Bildung: „Das BAföG ist über die Jahrzehnte ausgetrocknet worden“
Beatrice Jansen/photothek.net
Laut Statistischem Bundesamt gibt es immer weniger BAföG-Empfänger*innen. 2019 erhielten nur noch elf Prozent aller Studierenden Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Die Zahl der geförderten Studierenden ist in einem Jahr um 5,5 Prozent zurückgegangen, die der Schüler*innen sogar um 8,7 Prozent. Ist das ein Trend, der sich zu verfestigen droht?
Dass die Anzahl der Geförderten sinkt, ist ein anhaltender Trend der vergangenen Jahre. Die Trendwende, die mit der im August 2019 in Kraft getretenen BAföG-Novelle versprochen wurde, ist leider nicht in Sicht.
Was sind mögliche Ursachen, werden zu wenige Anträge gestellt?
Kernproblem ist, dass die Freibeträge der Eltern und auch die Bedarfssätze nicht Schritt halten mit den Lebenshaltungskosten. Ganz deutlich wird das bei der Entwicklung der Immobilienpreise und damit bei den Mieten, vor allem in den Ballungsräumen. Mit der BAföG-Wohnpauschale in Höhe von jetzt 325 Euro lässt sich in den meisten Hochschulstädten keine Studentenbude bezahlen.
Hinzu kommt, dass das BAföG vielen nur noch als ein Finanzierungsinstrument neben anderen erscheint: Studienkredite, Stipendien, Erwerbstätigkeit. Tatsächlich müssen nach Angaben der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zwei von drei Studierenden das ganze Jahr über, also nicht nur in den Semesterferien, neben ihrem Studium arbeiten. Auch die verbliebenen elf Prozent der Studierenden, die BAföG erhalten, bekommen selten den Höchstsatz und müssen dazu verdienen.
Viele Studierende überlegen sich deshalb, ob es sich überhaupt lohnt, einen Antrag zu stellen, der mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden ist. Außerdem wird die Hälfte der Förderung nur als Darlehen gewährt, das nach dem Studium zurück gezahlt werden muss. Das könnte ein Grund sein, warum nicht alle, die BAföG-berechtigt sind, es auch beantragen.
Gibt es tatsächlich so viele Stipendien, dass man von einer Alternative zur BAföG-Förderung sprechen könnte?
Nein, nur rund vier Prozent der Studierenden erhalten derzeit ein Stipendium. Es gibt aber eine Vielzahl an Anbietern, insbesondere die vom Bundesbildungsministerium finanzierten Begabtenförderwerke. Außerdem rührt das Ministerium kräftig die Webetrommel für das von Privaten kofinanzierte „Deutschlandstipendium“, das aber mit 300 Euro monatlich nur ein Zubrot darstellt und sich aufgrund der großen Zurückhaltung privater Geldgeber als Ladenhüter erweist. Dennoch entsteht der Eindruck, dass es viele Fördermöglichkeiten gebe. Gleichzeitig wird der Ruf des BAföG immer schlechter. Der Eindruck, dass man vom BAföG kaum leben kann und die Eltern, übertrieben gesprochen, bettelarm sein müssen, um überhaupt diese Förderung zu erhalten, ist verbreitet.
Von Seiten des Bundesbildungsministeriums gab es unter CDU-Politikerinnen immer wieder Versuche, neben dem BAföG alternative Finanzierungsinstrumente aufzubauen, die auf einer starken privaten Finanzierung und Eigenbeteiligung beruhen. Das ist der Hintergrund sowohl für das Deutschlandstipendium als auch für die verzinsten Studienkredite, für die sich vor zehn Jahren Annette Schavan stark machte, die sich zeitweise sogar die Abschaffung des BAföG auf die Fahnen geschrieben hatte. Gegenwärtig nutzt ihre Nach-Nachfolgerin Anja Karliczek die Corona-Krise, um mit einer völlig unzureichenden Überbrückungshilfe die Studierende in die Arme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu treiben, die mit Unterstützung des Ministeriums Studienkredite anbietet. Entgegen mancher Darstellung sind die Corona-Studienkredite nur bis März 2021 zinsfrei, danach werden Zinsen in Höhe von 4,2 Prozent fällig – obwohl sich die KfW das Geld zum Nulltarif bei der Europäischen Zentralbank leihen kann.
In jedem Fall wird durch die geringe Anzahl der Geförderten viel Geld eingespart…
Richtig. Im vergangenen Haushalt waren es rund 900 Millionen Euro, die nicht ausgegeben wurden. Das ist sehr viel Geld, das nicht etwa ins neue Haushaltsjahr übertragen wird um damit eine ordentliche BAföG-Reform zu finanzieren, sondern im Bundeshaushalt versickert.
Entfernen wir uns damit immer weiter von dem Ziel, mehr Bildungsgerechtigkeit herzustellen?
So ist es. Das BAföG ist 1971 als das zentrale Instrument zur Öffnung der Hochschulen geschaffen worden. Damals haben 50 Prozent der Studierenden BAföG bekommen und zwar als Vollzuschuss. Alle, die studieren wollten, sollten auch die Möglichkeit haben, so das erklärte Ziel der damaligen sozial-liberalen Regierung.
Die Ausbildungsförderung ist über die Jahrzehnte ausgetrocknet worden. So ist das Schüler*innen-BAföG für allgemeinbildende Schulen als eine der ersten Maßnahmen der Regierung Kohl schon im Oktober 1982 praktisch abgeschafft worden. Leider ist dieser Einschnitt bis heute nicht korrigiert worden. Schüler*innen aus so genannten bildungsfernen Familien überlegen sehr genau, ob sie es sich leisten können, bis zum Abitur weiterzumachen, oder gleich Geld verdienen müssen. Deshalb haben Kinder aus Familien ohne akademischen Hintergrund in unserem Bildungssystem zwei große Hürden zu überwinden: einmal beim Übergang zur Sekundarstufe II, die ja normalerweise mit der Studienberechtigung einhergeht, zum zweiten beim Übergang von der Sekundarstufe II zum Hochschulstudium. Nach dem „Bildungstrichter“ der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks nehmen 79 von 100 Kindern aus Akademikerfamilien, aber nur 27 von 100 aus Nichtakademikerfamilien ein Studium auf. Daran wird deutlich, wie sehr sich die deutsche Bildungspolitik vom damaligen Anspruch, mit einer wirksamen Ausbildungsförderung Chancengleichheit durchzusetzen, entfernt hat.
Was muss sich ändern, was fordert die GEW?
Wir brauchen einen kräftigen Sprung sowohl bei den Freibeträgen als auch Fördersätzen des BAföG um mindestens zehn Prozent. Bei der Mietkostenpauschale fordern wir eine noch deutlichere Erhöhung an Standorten mit besonders hohen Mieten. Vorbild dafür könnte die Wohngeld-Tabelle sein. Auch muss das BAföG wieder ein Vollzuschuss werden. Wir wissen aus Befragungen, dass die Aussicht, das Studium mit einem Schuldenberg zu beenden, sehr abschreckend wirkt.
Eine Reform sollte aber vor allem noch in dieser Legislaturperiode kommen, denn die Corona-Krise hat gezeigt, dass Studierende deshalb besonders hart getroffen werden, weil die allerwenigsten ausreichend BAföG bekommen, sondern nebenher erwerbstätig sein müssen. Aber viele Jobs für Studierende sind pandemiebedingt weggefallen. Hätten wir in der Krise ein leistungsstarkes BAföG, müsste die Diskussion um die Not von Studierenden in dieser Form nicht geführt werden. BAföG reformieren heißt daher Studieren krisenfest machen.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.