negativ getestet ist, wird die Schule betreten (Ausnahme: vollständig Geimpfte oder Genesen). Danach wird in der Regel dreimal pro Woche getestet. 

Es besteht weiterhin grundsätzlich die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung dort, wo sich Gruppen – wir nennen sie Kohorten – in der Schule begegnen können, zum Beispiel in Fluren und auf Toiletten. Zum Schuljahresbeginn werden wir diese Maßnahme vorübergehend noch erweitern. Denkbar ist zum Beispiel, das zeitlich begrenzt inzidenzunabhängig in den Schulgebäuden und damit auch im Unterricht eine Maske getragen werden muss. Das wird dann auch für die Grundschulen gelten. Um eventuelle Ansteckungsgefahren zu minimieren, wird die Maske im Unterricht auch bei niedrigeren Inzidenzen im Vergleich zum jetzigen Stand Mittel der Wahl sein.

Wir behalten nach wie vor die Inzidenzen im Blick und werden bei steigenden Werten die Maßnahmen noch weiter anziehen.  

Nach wie vor gelten in den Schulen klare Hygienevorgaben und Abstandsregeln.

Und wir setzen weiter auf unsere Lüftungskonzepte mit regelmäßigem Durchlüften der Räume durch geöffnete Fenster und Türen - ggf. aber mit technischer Unterstützung.  Wir legen derzeit unser Förderpaket „Corona Schutzausstattung in Schulen“ neu auf und erweitern es entsprechend. Den Schulträgern stehen damit weitere 20 Millionen Euro zum Beispiel für Masken, Spuckwände, aber unter bestimmten Voraussetzungen auch für Lüftungsgeräte und Fensterventilatoren zur Verfügung. Wir flankieren und ergänzen damit Förderprogramme des BundesUnd: Das Impfen der Lehrkräfte wird weiter fortgesetzt, wobei bereits 80 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer über den doppelten Impfschutz verfügen, ca. 20 Prozent über einen einmaligen. Es ist damit zu rechnen, dass nach den Sommerferien alle impfwilligen Lehrkräfte beide Impfungen erhalten haben werden.

 

Immer wieder wird Kritik laut, dass es mit der Ausstattung technischer Geräte vom Endgerät für die Schüler*innen bis hin zur Ausstattung der Schulklassen mit Luftfiltern einfach zu lange dauert. Was sagen Sie?

Zunächst müssen wir klarstellen, dass die Schulträger – in der Regel die Kommunen – für die sächliche Ausstattung der Schulen zuständig sind und nicht das Land. Dort, wo wir sie dabei finanziell unterstützen, müssen wir natürlich die entsprechenden Wege bereiten und zum Beispiel Förderrichtlinien veröffentlichen. Das braucht manchmal ein wenig Zeit, um rechtlich sicher zu sein. Wir haben in der aktuellen Pandemie aber immer wieder frühzeitig über die geplanten Richtlinien informiert, um den Schulträgern Planungs- und Vorbereitungsspielraum zu geben.

Das Beispiel „Lüften“ ist dafür exemplarisch: Im Herbst 2020 hat Niedersachsen ein Programm „Schutzausstattung für Schulen“ in Umfang von 20 Millionen Euro aufgelegt, das nunmehr so gut wie ausgeschöpft ist. Seit Juni wurde begonnen, das Programm mit gleicher Summe erneut aufzulegen und zugleich zu erweitern. Richtig ist, dass die aktuelle Richtlinie – auch zur Förderung von Lüftungsgeräten – zurzeit noch abgestimmt wird. Die Kommunen sind aber bereits aus Vorgesprächen und mit einem Schreiben vom 14. Juli sehr detailliert darüber informiert, welche Technik unter welchen Bedingungen förderfähig ist. Sie konnten und können also bereits loslegen und Geräte beschaffen – mit rückwirkender Abrechnungsfrist 5. Juli 2021.

Gleichzeitig muss aber auch sehr deutlich gesagt und geschrieben werden, dass sämtliche Technik, die nicht dauerhaft eingebaut ist, lediglich ergänzend und unterstützend zum Lüften hinzu kommt.

 

Wie lassen sich Bildungsdefizite, aber auch psychisch sozialen Folgen der Krise für Kinder und Jugendliche auffangen?

