Bertelsmann-Studie fordert Ende der Zwei-Klassen-Medizin
Thomas Imo/photothek.net
„Die private Krankenversicherung kommt die gesetzlichen Krankenversicherung teuer zu stehen“, sagt Bärbel Bas, Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion am Montag in Berlin. Schon lange fordere die SPD deshalb eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen, auch die, die mehr verdienen.
145 Euro pro Jahr sparen
Bas reagiert auf die Vorstellung einer am Montag veröffentlichten Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, die das SPD-Modell einer Bürgerversicherung bestätigt: Wären alle Bundesbürger gesetzlich versichert, „würde die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) jährlich ein finanzielles Plus in Höhe von rund neun Milliarden Euro erzielen“, so ein zentrales Ergebnis der Studie, die vom Berliner IGES Institut durchgeführt wurde. Deren rechnerische Schätzungen ergaben, dass die höheren Beitragseinnahmen von Privatversicherten der GKV zusätzliche Einnahmen von jährlich 38,6 Milliarden Euro an Einnahmen brächten. In Folge könnte der Beitragssatz um 0,6 bis 0,2 Prozentpunkte gesenkt werden, so die Prognose.
In ihren Schätzungen brücksichtigten die IGES-Autor*innen auch den Anteil der Finanzmittel, mit denen die Honorarverluste der Ärzte durch den Wegfall der Privatpatienten kompensiert werden müssten. Fazit: GKV versicherte Mitglieder und deren Arbeitgeber könnten zusammen pro Jahr durchschnittlich 145 Euro an Beiträgen sparen, würden Gutverdienende am Solidarausgleich der GKV teilnehmen. Würden die anfallenden Honorarverluste der Ärzte ausgeglichen, wären es 48 Euro jährlich.
Solidarprinzip besser für alle
Voraussetzung sei, dass auch Gutverdiener, Beamte und einkommensstarke Selbstständige sich am Solidarausgleich der gesetzlichen Krankenversicherung teilnähmen. Nichts anderes fordert die Bürgerversicherung. Dagegen könnten sich laut Bertelsmann-Stiftung im derzeit geltenden dualen System Privatversicherte bislang dem solidarischen Risikoausgleich entziehen. Diese verdienten aber nicht nur deutlich besser, sie seien im Durchschnitt auch gesünder als gesetzlich Versicherte. Unter denen befänden sich beispielsweise wesentlich häufiger Menschen mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen oder Pflegebedürftigkeit als unter Privatversicherten.
Die Aufspaltung der Krankenversicherung sei ineffizient und problematisch, sagt Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung. „Wir sehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken für eine Zusammenführung der Systeme. Die Regelung der Krankenversicherung steht vielmehr mitten im Gestaltungsraum der Politik.“
Esken: Bürgerversicherung jetzt
Stefan Etgeton von der Bertelsmann-Stiftung betont, dass der durchschnittliche GKV-Versicherte jedes Jahr mehr als nötig zahle, damit sich Gutverdiener, Beamte und Selbstständige dem Solidarausgleich entziehen können. „Das ist der Preis dafür, dass sich Deutschland als einziges Land in Europa ein duales Krankenversicherungssystem leistet“, fügt er hinzu.
Via Twitter nimmt die SPD-Chefin Saskia Esken die Studie zum Anlass, die SPD-Forderung nach einer Bürgerversicherung zu bekräftigen. Die SPD wolle schon lange Schluss machen mit der Zwei-Klassen-Medizin, schreibt sie. „Jetzt habe die Bertelsmann-Stiftung ausgerechnet, dass die Bürgerversicherung sogar für alle günstiger wäre!“
Lauterbach: mit Union nicht machbar
Laut SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schade die Privatversicherung allen Versicherten nicht nur durch Mehrkosten, sondern auch durch „Zweiklassenmedizin, Fehlverteilung von Ärzten“ und einer „Überversorgung von Privatpatienten“. Die PKV lohne sich nur noch für Beamte, kritisiert der Bundestagsabgeordnete. „Ohne den Einfluss der Ärzte- und Versicherungslobby wäre sie längst abgeschafft und durch die Bürgerversicherung ersetzt.“ Für ihn ist klar, dass die Bertelsmann-Studie die Notwendigkeit einer Bürgerversicherung bestätige. Das zeige, dass „wir das Thema wieder aufgreifen und diskutieren müssen“. Klar sei aber auch, dass es mit der Union keine Bürgerversicherung geben werde, ist er sicher.
Solidarisch auch in der Pflege
Eine solidarische Bürgerversicherung fordert die SPD nicht nur für die Gesundheit, sondern auch als Vollversicherung in der Pflege. Daran erinnert Fraktionsvizin Bas und nimmt Bezug auf den Beschluss des SPD-Bundesparteitags „Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“. Private und soziale Pflegeversicherung decken bereits heute die gleichen Leistungen ab“, heißt es dort. Wie in der Krankenversicherung gelte auch hier, dass der privaten Versicherung deutlich geringere Kosten pro Versichertem entstünden, da sie in der Regel Menschen mit höherem Einkommen und geringerem Risiko der Pflegebedürftigkeit versichern. Fazit: „So können sie hohe Rücklagen anhäufen, die der Solidargemeinschaft zur Sicherung einer würdevollen Pflege fehlen.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.