Autofreier Tag: „Überall fahren, überall parken, das geht nicht mehr.“
IMAGO/Sabine Gudath
Herr Knie, das dritte Entlastungspaket enthält Zusagen über 1,5 Milliarden Euro für die Nachfolge des 9-Euro-Tickets. Ein Erfolg?
Es ist erstmal positiv, dass das Bundesverkehrsministerium die Erfolgsgeschichte des 9-Euro-Tickets fortsetzen will und dafür Geld auf den Tisch legt. Ich habe sogar den Eindruck, dass der Verkehrsminister persönlich dafür kämpft. Das war nicht immer so. Jetzt kommt natürlich die parteipolitische Auseinandersetzung. Da bin ich gespannt, wie sich CDU/CSU verhalten werden. Am Ende hoffe ich aber, dass sich die Länder einen Ruck geben und im Sinne der Verkehrswende und der Klimapolitik entscheiden.
49 Euro für ein bundesweit einheitliches Ticket sind meiner Ansicht nach aber zu teuer. Empirische Studien zeigen, dass die Kaufbereitschaft oberhalb von 29 Euro rapide sinkt. Es nimmt also die Zahl derer zu, die dann eben doch nicht umsteigen wollen.
Warum liegt diese Grenze ausgerechnet bei 29 Euro?
Einfach erklären kann man das nicht, es ist ein subjektiver Wert. So wie man einen Preis für ein Bier oder ein Buch im Kopf hat. Für den ÖPNV sind das offenbar 25 bis 29 Euro, die die Massen bewegen, ihr Verhalten zu ändern. Und darauf kommt es an. Für eine Verkehrswende müssen wir das Mobilitätsverhalten vieler Menschen ändern, Routinen durchlöchern.
Es gibt auch den Vorschlag, unterschiedliche Tickets anzubieten: 29 Euro für ein Bundesland, 49 für Deutschland. Wäre das ein sinnvoller Kompromiss?
Nein. Denn Mobilität wird im Kopf entschieden. Wenn ich einen Preis für alles habe, dann eröffnet sich mir die Welt. Wenn ich anfange zu überlegen, wann sich welches Ticket lohnt, ist das schon wieder zu viel. Erstmal müssen die Menschen umsteigen und das klappt mit einem einheitlichen Preis besser.
Natürlich würde ein Ticket für 29 Euro die Kosten des ÖPNV nicht decken, das ist klar.
Schauen wir etwas weiter nach vorne: Haben wir in Deutschland die Mobilitätswende geschafft, wenn alle Autos, Busse und Bahnen elektrisch fahren?
Tatsächlich wird oft so argumentiert: Es reicht, wenn alle Autos elektrisch fahren.
Das wäre tatsächlich gut. Aber Autos stoßen ja nicht nur CO2 aus, wenn sie gefahren werden, sondern verbrauchen schon in der Produktion Ressourcen und benötigen außerdem viel Platz. Wenn wir nicht gleichzeitig die Zahl der Autos reduzieren, kommen wir mit der Verkehrswende nicht weiter.
Das Auto stehen lassen und hin und wieder Bus und Bahn zu fahren, reicht also nicht?
Genau. Wir müssen die Emissionen von CO2 und Schadstoffen im Verkehr drastisch senken. Dabei ist die Elektromobilität ein Teil der Lösung, aber auch die kommt ja nicht nur mit Luft und Wasser daher. Wir müssen insgesamt weniger Auto fahren, die Abhängigkeiten vom Auto reduzieren, gerade im ländlichen Raum.
Müssen wir also jede*r ein Stück Wohlstand, ein Stück individuelle Freiheit opfern?
Die Dosis macht das Gift! Und die Dosis „Auto“ ist derzeit zu groß. Es geht nicht darum, Autos gar nicht mehr zu nutzen, aber es müssen weniger werden. In den sechziger Jahren war das Auto tatsächlich noch ein Symbol der Freiheit, des Wohlstands. In den Achtzigern schon nicht mehr, weil irgendwann viel zu viele unterwegs waren. Damit ist aus der Freude am Fahren eher eine Last geworden.
Damit meinen Sie Staus und stockenden Verkehr?
Ja und die Infrastruktur geht davon kaputt. In zersiedelten Regionen müssen Sie alles mit dem Auto erledigen, weil es vor Ort keinen Bäcker, kein Geschäft mehr gibt. Dadurch hat sich eine Abhängigkeit vom Auto entwickelt.
Gerade die Apologeten der Freiheit müssten wissen, dass man mit weniger mehr erreichen kann. Das gilt auch für ein Tempolimit auf den Autobahnen: Je langsamer ich unterwegs bin, desto schneller komme ich an. Klingt paradox, aber der Verkehr fließt dann besser.
