#ausgehetzt: Zigtausende protestieren in München für humane Flüchtlingspolitik
Breites Bündnis gegen rechte Hetze
5.000 Teilnehmer hatten die Organisatoren von „#ausgehetzt“ erwartet, zu einer Veranstaltung, die halb Demonstration und halb Festival war. Doch diese Zahl war zu tief gegriffen. Weit über 20.000 Menschen waren laut offiziellen Angaben gekommen, also doppelt so viele wie etwa Markt Peißenberg Einwohner hat, der Geburtsort von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Und Dobrindt war auch auf dem #ausgehetzt-Plakat zu sehen, neben dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und Bundesinnenminister Horst Seehofer. Die Organisatoren sprachen von rund 50.000 Menschen. Worum also ging es?
Das Volkstheater, die Kammerspiele, das Schwule Kommunikationszentrum und die Initiative „Gemeinsam für Menschenrechte und Demokratie“ hatten die Demonstration teils organisiert, teils unterstützt, „weil es dringend nötig ist, dass die schweigende Bevölkerung sich zu Wort meldet und in den populistischen, teilweise rassistischen Diskurs interveniert, der inzwischen leider nicht mehr nur von Pegida oder AfD ausgeht“, sagte Organisator Thomas Lechner im Gespräch mit vorwaerts.de.
Gegen Zynismus, der sich in Realität übersetzt
Die Liste der Unterstützer liest sich schier endlos: Flüchtlingshilfeorganisationen, Verbände, Parteigruppierungen (auch die SPD), Kulturschaffende, kirchliche Einrichtungen. Auch das Jüdische Museum hatte seine Solidarität erklärt. Auf dem historisch so schwer vorbelasteten Königsplatz wehten Europa- neben Verdi-Fahnen, dazwischen Regenbogenflaggen und Parteiwimpel aller Fraktionen des Mitte-Links-Spektrums.
„Wir wenden uns nicht gegen die Partei CSU“, sagte Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele, im Interview mit vorwaerts.de. „Wenn man in Bayern etwas machen will, muss man das auch mit der CSU machen. Wir wenden uns gegen Dobrindt, Söder und Seehofer“. Die Anfrage dazu kam von den Organisationen, aber das Verhalten von Bundesinnenminister Horst Seehofer gab letztlich den Ausschlag: „Als er sich gefreut hat, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Menschen abgeschoben wurden, fand ich das einen solch zynischen Akt“, sagte Lilienthal. Dieser Zynismus habe sich in die Realität übersetzt, wie man an dem Selbstmord eines ausgeflogenen Afghanen gesehen habe.
Gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck
Kurz zuvor habe Markus Söder den Begriff des „Asytourismus“ geprägt und „inflationär benutzt“, so Lilienthal. Dem Theatermann sind diese „zynischen Sprachfiguren“ unerträglich: „Politiker dürfen nicht so zynisch reden.“ Auch Thomas Lechner bekräftigt: „Unsere Demo ist keine Anti-CSU-Demo, wie die Presse teilweise fälschlich formuliert – sie wendet sich gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft, macht aber klar, dass dieser auch von Vertretern etablierter Parteien befeuert wird.“ Deswegen benenne das Bündnis beispielhaft drei Schlüsselfiguren mit Namen: Markus Söder, Horst Seehofer und Alexander Dobrindt.
Der konsensorientierte, defensive Ansatz mag den Erfolg der Aktion mit ausgemacht haben. Das Bündnis rief noch während der Demonstration dazu auf, von der CSU eigens angeklebte Plakate gegen die Veranstalter nicht abzureissen. Das Ziel sei Gewaltfreiheit. „Wir wollen, dass Sprache wieder rücksichtsvoll und antidiskriminierend wird, dass Ethik und Anstand zurückkehren, dass verantwortliche Politiker sich ihrer Verantwortung bewusst werden und gesellschaftliche Risse kitten, statt sie zu vergrößern“, sagte Lechner. „Und wir wenden uns gegen eine Politik die den eigenen Machterhalt vor alles andere stellt und dabei demokratische Prinzipien verlässt, rechtsstaatliche Strukturen abbaut und Menschenrechte verletzt.“
In der Tradition von Christoph Schlingensief
So war die Demonstration auch als Sternmarsch angelegt: An den Goetheplatz wurden jene bestellt, die sich für ein Recht auf Asyl und Antirassismus stark machen wollen. Am Bavariaring liefen jene los, die gegen die Neuerungen im Polizieaufgabengesetz und damit gegen die ausgeweiteten Befugnisse der Polizei demonstrieren wollen. Das DGB-Haus war Treffpunkt für jene, die Wohnen, Arbeit und Sozialpolitik wieder weit oben auf der Agenda sehen wollen - und der Karl-Stützel-Platz für diejenigen, denen Gleichstellung von Frauen und LGBTI-Themen besonders wichtig sind.
Um diese thematische Breite geht es auch den Kulturintellektuellen, die sich der Aktion angeschlossen haben. Lilienthal ist einer, der Theater nie von Politik getrennt hat. Als ehemaliger Chefdramaturg der Berliner Volksbühne hatte er eng mit Christoph Schlingensief zusammengearbeitet. Der wiederum hatte mit seiner Aktion „Ausländer raus!“ im Jahr 2000 in bislang beispielloser Art Partei ergriffen und sich in den politischen Flüchtlingsdiskurs eingemischt. „Christoph fehlt uns heute total“, sagt Lilienthal mit Inbrunst.
Blick auf die Gegenwart
Zugleich aber richtet er den Blick auf die Gegenwart: Auf den Aktionskünstler Philipp Ruch etwa, künstlerischer Leiter des Zentrums für Politische Schönheit, mit dem die Kammerspiele bereits mehrere - teils umstrittene - politische Theaterprojekte in der Tradition von Schlingensief umgesetzt hatten. Ein Projekt etwa hat durchgespielt, was es bedeuten würde, wenn es zum Bruch der Schwesterparteien käme, sich eine liberalere CDU von einer rechten CSU abspalten würde.
Den Münchnern ist diese Idee inzwischen weniger fern, als mancher geglaubt hatte. München, Weltstadt mit Herz, heißt es im Stadtslogan. Möglich. Sicher ist jetzt zumindest eines: Zigtausenden Menschen war das Sauwetter egal, wenn es darum geht, gegen sprachlichen Populismus, eine menschenunwürdige Sprache und gegen eine gesellschaftliche Spaltung zu protestieren.