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Arbeiten 4.0: Warum wir für mobiles Arbeiten klare Regeln brauchen

Immer mehr Beschäftigte wollen flexibel ­arbeiten. Damit mobile Arbeit für alle von Vorteil ist, muss es klare Regeln geben. Wie die aussehen können, zeigen unsere Beispiele:
von Vera Rosigkeit · 26. April 2016
Nina Rustenbach schätzt das mobile Arbeiten auf Dienstreisen. Helmut Meyer ist Betriebsrat bei Bosch am Standort Abstatt.
Nina Rustenbach schätzt das mobile Arbeiten auf Dienstreisen. Helmut Meyer ist Betriebsrat bei Bosch am Standort Abstatt.

Für sie ist mobiles Arbeiten ein Segen. Sabine Müller arbeitet bei der Robert Bosch GmbH in Stuttgart-Feuerbach. „Als alleinerziehende Mutter ist mein Tag genau durchgetaktet. Ich komme und gehe immer zur selben Uhrzeit“, erklärt die 36-jährige Kauffrau für Bürokommunikation. Eine Unterbrechung, zum Beispiel ein Termin beim Arzt oder in der Schule, könne sie nur ausgleichen, wenn sie auch mal am Abend von zu Hause aus arbeiten könne. Das macht Sabine Müller inzwischen regelmäßig. Einen Tag in der Woche arbeite sie generell von zu Hause, erzählt sie. An anderen Tagen arbeite sie manchmal einen halben Tag im Büro und einen halben zu Hause.

„Mein Chef ist da sehr flexibel“, betont Müller. Ihr Equipment: Ein Laptop, den die Firma allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung stellt und ein Headset. „Ohne mobiles Arbeiten könnte ich meiner Arbeit nicht so nachgehen, wie es sein muss“, sagt sie.

Gründe für mobile Arbeit

Auch Nina Rustenbach arbeitet mobil. Allerdings nicht zu Hause. Mobiles Arbeiten werde manchmal mit Home-office gleichgesetzt, erklärt die Ingenieurin. Das sei nicht ganz richtig. Sie nutze die Möglichkeit des mobilen Arbeitens auf Dienstreisen. „Ich arbeite häufig an unserem Standort in Leonberg. Wenn ich dort einen halbtätigen Termin habe, suche ich mir anschließend einen freien Schreibtisch und arbeite den Rest des Tages dort.“ Leonberg liege zirka eine halbe Stunde Autofahrt von ihrem eigentlichen Standort beim Robert Bosch Entwicklungszentrum in Abstatt entfernt, Abstatt wiederum eine Autostunde von ihrem Wohnort Stuttgart. „Auf diese Weise kann ich mir eine Menge Fahrzeit sparen“, erklärt sie.

Termine organisieren, Kinder betreuen, Dienstreisen tätigen oder einfach nur die Fahrtzeit zur Arbeit sparen; die Gründe für mobiles Arbeiten sind vielfältig. Beschäftigte wünschen sich mehr Selbstbestimmung bei der Organisation ihrer Arbeit und nutzen die Spielräume, die die fortschreitende Digitalisierung möglich macht. In einer Beschäftigungsstudie der IG Metall 2013 gaben 20 Prozent der Befragten an, ständig oder häufig außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit tätig zu sein. Aber: In derselben Studie gaben 80 Prozent der Beschäftigten an, bereits die Erfahrung gemacht zu haben, immer mehr Arbeit in der gleichen Zeit erledigen zu müssen. 

Flexible Arbeitszeiten als Konfliktthema

Gewerkschaften warnen: Mit der wachsenden Möglichkeit mobilen Arbeitens steige nicht nur die Bereitschaft der Arbeitnehmer außerhalb der regulären Arbeitszeiten zu arbeiten, sondern auch die Erwartung seitens der Betriebe an die Erreichbarkeit der Beschäftigten. Schon fordern Arbeitgeber den Achtstundentag abzuschaffen und stellen die gesetzliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden am Tag sowie 48 Stunden pro Woche in Frage. Auch die vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden zwischen den Arbeitseinsätzen steht auf dem Prüfstand.

Die Frage, wie die Forderung der Wirtschaft nach mehr Flexibilität mit dem Bedürfnis der Beschäftigten nach mehr Selbstbestimmung und Sicherheit in einen Ausgleich zu bringen sei, beschäftigt auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Die digitale Revolution gehe mit einem „knallharten globalen Wettbewerb“ einher, Flexibilität sei ein „zentrales Konfliktthema“, erklärt sie anlässlich der Halbzeitkonferenz „Arbeiten 4.0“ im März in Berlin. Bei der Gestaltung der Arbeit von morgen seien viele Interessen im Spiel, „die auch gegeneinander laufen“, so Nahles. Doch wo mehr Flexibilität verlangt wird, müssten im Gegenzug neue Sicherheiten her, fordert sie. Ihr Resümee: Wir brauchen einen neuen Flexibilitätskompromiss zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und dieser ließe sich am besten in den Betrieben selbst aushandeln, ist die Ministerin überzeugt.

Betriebsrat: Arbeitszeit erfassen ist ein Muss

Bei der Robert Bosch GmbH ist das geschehen: Mit dem Ziel, Gestaltungsräume zu erweitern und Risiken wie Selbstausbeutung und Überlastung zu minimieren, haben die Geschäftsführung und der Konzernbetriebsrat 2014 das mobile Arbeiten in einer Betriebsvereinbarung geregelt. Sie gebe den Beschäftigten Sicherheit und wirke Konflikten entgegen, erklärt Helmut Meyer, Betriebsrat bei Bosch am Standort Abstatt. „Wenn die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwinden, muss ich in der Lage sein, mich abzugrenzen“, betont er.

Deshalb gilt für mobiles Arbeiten bei Bosch weiterhin das Arbeitszeitgesetz, z.B. eine Höchstarbeitszeit und Ruhepausen. Montag bis Freitag bleibe Regelarbeitszeit. Der Samstag kann auf freiwilliger Basis als Ausgleich für Freizeit während der Woche genutzt werden, doch die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ist weiterhin nicht erlaubt.

Wichtig für den Betriebsrat von Bosch aber ist: Damit mobiles Arbeiten nicht dazu diene, Arbeitszeiten auszudehnen und Leistungsdruck zu erhöhen, müsse die Arbeitszeit auch außerhalb des Betriebes erfasst werden. Das sei entscheidend, sagt Meyer. Er kennt den Konflikt, der mit mobilem Arbeiten einhergehe: „Die Frage, was ich meinem Arbeitgeber schulde, Ergebnis oder Arbeitszeit.“ Und mit dem Trend zu mehr Flexibilisierung „weiche das Bewusstsein darüber auf, dass ich dem Arbeitgeber in erster Linie Arbeitszeit schulde und das Arbeitsverhältnis letztlich ein Tausch Zeit gegen Geld ist“, sagt Meyer.

Die Regelung bei Bosch scheint ein gelungener Kompromiss bei der Frage nach dem Ausgleich zwischen den Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu sein. In Deutschland ist sie momentan eine Ausnahme. Es bleibt zu hoffen, dass auch Beschäftigte nicht tarifgebundener Unternehmen, insbesondere diejenigen ohne betriebliche Mitbestimmung, in den Genuss einer solchen Regelung kommen werden.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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