Begleiteter Suizid: Neues Urteil, alte Debatte
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Das Verfassungsgericht hat entschieden: Ein Verbot des begleiteten Suizid ist verfassungswidrig. Damit schickt die Justiz das Thema nach fünf Jahren zurück in den Bundestag. So wie damals 2015 gibt es auch heute in der SPD-Fraktion dazu keine gemeinsame Position, die Bundestagsabgeordneten äußern sich unterschiedlich zu dem Urteil.
Eine Befürworterin der begleiteten Sterbehilfe ist Sabine Dittmar, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Deswegen begrüßt sie am Mittwoch das Urteil aus Karlsruhe in einer ersten Reaktion. „Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich klar gemacht, dass der Gesetzgeber das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben gemäß Paragraf zwei des Grundgesetz achten muss“, erklärt sie mit Verweis auf das Recht auf selbstbestimmtes Leben. „Ich freue mich sehr über diesen Urteilsspruch.“ Dittmar ist Ärztin und hatte vor fünf Jahren gegen den jetzt revidierten Entwurf gestimmt. „Ich war und bin der Meinung, dass der nun gekippte Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs die Beihilfe zur Selbsttötung durch den behandelnden Arzt quasi unmöglich gemacht hat.“ Schwerstkranke Patient*innen seien so in der Stunde der Not allein gelassen worden. „Mit dem heutigen Tag erhalten Patienten und Ärzte Rechtssicherheit“, so Dittmar.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bärbel Bas appelliert nun vor allem an CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, den Widerstand aufzugeben. „Aus meiner Sicht brauchen die Ärztinnen und Ärzte Rechtssicherheit. Ich wünsche mir klare Regeln, wann insbesondere ärztliche Begleitung erlaubt und wann gewerbliche Angebote ausgeschlossen sind." Das Gericht habe dafür den Auftrag gegeben. „Schwerstkranke Patienten, die selbstbestimmt ihr Leben beenden wollen, dürfen nicht alleine gelassen werden“, so die Sozialdemokratin.
Sterbehilfe-Debatte kehrt in den Bundestag zurück
Damit kehrt die Debatte von vor fünf Jahren wieder zurück in die Politik. 2015 gab es nach einer mehrstündigen Debatte im Bundestag eine Mehrheit für ein Verbot der Beihilfe zum Suizid. Damals konkurrierten vor allem zwei Entwürfe miteinander, die einerseits eine Sterbehilfe untersagen, der andere in strengem Rahmen eine Beihilfe zur Selbsttötung erlauben. Grund für die Debatte war eine Gesetzeslücke. Schon 2012 war ein Versuch, den Bereich klarer zu regeln, gescheitert. Bis 2015 war eine Beihilfe zur Selbsttötung und damit auch die geschäftsmäßige Organisation der Sterbehilfe, nicht strafbar. Ein Umstand, der zur Gründung von Sterbehilfe-Vereinen führte, die die Begleitung teilweise gegen Bezahlung angeboten hatten. Das Gesetz trat Ende 2015 in Kraft und stelte die geschäftsmäßige Beihilfe zuum Suizid unter Strafe. Seither gingen mehrere Klagen beim Bundesverfassungsgericht ein.
Der Entwurf wurde damals mit einer absoluten Mehrheit im Bundestag angenommen. Genau dieser Beschluss wurde nun vom Verfassungsgericht gekippt mit Verweis auf das Grundgesetz und das Recht auf Selbstbestimmung. Das schließt allerdings eine grundsätzliche Regelung der unterstützten Sterbehilfe per Gesetz nicht aus, über die nun wohl erneut der Bundestag debattieren und abstimmen wird. Davon unberührt ist die passive Sterbehilfe, also der Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen auf Wunsch der Patient*innen. Gleichwohl bleibt die Tötung auf Verlangen in Deutschland weiterhin verboten. Die Richter haben nur das Gesetz zur Unterstützung der Sterbehilfe wieder an den Gesetzgeber verwiesen. Es geht also zum Beispiel darum, ob und wie Medikamente für unheilbar kranke Patient*innen bereitgestellt werden können, die über ihren eigenen Tod selbst entscheiden wollen.
Kirchen befürworten Palliativmedizin
Kritisiert wird das Urteil von Kirchen und Palliativmediziner*innen, die befürchten, dass die Sterbehilfe nun zu einer normalen Dienstleistung werden könnte. Für die evangelische Kirche Deutschland (EKD) und die deutsche Bischofskonferenz (DBK) ist es ein Einschnitt: „Je selbstverständlicher und zugänglicher Optionen der Hilfe zur Selbsttötung werden, desto größer ist die Gefahr, dass sich Menschen in einer extrem belastenden Lebenssituation innerlich oder äußerlich unter Druck gesetzt sehen, von einer derartigen Option Gebrauch zu machen und ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von EKD und DBK, die weiterhin Palliativmedizin und die Betreuung von todkranken Menschen in einem Hospiz befürworten.
Auch Sozialdemokrat*innen kritisierten das Urteil, darunter Kerstin Griese. Die Bundestagsabgeordnete ist gleichzeitig Mitglied im Rat der EKD und war am Mittwoch in Karlsruhe vor Ort. Sie sei erschrocken über das Urteil. „Ich habe die Sorge, dass jetzt die Zahl der Suizide steigt“, sagt die Sozialdemokratin und Christin.