Inland

Bauern lernen streiken

von Vera Rosigkeit · 9. Juni 2008
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Von Dietrich Jörn Weder

Und hatten nicht Wirtschaftsredakteure landauf landab das finanzielle Begehren der Landwirte für völlig aussichtslos erklärt, weil doch das Angebot an und die Nachfrage nach Milch - sozusagen wie eine höhere Gewalt ohne jede Einflussmöglichkeiten der Beteiligten - den Preis bestimme!

Aber selbst volkswirtschaftlichen Lehrbüchern zufolge ist das nur die halbe Wahrheit. Wo wären wohl die Löhne und Gehälter der deutschen Arbeitnehmer, wenn es die Gewerkschaften nicht gäbe!

Der Preis der Milch ist ebenso das Ergebnis eines Kräftespiels zwischen Bauern, Molkereien und Handel wie eine Mengengleichung. Stärke und Geschlossenheit der Marktparteien auf beiden Seiten liegen dabei schwer auf der Waage. Können die Anbieter ihre Ware zumindest eine Zeit lang zurückhalten und können die Abnehmer für eine Weile darauf verzichten? Kühe müssen gemolken werden und frische Milch wird in wenigen Tagen sauer, wenn sie nicht verbraucht oder verarbeitet wird. Es hat die Landwirte sicher Überwindung gekostet, das wertvolle und für den Verbraucher beinahe unersetzliche Lebensmittel zu verfüttern oder gar zu verschütten. Aber der Lieferboykott hat Wirkung gezeigt und die Öffentlichkeit brachte sogar Verständnis für ihn auf.

Erdöl wird nicht sauer

Da haben es die Förderer von Erdöl doch einfacher, sie müssen es nicht heraufpumpen, sie können es in den Lagerstätten auch ruhen lassen. Es wird dadurch von Jahr zu Jahr nur wertvoller, wie man gesehen hat. Und sie erweisen sich, aber auch der Welt damit noch einen Dienst, indem sie frühzeitig und schmerzhaft auf die Endlichkeit der Vorräte hinweisen. Der Rohölpreis hat sich binnen Jahresfrist verdoppelt. Den Geldbeutel manches Geringverdieners hat das in der Folge arg strapaziert, aber die Weltwirtschaft hat es bisher nicht aus der Bahn geworfen. Und anders als bei der Milch können die Verbraucher zwar nicht von heute auf morgen, aber auf lange Sicht auf andere Möglichkeiten, vorzugsweise erneuerbare Energien, ausweichen.

Am Markt für Milch hat keine Seite einen so weiten Zeithorizont. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung wollen nun marktmächtige deutsche Einzelhändler, allen voran Lidl, den Milchpreis den Bauern zuliebe um zehn Cent anheben. Das wäre etwa eine Sechstel mehr, als der nahrhafte Saft dort zuletzt gekostet hat. Machen dabei alle Supermärkte mit und verteuern sie auch alle anderen Molkereierzeugnisse entsprechend, - und das ist noch ein großes Wenn - kämen die Milchviehhalter wieder auf ihre Kosten. Wenn man Umfragen glauben kann, würden ihnen dies die allermeisten Verbraucher auch gönnen.

Glückliche Kühe lohnen sich

Doch das kann und wird nicht das Ende der Geschichte sein. Warum erhalten die Biobauern mit 50 Cent je Liter seit längerem einen auskömmlichen Preis und warum sind Verbraucher bereit, für diese Milch im Laden etwa die Hälfte mehr zu bezahlen? Milch von Kühen, die unter ihren Klauen das grüne Gras und über sich den freien Himmel sehen, ist den Bio-Freunden das Aufgeld allemal wert!

Doch was haben konventionelle Groß-Landwirte dagegen zu bieten?. Sie unterhalten Riesenställe mit Hunderten von Kühen, denen sie mit zugekauftem fremdem Futter das Äußerste an Milchleistung abverlangen. Das unterschiedslose Massenprodukt aus diesen Produktionshallen wird zu Recht nur nach der Menge beurteilt und bezahlt. Wer aber dem Markt einen Preis auf lange Sicht aufnötigen will, der muss dem Konsumenten etwas Besonderes, Unverwechselbares bieten wie, sagen wir, Milch von Almwiesen oder aus der holsteinischen Marsch. Oder er muss imstande sein, die angebotene Menge zu verknappen, und das sogar innerhalb der von Brüssel festgelegten Milchquote. Sonst bleibt nur die Verdrängung des Kleineren durch den Größeren, mit der Folge, dass es in ganzen Landstrichen kein Milchvieh mehr geben wird, auf den Weiden nicht, und auch nicht in den Ställen.

Die Milchviehhalter sollten überlegen, wie sie ihren vorläufigen Erfolg im Preiskampf auf Dauer untermauern können. Sonst wird die Freude über das Mehr an Geld nicht lange währen. Ein oder zwei Tage die Molkereien mit dem Traktor zu blockieren und dann wieder nach Hause fahren, das ist an Einigkeit der Milchviehhalter zu wenig.

Foto: pixelio.de

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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