Wir haben – gemeinsam mit dem  Sozialministerium – ein umfangreiches Aktionsprogramm „Startklar in die Zukunft“ auf den Weg gebracht. Danach erhalten Kinder und Jugendliche in Niedersachsen in der Schule und außerhalb der Schule zusätzliche Angebote zur Lernförderung, vor allem aber auch zur psychosozialen Stabilisierung, zur Freizeitgestaltung, Gesundheitsförderung und gesellschaftlichen Beteiligung. Ich lege großen Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz. Wer als Antwort auf die Corona-Pandemie ausschließlich auf mögliche Lerndefizite abstellt, springt viel zu kurz. Was für ein Bild muss man von unseren Kindern und Jugendlichen haben, wenn man sie auf die reine Wissensvermittlung reduzieren möchte? Wir  haben  das „Aktionsprogramm Aufholen nach Corona“ des Bundes in Höhe von 122 Millionen Euro um 100 Millionen Euro aus dem COVID-19-Sondervermögen des Landes aufgestockt. Von den insgesamt 222 Millionen Euro für das Kinder- und Jugendprogramm gehen 189 Millionen Euro in den Schulbereich, 33 Millionen Euro in den Bereich Kinder- und Jugendhilfe. Hinzu kommen 70 Millionen Euro vom Bund für die frühkindliche Bildung. Das heißt konkret:

  • Die Schulen erhalten ein Sonderbudget in Höhe von 70 Millionen Euro. Alle Schulformen werden profitieren, sowohl öffentliche Schulen, wie auch Schulen in privater Trägerschaft. Sie können damit Projekte und Programme entwickeln, finanzieren und anbieten, in denen Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden. Dazu gehören zum Beispiel Angebote in den Bereichen Bewegung, Sprache, Lernförderung, Gesundheit und im sozial-emotionale Bedarfe. Die konkreten Projekte sollen auf die jeweilige Problem- und Bedarfslage der Schülerschaft jeder einzelnen Schule ausgerichtet sein und können mit außerschulischen Partnern durchgeführt werden.   
  • Zusätzlich zum Sonderbudget stellt das Land zentral pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umfang von 25 Millionen Euro ein. Damit können an den rund 3.000 Schulen zirka 3.000 Kräfte eingesetzt beziehungsweise Verträge auf 450-Euro-Basis verlängert werden.
  • 10 Millionen Euro stellen wir für rund 175 Schulsozialarbeiterinnen und –Sozialarbeiter zur Verfügung – damit wird dieser Bereich noch einmal deutlich personell gestärkt, bekommt aber auch neue Aufgaben. Unter anderem sollen sich die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen um Schülerinnen und Schüler kümmern, die uns durch die Pandemie irgendwie verlorengegangen sind.
  • Wir weiten die Schulpsychologie deutlich aus.
  • Und die Niedersächsische Bildungscloud wird technisch weiterentwickelt und mit neuen Inhalten für die Schulen ausgestattet. Für den Ausbau des Contents in der sogenannten NBC fließen 14 Millionen Euro in qualitätsgeprüfte Lernprogramme für verschiedene Schulfächer.
  • Inhaltlich bekommen unsere Schulen ein Höchstmaß an Freiheiten, individuell zu reagieren, wir entlasten sie von zahlreichen Vorgaben und konzentrieren die Vorgaben in den Kerncurricula. In das neue Schuljahr wird mit einer Ankommensphase gestartet, frei von Arbeiten und Vorgaben der Stundenplanung.

 

Wird es für in den kommenden Jahren mehr Lehrpersonal und mehr pädagogische Mitarbeiter*innen an den Schulen geben, wie es beispielsweise von der GEW gefordert wird?

Wir sind da grundsätzlich gut aufgestellt und versuchen in jeder Einstellungsrunde bedarfsgerecht Lehrkräftestunden zuzuordnen und zu besetzen. Der aktuelle Einstellungsdurchgang läuft und die Besetzung von offenen Stellen schreitet Tag für Tag voran. Dass wir deutlich mehr pädagogische Kräfte, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter einsetzen werden und die Schulsozialpsychologie stärken, habe ich bereits beschrieben.    

 

Mit Corona habe sich die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland weiter verschärft, heißt es. Wie wollen Sie dem entgegenwirken?

Die Lehrkräfte in Niedersachsen haben von Beginn der Pandemie an versucht, auch unter besonderen Bedingungen wie Distanzlernen und eingeschränktes Lernen in der Schule möglichst jede Schülerin und jeden Schüler mitzunehmen. Dabei haben wir sie mit Konzepten und Handreichungen unterstützt. Ganz besonders haben wir auf faire Abschlussprüfungen ohne Corona-Makel geachtet, die dem Vergleich mit Prüfungen in anderen Bundesländern aber auch in früheren und künftigen Jahren in ihrer Wertigkeit Stand halten.

Natürlich müssen wir erkennen, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler in dieser Zeit mitgekommen sind. Das gilt für den Lernbereich ebenso – und hier vielleicht sogar noch stärker – für den sozial-emotionalen Bereich durch den Verlust von Kontakten in der Schule und in der Freizeit. Und genau darum haben wir das beschriebene Aktionsprogramm auf den Weg gebracht.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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