Inland

Betreuungsgeld könnte fallen

In Karlsruhe wurde heftig diskutiert, ob die bundesweite Einführung der umstrittenen Sozialleistung erforderlich war.
von Christian Rath · 15. April 2015
Ob Kinder besser Zuhause oder in der Kita betreut werden, beurteilten die Karlsruher Verfassungsrichter nicht.
Ob Kinder besser Zuhause oder in der Kita betreut werden, beurteilten die Karlsruher Verfassungsrichter nicht.
Wenn das Betreuungsgeld kippt, dann nicht, weil es Eltern ungleich behandelt oder Rollenbilder verfestigt, sondern aus Kompetenzgründen. Möglicherweise durfte der Bund das Gesetz nämlich gar nicht beschließen. Diese Klippe zeichnete sich an diesem Dienstag bei der mündlichen Verhandlung am Bundesverfassungsgericht ab.
 
Das Betreuungsgeld prämiert Eltern mit monatlich 150 Euro, wenn sie ihr Kind im zweiten und dritten Lebensjahr nicht in eine staatlich geförderte Kita schicken. Eingeführt wurde die Sozialleistung auf Druck der CSU 2012 unter der schwarz-gelben Koalition. Die Bundes-SPD wollte die so genannte Herdprämie eigentlich wieder abschaffen, konnte sich bei Bildung der großen Koalition aber nicht durchsetzen.  
 
Allerdings hatte das SPD-regierte Bundesland Hamburg 2013 eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht erhoben, über die jetzt verhandelt wurde. "In Hamburg haben fünfzig Prozent der Kleinkinder Migrationshintergrund, diese Kinder haben deutlich weniger Sprachprobleme, wenn sie frühzeitig in die Kita gehen", so erklärte Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) in Karlsruhe die Motivation der Klage. Hamburg werbe bei den Eltern intensiv für den Kita-Besuch und habe inzwischen sogar die Kitagebühren abgeschafft. "Und dann kommt der Bund und zahlt eine Prämie von 150 Euro dafür, das Kind nicht in die Kita zu geben", der Senator zeigte sich empört über diesen "Fehlanreiz".

Keine Entscheidung über Sinn und Unsinn

Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) konterte: "Wer behauptet, ein- bis zweijährige Kinder verpassen Bildungschancen, wenn sie zu Hause betreut werden, verunsichert Eltern." Es gebe Untersuchungen, wonach auch zweijährige Kinder mit Migrationshintergrund zu Hause genauso gut aufgehoben sind wie in der Kita. "Wer etwas anderes behauptet, diffamiert die Eltern dieser Kinder", so Müller. Gute Elternschaft sei "keine Frage der Herkunft". 
 
Die juristisch entscheidende Frage wird sein: Durfte der Bund das Betreuungsgesetz überhaupt beschließen? Die Bundesregierung berief sich auf die Bundeskompetenz der "öffentlichen Fürsorge". Hamburg kritisierte, dass die Elternschaft "keine individuelle Notlage" sei. Doch die Bundesregierung erinnerte daran, dass auch schon das Kindergeld und das Elterngeld auf diese Kompetenz gestützt wurden. So sehen es wohl auch die Richter. Probleme könnte es aber geben, weil der Bund nur dann Gesetze zur "öffentlichen Fürsorge"beschließen darf, wenn "die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" eine bundesweite Regelung "erforderlich macht". So steht es in Artikel 72 Grundgesetz.

Keine bundesweite Erforderlichkeit

Der Bund räumte ein, dass das Betreuungsgeld allein nicht bundesweit erforderlich sei. Man müsse deshalb das "Gesamtkonzept" betrachten. Einerseits wurde für Ein- bis Zweijährige ein Anspruch aufeinen Kitaplatz eingeführt. Andererseits sollten die Eltern, die ihr Kind privat betreuen (lassen),eine "materielle Anerkennung" erhalten, erläuterte Michael Sachs, der Rechtsvertreter des Bundes. Er bat die Richter, das Kriterium der "Erforderlichkeit" nicht allzu streng auszulegen.  
 
Ralf Kleindiek, der SPD-Familienstaatssekretär, ist eigentlich ein Gegner des Betreuungsgeldes, verteidigte aber nachdrücklich die Kompetenz des Bundes - und damit auch das Gesetz. Wenn Hamburgs Antrag Erfolg habe, sei die "Handlungsfähigkeit des Bundes" in Gefahr, warnte Kleindiek. Doch Gabriele Britz, die federführende Verfassungsrichterin, gab zu bedenken, dass die "Erforderlichkeits-Klausel" 1994 zum Schutz der Länder gezielt verschärft worden war.  2006 wurde sie zwar für viele Materien wieder entschärft, aber nicht für die öffentlich Fürsorge. "Daran müssen wir uns halten", betonte Britz. Der Senatsvorsitzende Friedrich Kirchhof warnte, "man kann Kompetenzschranken nicht überspielen, indem ein politischer Kompromisse zum Gesamtkonzept erklärt wird."

Wenig Grundsätzliches

Der bayerische Rechtsvertreter Martin Burgi bot eine Lösung an: "Es gehört zum Einschätzungsspielraum des Bundesgesetzgebers, wann ein 'Gesamtkonzept' vorliegt." Da zeigte sich Richterin Britz erstaunt: "Das würde dem Bund aber enorme Spielräume eröffnen. Wollen Sie das wirklich?". Der bayerische Professor bejahte - jedenfalls wenn es um das Betreuungsgeld geht.
 
Ob die Richter sich überzeugen lassen, blieb offen. Fünf von acht Richtern müssten dem Hamburger Antrag zustimmen. Dann gälte das Gesetz über das Betreuungsgeld als verfassungswidrig. Grundrechtsfragen wurden in der knapp vierstündigen Verhandlung nur noch am Rande diskutiert.Hamburg hatte moniert, dass die umstrittene Sozialleistung in die Entscheidungsfreiheit von Eltern eingreife und die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau behindere. Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet.
 
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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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