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Betreuungsgeld verfassungswidrig: Sieg für SPD, Niederlage der CSU

Das Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar gekippt. Die CSU hatte das Gesetz gegen massiven Widerstand durchgedrückt, die SPD hatte es von Anfang an abgelehnt.
von Christian Rath · 21. Juli 2015
Kita
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Das 2012 eingeführte Betreuungsgeld ist verfassungswidrig und "nichtig". Das entschied am Dienstag der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts. Der Bund hätte das Gesetz nicht einführen dürfen. Ob entsprechende Landesgesetze zulässig wären, ließen die Richter offen.

Verfassungsgericht zeigt Betreuungsgeld die rote Karte

Wieder einmal musste das Bundesverfassungsgericht also Schiedsrichter spielen. Das Urteil befasst sich allerding nur mit Kompetenzfragen. Durfte der Bund das Gesetz beschließen? Oder können nur die Bundesländer ein Betreuungsgeld einführen? Im ersten Schritt stellte Karlsruhe fest, dass der Bund Sozialgesetze für Familien beschließen darf. Die Kompetenz für "soziale Fürsorge" erfasse nicht nur Notfälle, sondern auch den erhöhten Bedarf von Familien.

Im zweiten Schritt prüften die Richter, ob beim Betreuungsgeld eine bundeseinheitliche Regelung "erforderlich" ist - was sie verneinten. Ein bundeseinheitliches Betreuungsgeld sei weder nötig, um "einheitliche Lebensverhältnisse" herzustellen noch um die deutsche "Rechts- und Wirtschaftseinheit" zu wahren. "Der bloße Wille, eine bundesweite Regelung zu schaffen, genügt nicht", sagte Ferdinand Kirchhof, der konservative Vorsitzende des Senats.

Alle acht Richter sind sich einig

Die Bundesregierung und Bayern hatten argumentiert, dass das Betreungsgeld seit 2008 Teil eines "Gesamtkonzeptes" war, das einerseits den Ausbau der Kitas mit einem Rechtsanspruch für Eltern vorsehe, andererseits aber auch die Leistung von Eltern finanziell "anerkennen" will, die auf eine staatliche Einrichtung verzichten. Doch diesen Trick ließen die Verfassungsrichter nicht gelten. Der Bund könne nicht einfach mit einem großen Kompromiss-Paket die Kompetenzschranken des Grundgesetzes überspielen. Immerhin war die Erforderlichkeits-Prüfung erst 1994 auf Wunsch der Länder eingeführt worden. Zwar war sie 2006 für die meisten Gebiete wieder abgeschafft worden, aber nicht für die "soziale Fürsorge". Deshalb musste Karlsruhe die Kompetenzfrage hier streng prüfen. Das Urteil der acht Richter fiel einstimmig.

Weil der Bund das Betreuungsgelt nicht einführen durfte, war das Gesetz von Anfang an nichtig. Die bisherigen Leistungsbezieher müssen das Geld aber nicht zurückbezahlen. Auch bereits ergangene Leistungsbescheide bleiben wirksam. Wer also bereits Betreuungsgeld bekommt, kann dies bis zum Ende des dritten Lebensjahrs weiterbeziehen. Im ersten Quartal 2015 bezogen bundesweit Eltern Für 455 321 Kinder Betreuungsgeld. Neue Leistungsbescheide kann es aber ab sofort nicht mehr geben - es sei denn Länder wie Bayern schaffen per Landesgesetz ein eigenes Landesbetreuungsgeld.

Behindert das Betreuungsgeld die Gleichberechtigung?

Ob ein Betreuungsgeld inhaltlich gegen das Grundgesetz verstößt, ließen die Richter offen. Im zweiten Teil seiner Klage hatte Hamburg kritisiert, dass das Betreuungsgeld überkommene Rollenbilder zementiere und Frauen an den Herd binden will. Dies verstoße gegen die Pflicht des Staates "zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern", die 1994 ausdrücklich im Grundgesetz verankert wurde. Dazu sagte Karlsruhe nichts, weil die Hamburger Klage ja bereits aus Kompetenzgründen Erfolg hatte.

En passant erklärten die Richter noch, dass das Bundesgesetz zum Elterngeld nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Wenn Eltern nach der Geburt des Kindes zu Hause bleiben und dafür 67 Prozent des früheren Einkommens erhalten, dann habe das "erhebliche" Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Hier sei ein Bundesgesetz zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit erforderlich.

Mehr Geld für den Ausbau von Kitas

Nach der Urteilsverkündung begann sofort die Diskussion um die politischen Folgen. Was passiert nun mit dem Geld, das im Bundeshaushalt für das Betreuungsgeld eingeplant ist? Im Haushalt 2015 sind es rund 900 Millionen Euro. Da die derzeitigen Bezieher Vertrauensschutz genießen, geht das Geld zunächst weiter an die Eltern. Mittelfristig will Familien-Staatssekretär Ralf Kleindiek (SPD) das Geld jedoch in die Verbesserung der Kitas stecken.

Bayern dagegen will das Betreuungsgeld zumindest auf Landesebene weiterführen. Das kündigte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) an. Zur Finanzierung soll der Bund einen Teil der freiwerdenden Gelder an Bayern überweisen. Spätestens bis zu den Haushaltsberatungen im Herbst muss die Koalition eine Lösung finden.

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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