Problembank Hypo Real Estate
Eine ganze Reihe drohender, wenn auch zuletzt abgewendeter Bankenzusammenbrüche in Europa hatte Angst und wohl zum Teil auch Panik unter der Kundschaft verbreitet. Die von den USA
ausgehende Bankenkrise ist in Europa und mitten in Deutschland angekommen. Mit einem von 35 auf 50 Milliarden aufgestockten Einsatz staatlicher und privater Gelder musste die deutsche Problembank
Hypo Real Estate zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit gerettet werden. Dass dies unter dramatischen Umständen gelang ist auch dem beherzt-umsichtigen Zupacken des deutschen Finanzministers
Peer Steinbrück zu verdanken.
Niemals vorher haben EU-Regierungen mit so großem Aufwand und in so dichter Folge Finanzhäuser vor dem Absaufen retten müssen wie in der zurückliegenden Woche. Mit der Annahme eines
umfassenden Rettungsplans für die Banken der USA war Washington am Ende der Woche bis an die Grenzen seiner politischen Möglichkeiten gegangen. Dagegen fand die EU zunächst keinen Weg, der
ausufernden Krise auch seines Finanzwesens mit vereinten Kräften zu begegnen. Jedes EU-Land soll bis auf Weiteres wankende nationale Geldhäuser aus eigener Kraft zu stützen versuchen. Zu deutsch:
In dieser Gemeinschaft der Egoisten ist jeder sich selbst der nächste. Und das heißt in unserem Fall: Deutschland muss die horrenden Summen zur Rettung von Hypo Real alleine aufbringen.
"In dieser Krise lernen wir jeden Tag dazu," sagt einsichtsvoll die französische Finanzministerin Christine Lagarde. Durch Schaden klug geworden, wollten es die Europäer auf eine
Bankenpleite a la Lehman Brothers in ihrem Verantwortungsbereich auf keine Fall ankommen lassen: Die Benelux-Bank Fortis, der britische Immobilienfinanzierer Bradford & Bingley, die
isländische Glitnir-Bank und das französisch-belgische Geldhaus Dexia wurden deshalb alle mit hohen Einsätzen des Steuerzahlers aufgefangen. Doch wird es den jeweils betroffenen europäischen
Regierungen sicher sehr schwer fallen, auch einer möglichen zweiten Welle von Schwächeanfällen ihrer Banken ein weiteres Mal mit nationalen Mitteln zu begegnen.
Die Beschlüsse des amerikanischen Kongresses machen es weniger wahrscheinlich, dass die Pleite einer US-Bank europäische Geldhäuser mit in die Tiefe zieht. Doch sind die Bilanzen auch der
Letzteren nach wie vor mit US-Immobilien-Schrottpapieren beschwert, die ihren Weg zurück zu den amerikanischen Urhebern der Misere finden müssten. Mit den Kursverlusten an den Börsen und durch
ihr gegenseitiges Misstrauen laden sich die hiesigen Banken aber auch neue zentnerschwere Lasten auf.
Irland ärgerlicher als Liechtenstein
Ach hätten wir in Europa doch wenigstens einen halbwegs mächtigen Präsidenten und einen auch noch so renitenten Kongress, die beide nach elendem Gezerre am Ende doch mit einem einzigen
Beschluss der gesamten Finanzbranche aus der Klemme helfen! Doch wer wollte wohl für die Briten mit einspringen, die vom zügellosen Treiben ihrer Hedgefonds nicht genug kriegen konnten und auch
den Übertreibungen des Immobilienmarktes nichts entgegensetzt haben? Und wer erst möchte gar dem Steuerparadies Irland beistehen, das mit einer lächerlich niedrigen Gewinnsteuer von 12,5 Prozent
und einer bekannt laschen Finanzaufsicht hunderte von Bankniederlassungen nach Dublin gelockt hat?
Dort hat auch die Hypo-Real-Tochter Depfa frei ihrer Risikofreude frönen können, die jetzt der deutsche Staat mit einer Milliardenbürgschaft heraushauen muss. In eben diesem nebligen
irischen Abseits hatten vorher schon spekulative Ableger der IKB und der Sachsen LB, unbehelligt von jeglicher Bankenaufsicht, viele Milliarden zu Lasten des deutschen Steuerzahlers in den Sand
gesetzt.
Den deutschen Finanzminister kostet die Banken-Freistatt Irland weit mehr als die kleine Steuerfluchtburg Liechtenstein.
Zum Verdruss vor allem Londons sind die Iren in der vergangenen Woche vorgeprescht und haben die Sicherheit aller Einlagen und Verbindlichkeiten der Banken des eigenen Landes garantiert.
Dafür setzen sie mit 400 Millionen Euro das Doppelte des jährlichen irischen Sozialproduktes ein. Daraufhin flossen britische Gelder auf die andere, sichere Seite der irischen See und London sah
sich genötigt, die staatliche Garantiesumme für Bankeinlagen von 35.000 auf 50.000 Pfund je Guthaben zu erhöhen - ein aberwitziges, unsolidarisches Tauziehen um das Vertrauen der Anleger.