Die egoistische Interpretation von Freiheit im Sinne von „ich will“ schafft nicht mehr Freiheit für alle, im Gegenteil.
Mehr Freiheit für alle ist aber schwer vorstellbar, wenn man die Regionen miteinander vergleicht: In der Großstadt gibt es vielfältige Nahverkehrs-Angebote, auf dem Land ist oft ein Bus pro Stunde das höchste der Gefühle.
Das stimmt. Wir haben auf dem Land eigentlich keinen existierenden ÖPNV, zu 90 Prozent wird der von Schülern und Auszubildenden genutzt. Eigentlich sind alle auf das Auto angewiesen.
Nur leider fahren die Menschen dann mit dem Auto auch in die Ballungsräume und verursachen dort Probleme. Die Stadt Düsseldorf hat beispielsweise genauso viele Einwohner wie Menschen, die regelmäßig dorthin pendeln. Die Stadt wird regelrecht mit Autos aus dem Umland geflutet.
Ich denke, dass das Digitale da neue Möglichkeiten schaffen kann. Wenn ich in Berlin unterwegs bin, kann ich schon auf mein Smartphone schauen und überlegen, welches Fortbewegungsmittel ich nutze. Auf dem Land stehen hingegen ganz viele Sitzplätze in Autos zur Verfügung, weil viele allein unterwegs sind. Dabei könnte ich in einer Sekunde mit dem Smartphone mein Privatauto zu einem Bus machen, der dann noch zwei, drei Personen aufnimmt. Juristisch gibt es diese Freiheit noch nicht, technisch ist das aber machbar.
Also eine staatliche „Uber“-Plattform?
Zumindest eine unter staatlicher Kontrolle mit fairen Bedingungen für Alle. Wenn man das Personenbeförderungsgesetz dafür ein wenig öffnen würde, könnte vielleicht sogar ein Mobilitätsmarkt entstehen, der vergleichbar ist mit dem Markt für Erneuerbare Energien ab 1998.
Aber schaffe ich dann wirklich das eigene Auto ab, das ich im Notfall vielleicht doch brauche?
Das ist tatsächlich ein Thema. Wir nennen das die Mobilitäts-Reserve, wenn zum Beispiel Angehörige in Not sind. Selbst wenn das nie vorkommt, steckt der Gedanke natürlich im Hinterkopf. Das hängt allerdings damit zusammen, dass viele Menschen mit dem Auto groß geworden sind und sich gar keine andere Welt mehr vorstellen können.
In der jüngeren Generation ändert sich das schon: Da werden dann Freunde oder Bekannte angerufen und man kommt weiterhin gut weg. Ich bin davon überzeugt, dass sich diese Denkweisen weiter verändern können, wenn zu den digitalen Angeboten noch ein gutes Taxi-Angebot für den Notfall dazukommt.
Es kann zwar dann trotzdem noch Lücken geben. Aber es ist auch noch nicht so lange her, dass nicht jede Person ein eigenes Auto hatte. Lebenswert war das Leben trotzdem.
Kann unsere Infrastruktur in Deutschland mit diesen Veränderungen überhaupt Schritt halten?
In der Vergangenheit haben wir Verkehrsprobleme gelöst, indem wir einfach mehr Straßen gebaut haben. Hans-Jochen Vogel hat schon in den 70er Jahren gesagt: „Wer Straßen sät, erntet Verkehr.“ Dem kann ich nur zustimmen. Inzwischen ist in den Städten kein Platz mehr und wenn wir weiterhin täglich 35 Hektar Fläche alleine für Verkehrsinfrastruktur versiegeln, bekommen wir bald überall Probleme mit Hochwasser und Hitze.
Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit: Wir müssen dem Auto Platz wegnehmen. Überall fahren, überall parken, das geht nicht mehr. Stattdessen braucht es mehr Platz für andere Verkehrsteilnehmer.
Sind damit weitere Konflikte nicht vorprogrammiert?
Die Konflikte werden wir nicht vermeiden, aber wir können sie gestalten, indem wir Alternativen anbieten.
Das Auto soll ja auch nicht vollständig verschwinden. Aber wir könnten beispielsweise die 1,2 Millionen Pkw, die es in Berlin gibt, auf 300.000 reduzieren, wenn wir alle Fahrten innerhalb von Berlin nur noch über Car-Sharing absolvieren würden.
Solche Veränderungen sind möglich und notwendig, darüber muss die Politik kommunizieren. Und die Menschen brauchen etwas Zeit, sich darauf einzustellen.
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