Inland

„Bildung darf keine Frage der sozialen Schicht sein“

von Romy Hoffmann · 13. April 2012

Am Samstag gehen die Juso-SchülerInnen gegen das Kooperationsverbot in der Bildungspolitik zwischen Bund und Ländern auf die Straße. Im Interview mit vorwärts.de sagt Taner Ünalgan, Bundeskoordinator der Juso-SchülerInnen, warum bundesweite Bildungsstandards wichtig sind und wie gute Bildung finanziert werden soll. 

vorwärts.de: Am kommenden Samstag veranstaltet die Juso-SchülerInnen-Gruppe im Rahmen ihres Bundeskongresses auf dem Potsdamer Platz in Berlin eine Protestaktion. Wogegen richtet die sich?

Taner Ünalgan:Unsere Protestaktion am Samstag steht unter dem Motto: „Merkel in die Schranken weisen – Kooperationsverbot aufheben“. Zusammen mit etwa 100 Schülerinnen und Schülern werden wir gegen das Kooperationsverbot zwischen Bund und Länder in der Bildungspolitik protestieren. Momentan ist es nämlich so, dass der Bund die Länder, die ja gesetzlich für die Bildungspolitik zuständig sind, finanziell nicht unterstützen darf. Unser Bildungssystem benötigt aber mehr Geld, als momentan dafür ausgegeben wird. Die Länder haben das Geld aber nicht. Deswegen muss sie der Bund finanziell unterstützen, damit gute und gerechte Bildung gewährleistet werden kann. Es kann beispielsweise nicht sein, dass der Bund die UN-Behindertenkonvention unterzeichnet und garantiert, dass auch behinderte Menschen am gesellschaftlichen Leben – also auch am Schulleben ­– ohne Einschränkungen teilhaben können, aber die Umsetzung mit all ihren Kosten den Ländern überlassen bleibt. Der Bund kann keine Versprechen geben, wenn er nicht für deren Finanzierung sorgt.

Das Problem ist seit längerem bekannt. Was erhoffen Sie sich konkret von der Protestaktion?

Wir hoffen, dass wir mit unserer Aktion das Thema „gute und gerechte Bildung“ in den Fokus der Öffentlichkeit rücken können. Erst im März haben die Parlamentarier über das Kooperationsverbot im Bundestag debattiert. Das Thema ist also hoch aktuell, auch wenn die Parlamentarier auf ihre Lippenbekenntnisse keine Taten folgen lassen. Zudem möchten wir darauf aufmerksam machen, dass Bildung nicht vom Geldbeutel oder Bildungsgrad der Eltern abhängen darf, Bildung darf also keine Frage der sozialen Schicht sein. Nicht teure Privatschulen und Nachhilfeunterricht, sondern staatliche Gemeinschaftsschulen müssen die beste Bildung garantieren. Die Politik muss das endlich begreifen und umsetzen.

Die Juso-SchülerInnen fordern, dass der Bund die Länder bei der Finanzierung der Bildungspolitik stärker unterstützt. Wollen Sie eine zentralistisch organisierte Bildungspolitik?

Wir fordern keine Zentralisierung der Bildungspolitik, sondern eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Es sollen bundesweit gemeinsame Standards festgelegt werden. Alle Bundesländer müssen eine gemeinsame Linie verfolgen, was die Lerninhalte und die Kompetenzen angeht, die den Schülern vermittelt werden sollen. Deswegen fordern wir inklusive Ganztags-Gemeinschaftsschulen auf Bundesebene. Dort sollen die Schüler bis zu ihrem Abschluss gemeinsam lernen. Nur so kann Chancengleichheit garantiert werden.

Sie verlangen ein Schulsystem, das gerecht ist und Chancengleichheit gewährleistet. Die Frage ist, wie dies konkret an deutschen Schulen realisiert werden kann. Ist eine Einheitsschule die Lösung?

Den Begriff der Einheitsschule lehnen wir ab. Es geht nämlich nicht darum, alle Schüler in Deutschland zu vereinheitlichen. Wir fordern stattdessen die inklusive Ganztags-Gemeinschaftsschule auf Bundesebene. Wichtig ist uns dabei, dass die Schulen ihre Schüler nach dem Ideal des demokratischen und solidarischen Menschen erziehen. Schulen müssen gewisse Werte vermitteln. Außerdem sollen die Leistungen der Schüler nicht mehr benotet werden. Noten verhindern eine gerechte Bewertung von Leistungen, da sie niemals objektiv vergeben werden. Und die subjektive Bewertung von Lehrern entscheidet letztendlich über die Zukunft der Schüler. Das ist nicht gerecht. Stattdessen brauchen wir Schulen, die Neugier der Schüler wecken und ihre Interessen und Kreativität fördern. Wir brauchen also kleinere Klassen und mehr gut ausgebildete Lehrer. Zudem fordern wir mehr Schul-Psychologen und -Sozialarbeiter. Denn die sind vor allem für die Schüler wichtig, die von ihrem Elternhaus keine Unterstützung erhalten. Außerdem muss das gesamte Bildungssystem kostenfrei sein. Das verstehen wir unter einem gerechten Schulsystem, in dem Chancengleichheit gewährleistet wird.

Interessieren sich die Juso-SchülerInnen eigentlich nur für das Thema Bildung?

Nein, natürlich nicht. Neben bildungspolitischen Themen engagieren wir uns auch gegen Faschismus und Rechtsradikalismus. Die Menschen müssen sich bewusst machen, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben. Wir dürfen nicht dabei zusehen, wie engstirnige und hasserfüllte Menschen aktiv gegen die Errungenschaften unserer Multikultur hetzen. Diese Menschen sind eine Gefahr für unsere Demokratie und dürfen nicht toleriert werden. Dafür setzen wir uns ein.

Taner Ünalgan, 19, ist einer von drei Bundeskoordinatoren der Juso-SchülerInnen. Er ist auch Mitglied im Juso-Bundesvorstand.

Autor*in
Romy Hoffmann

Romy Hoffmann ist Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Regensburg. Im Frühjahr 2012 absolvierte sie ein Praktikum in der Redaktion des vorwärts.

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