Ein gemeinsames Auffangnetz für die EU?
Ernstzunehmende Stimmen sprechen sich nun dafür aus, ein gemeinsames Auffangnetz für taumelnde Finanzinstitute der EU aufzuspannen. So etwas braucht die Gemeinschaft lieber früher als
später. Doch dafür müssen Vorbedingungen erfüllt sein. Denn warum sollten die Deutschen für das freie Artistentum waghalsiger Finanzakrobaten aufkommen, an dem die Briten so gerne festhalten
möchten? Alle, die dem Finanzsystem mit ihren Operationen gefährlich werden können - also auch Hedge-, Geldmarkt- und Investmentfonds, Private-Equity-Unternehmen und Kreditversicherer - müssen
den gleichen strengen Kontrollen unterworfen werden, wie es der Präsident des Kieler Institutes für Weltwirtschaft, Dennis Snowers, richtiger Weise fordert.
Mindestens 20 Prozent der Kredite, die sie herausgeben, sollten die EU-Banken in ihren Büchern behalten, damit sie die Folgen eines freizügigen Geldverleihens selber verlustreich zu spüren
bekommen. Mit den fünf Prozent Selbstbehalt dagegen, die der irische EU-Kommissar Charlie Mc Creevy für ausreichend hält, ließe sich das Schwarze-Peter-Spiel der versteckten Weitergabe fauler
Kredite relativ schmerzfrei weiterspielen, das die Banken diesseits und jenseits des Atlantiks so verhängnisvoll miteinander verkettet. Die fehlende einheitliche Regulierung des Finanzsektors ist
die große Achillesferse im Finanzgefüge des Euroraums. Bis dieses Manko behoben ist, müssen die europäischen Finanzminister als Nothelfer der Banken notgedrungen improvisieren.
Teuer bezahlte Pleite
Zu viele Bank- und Fondsmanager haben übermütig ein zu großes Rad gedreht, und nun soll der Staat in die Speichen greifen, bevor der Karren in den Abgrund fährt. Und dieser Karren reißt im
Ernstfall viele mit. Einschließlich der letzten, sträflich dümmlichen Überweisung von 319 Millionen Euro durch die KfW an die Lehman-Brüder hat der Zusammenbruch der New Yorker Investmentbank die
deutsche Finanzbranche mehrere Milliarden gekostet. Ihren ganzen Einsatz von jeweils 10.000 Euro und mehr aber haben wahrscheinlich die fünftausend Privatanleger verloren, die allein bei der
Frankfurter Sparkasse - vermutlich mehrheitlich ahnungslos-gutgläubig - Lehman-Papiere erworben haben. Beim Blick in die Gesichter in der Schlange vor dem Kassenschalter stelle ich mir vor, wie
aufschlussreich für viele wohl der Hinweis auf das jetzt erst entschlüsselte Rätselwort "Emittenten-Risiko" gewesen sein mag, wenn es denn überhaupt gefallen ist.
Für die Geschädigten, aber noch mehr für die medialen Anwälte eines schrankenlosen Kasino-Kapitalismus bricht eine Welt zusammen. Selbst im Angesicht der größten finanziellen Exzesse hatten
die letzteren noch den Glauben an die alles ordnende unsichtbare Hand des Marktes verbreitet. Folgerichtig plädieren einige noch Unbelehrte unter ihnen - nicht anders als die republikanische
Mehrheit im Repräsentantenhaus - die Not leidenden Banken mit ihren brennenden Problemen sich selbst zu überlassen.
Vom Feuerlöschen zur Brandvorsorge
Doch welche Feuerwehr fragt, ehe sie zu löschen beginnt, ob in einem Haus mit Streichhölzern gespielt wurde, geht es doch auch darum, ein Übergreifen des Feuers auf die Nachbarschaft zu
verhindern. Aus vielen großen Brandschäden klug geworden, haben die Behörden hierzulande die Brandschutzvorschriften Zug um Zug verschärft: Rauchmelder, Sprinkleranlagen, Feuerlöscher und sichere
Fluchtwege sind heute ein Muss in öffentlichen Gebäuden. Man mag sich nicht vorstellen, dass die Finanzbranche nach ihrem bisher größten Nachkriegsversagen noch einmal soviel brennbaren Zunder
anhäufen darf!
Die Finanzjongleure, die zu viele Teller auf einmal in der Luft halten wollten, stehen vor einem Scherbenhaufen. Die von ihnen ausgelöste Finanzkrise bringt Millionen von Menschen um ihr
Vermögen, lastet schwer auf den öffentlichen Haushalten und setzt am schlimmen Ende einen allgemeinen wirtschaftlichen Abschwung in Gang. Wem das nicht reicht, die dafür Verantwortlichen an die
ganz kurze Leine zu nehmen, dem ist nicht mehr zu helfen.