vorwärts.de: Niedrige Wahlbeteiligungen, sinkende Mitgliederzahlen bei allen Parteien - ist Parteipolitik out?
Marco Bülow: Ja, zumindest bei einem Teil der Bevölkerung verstärkt sich diese Tendenz. Die Lust, mitzumachen und die Bereitschaft, sich parteipolitisch irgendwie zu beteiligen, sind zurückgegangen.
Was sind die Gründe dafür?
Es hat sicher verschiedene Ursachen. Teilweise ist es Frust, teilweise sind es Vorurteile gegenüber der Politik. Es ist aber auch der Eindruck, dass Politik viel zu viel verspricht und viel zu wenig hält.
Welchen Teil der Bevölkerung meinen Sie genau?
Ich würde das nicht an einer bestimmten Gruppe festmachen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass je jünger die Menschen sind, desto mehr Parteien- und Politikerverdrossenheit gibt es bei ihnen. Da ist der Anteil derjenigen, die sich nicht mehr beteiligen wollen, relativ hoch.
Dabei hat die Kampagne für Joachim Gauck im Internet ja gerade wieder gezeigt, dass junge Menschen durchaus bereit sind, sich politisch für eine Sache einzusetzen. Wie kann man bei ihnen auch die Lust auf Parteipolitik wieder fördern?
Indem man versucht, ein bisschen authentischer Politik zu machen und weniger die Parteitaktik in den Vordergrund stellt. Junge Menschen brauchen konkrete Projekte zum Mitmachen und wollen sehen, dass ihre Unterstützung eine Resonanz erfährt. Das war bei der Gauck-Kampagne der Fall. Sie müssen das Gefühl haben, bei konkreten Themen mitreden zu können. Man darf das aber nicht gleich missbrauchen für die gesamte Partei oder eine Parteitaktik. Junge Menschen werden nur über viele Schritte vielleicht irgendwann den Weg zu einer Partei finden.
Aber wo fängt man da an?
Wir müssen bei einzelnen Projekten einfach mal abfragen, was denn die Menschen zu einem bestimmten Thema zu sagen haben. Nicht alles muss ja sofort entschieden werden. Manche Diskussionspunkte bieten sich für öffentliche Veranstaltungen an, zum Beispiel das Thema Wehrpflicht. Da müssen wir versuchen, auch die Leute stärker mitzunehmen, die nicht in Parteien sind.
Wäre auch die Einführung von Plebisziten auf Bundesebene ein Mittel?
Auf jeden Fall. Man muss natürlich überlegen, in welcher Form man das macht. Es gibt ja auch gute Argumente dagegen, da muss es Hürden geben. Aber ich glaube, dass Plebiszite in Maßen möglich sein müssen und dass sie auch mit dazu beitragen können, dass sich wieder mehr Leute politisch engagieren.
Ein anderes Problem der Parteien ist die Inaktivität der eigenen Mitglieder. Was muss in der SPD passieren, um die eigenen Leute wieder zu aktivieren?
Ansetzen kann man vielleicht mal bei einem Controlling von Parteitagsbeschlüssen. Ich weiß aus Erfahrung, dass Parteitagsanträge oft durch die Überweisung an die Bundestagsfraktion beerdigt werden. Und das ist tatsächlich eine Beerdigung, weil die meisten Anträge gar nicht in der Bundestagsfraktion landen. Hier brauchen wir ein Kontrollinstrument, damit die Parteitagsbeschlüsse auch ihren Weg gehen. Man kann ja hinterher zu der Meinung kommen, dass ein Beschluss nicht umsetzbar ist, aber das muss man der Basis erklären.
Derzeit haben Viele das Gefühl, dass selbst wenn sie mal eine Mehrheit für ihre Meinung finden, zum Schluss doch wieder andere entscheiden. Dieses Ohnmachtsgefühl, dass da bei Vielen entsteht, ist fatal. Damit verlieren wir die aktiven Mitglieder.
Was halten Sie von Mitgliederbefragungen, zum Beispiel bei der Frage der Kanzlerkandidatur?
Urwahlen oder Mitgliederbefragungen sind sinnvolle Mittel. Man muss sie aber verstetigen und nicht nur durchführen, weil es gerade opportun ist. Sie müssen zu grundsätzlichen Mitteln werden, nicht nur bei Personen sondern auch bei Themen. So wie die SPD es jetzt mit den Regionalkonferenzen macht. Ein anderes Beispiel ist die Afghanistan-Konferenz gewesen, wobei man so etwas auch die Regionen bringen sollte. Denn es ist klar, dass an einer Afghanistan-Konferenz in Berlin vor allem hohe Funktionäre teilnehmen. So etwas muss dann runtergebrochen werden, um auch die Meinungen undStimmungen der Basis mitzunehmen.
Marco Bülow
, Jahrgang 1971, ist seit 2002 Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis 143, Dortmund I. Er ist stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe Energie der SPD-Bundestagsfraktion.
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