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Aydan Özoğuz: Vom Einwanderungsland zur Einwanderungsgesellschaft

Deutschland muss sich vom Einwanderungsland zur Einwanderungsgesellschaft entwickeln. Wie das gelingen kann, erklärt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz in ihrem Debattenbeitrag.
von Aydan Özoğuz · 08. April 2015
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Deutschland ist ein wohlhabendes Land. In der Europäischen Union ist kein Land so gut durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen wie wir. Ein Blick auf die demografische Entwicklung unseres Landes und den Fachkräftemangel, der in einigen Branchen bereits da ist, zeigt aber schnell, dass wir uns nicht auf dem Status quo ausruhen können. In den kommenden Jahren gehen viele Millionen Menschen in den Ruhestand, denen zu wenig Menschen in den Arbeitsmarkt folgen können. Deshalb brauchen wir eine Doppelstrategie: Mehr Einwanderung und die Stärkung des inländischen Potenzials. 

Kultur der zweiten und dritten Chance

Einwanderung allein kann niemals das Allheilmittel sein, um das Wohlstandsniveau unseres Landes zu halten: Wir müssen uns gleichzeitig viel mehr dafür einsetzen, dass alle Menschen in unserem Land ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt finden und behaupten können. Das wird ein wenig technisch „Hebung des Potentials im Inland“ genannt: Frauen, junge Erwachsene, Menschen mit Einwanderungsbiografie und Ältere - sie alle müssen faire und bessere Chancen auf Arbeit und Arbeitsbedingungen haben. Und alle Jugendlichen müssen eine Ausbildung machen können, jeder braucht einen Berufsabschluss. Dazu benötigen wir auch eine Kultur der zweiten und dritten Chance, wenn es nicht gleich mit der Berufsausbildung klappt.

2015 ist unser Zuwanderungsgesetz zehn Jahre alt geworden. Ich finde das ist der richtige Zeitpunkt, um jetzt zu überlegen, wie wir unsere Regeln zur Einwanderung verbessern können, damit mehr qualifizierte Einwanderer den Weg in unser Land finden und auch bleiben. Es gibt längst Kriterien, wer nach Deutschland kommen kann - und wer nicht. Ein Einwanderungsgesetz wäre eine große Chance, unsere Einwanderungsregelungen für alle transparenter und damit nachvollziehbar zu machen. In den letzten Jahren haben wir bereits viele Öffnungen vorgenommen, z.B. für Akademikerinnen und Akademiker und für Fachkräfte in Mangelberufen.

Mehr Nicht-EU-Bürger

Das reicht aber nicht. Und wer heute nach Deutschland kommen möchte, findet dutzendfach verschieden abgestufte Aufenthaltstitel. Diese Titel stehen so vielschichtig, unübersichtlich und manchmal auch unsortiert nebeneinander, dass man sich als Einwanderungswilliger sehr gut – nicht selten von einem Anwalt – beraten lassen muss. Da können wir uns auch nicht wundern, wenn z.B. die Blaue Karte EU – für die Anwerbung von Hochqualifizierten eingeführt – seit drei Jahren erst 20.000 Mal an Menschen aus Staaten außerhalb der EU ausgestellt wurde. Da ist noch richtig Luft nach oben!

Wenn wir das große Projekt eines Einwanderungsgesetzes angehen wollen, müssen wir nicht nur die vielen unterschiedlichen Regelungen zusammenbringen und sich widersprechende Punkte ausräumen, wir müssen auch die Lücken erkennen.

Ein paar Beispiele zeigen den Reformbedarf:

  • Wenn der Lebensweg der Einwanderer in Deutschland anders verläuft als vor der Einreise geplant, darf unser Recht nicht so unflexibel sein wie bisher. Hinderlich ist das sogenannte „Zweckwechselverbot“: Wer z.B. von einer betrieblichen Ausbildung an eine Hochschule wechselt, muss eigentlich erst ausreisen und ein neues Visum beantragen, weil das alte Visum einst einen anderen Aufenthaltszweck hatte.
  • Junge Flüchtlinge, die eine Ausbildung beginnen, brauchen einen Aufenthaltstitel bis zum Ende ihrer Ausbildung. Es ist weder ihnen noch den Unternehmern zumutbar, zwei bis drei Jahre im Ungewissen zu bleiben, ob die Ausbildung beendet werden kann oder nicht.
  • Sprachkurse brauchen wir für (fast) alle, die in unser Land reisen, wenn wir wirklich wollen, dass alle Deutsch lernen. Da muss der Bund den Ländern finanziell helfen.
  • Der Sprachnachweis beim Ehegattennachzug muss neu geregelt werden: Sprache lernen ja, aber das Zusammenleben mit dem Ehepartner darf nicht von einem Test abhängen!
  • Und wir müssen die erfolgten Verbesserungen beim Arbeitsmarktzugang von Asylbewerbern und Geduldeten weiter denken. Sie dürfen nach drei Monaten arbeiten, aber: Warum sollten Asylbewerber weiterhin am Verbot der Leiharbeit für Ausländer (§ 40 Abs.1 AufenthG) scheitern? In Zeiten eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland gibt es dafür keine überzeugenden Gründe mehr.

Wir haben in unserem Land zurzeit eine unglaublich hohe Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge, die vor Krieg und Terror fliehen. Gleichzeitig gibt es aber auch Bewegungen, die sich  pauschal gegen Ausländer oder „den“ Islam richten. Wenn heute z.B. schon spürbar weniger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland Interesse zeigen, in bestimmte Regionen Deutschlands zu gehen, dann müssen bei uns alle Alarmsignale läuten.

Deutschland ist ein Einwanderungsland, das zu einer Einwanderungsgesellschaft wird. Dafür müssen auch alle die Einwanderungsregeln verstehen können – Einheimische und Einwanderer. Dann haben auch die geistigen Brandstifter deutlich weniger Chancen mit ihren Schmähungen gegen Menschen anderer Herkunft oder anderen Glaubens.

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Aydan Özoğuz

ist als Staatsministerin im Bundeskanzleramt die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
 

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