Arbeit: "Über Werkverträge wird massiver Missbrauch betrieben"
Auf deutschen Schlachthöfen stellen Beschäftigte mit Werkverträgen bis zu 90 Prozent der Belegschaften. Damit steigt der Druck auf Tariflöhne und Tarifverträge. Diese Missbräuche müssen unterbunden werden, sagt Ursula Engelen-Kefer im Interview. Die Gewerkschaften brauchen Rückendeckung durch gesetzliche Regelungen.
vorwärts: Das Geschäft mit Fleisch läuft gut in Deutschland. Beinahe jeder dritte Beschäftigte in deutschen Schlachtereien soll inzwischen einen Werkvertrag haben. Belgien will nun, dass die EU-Kommission gegen diese Beschäftigungsbedingungen vorgeht. Warum?
Ursula Engelen-Kefer: Vor allem die Beschäftigten mit Werkverträgen arbeiten zum Teil zu Löhnen von drei bis fünf Euro die Stunde, manchmal sogar noch weniger. Gerade im grenznahen Bereich wird damit Druck auf die Löhne ausgeübt, die in den Nachbarländern bezahlt werden. In Belgien gilt ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,75 Euro. Auch die Niederlande und Frankreich haben einen gesetzlichen Mindestlohn.
Ist Deutschland ein Niedriglohnland?
Ja. Über die Werkverträge wird inzwischen ein massiver Missbrauch betrieben, um von tariflichen und ortsüblichen Tarifen abzuweichen. Und das weit nach unten in Richtung Armutslöhne. Das trifft vor allem die entsandten Arbeitnehmer. Die kommen sehr häufig aus Bulgarien oder Rumänien.
Wie wird man Werkvertragsarbeitnehmer?
Ein deutscher Schlachthof beauftragt einen Subunternehmer, ein Schlachtbetrieb aus Rumänien, nicht mit der Entsendung von Arbeitskräften, sondern mit der Übernahme eines Werkes – beispielsweise 1000 Kisten Schweinehälften zu produzieren. Dann vereinbart er mit dem Subunternehmer einen Preis. Ab diesem Moment ist es Sache des Subunternehmers, wie er das Werk erstellt. Das unterliegt dann nicht mehr unserem Arbeits- und Sozialrecht.
Wie ist es möglich, dass in Deutschland so wenig bezahlt wird?
Wir haben keinen gesetzlichen Mindestlohn. Nach der EU-Entsenderichtlinie kann aber ein tariflicher Mindestlohn nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz eingeführt werden. Dann muss auch der entsandte Arbeitnehmer zum tariflichen Mindestlohn beschäftigt werden. Leider ist es der Gewerkschaft NGG bisher nicht gelungen, einen tariflichen Mindestlohn für Schlachtbetriebe durchzusetzen.
Woran scheitern die Gewerkschaften?
In dieser Wirtschaftsbranche, den Schlachtereibetrieben, gibt es keinen Arbeitgeberverband, sondern nur einzelne Arbeitgeber. Und die NGG hat keine Handhabe, die einzelnen Arbeitgeber dazu zu zwingen, einen gesetzlichen Mindestlohn abzuschließen.
Das Unrechtmäßige ist, dass hier Werkverträge missbräuchlich eingesetzt werden für Arbeitnehmerentsendung. Werkverträge werden genutzt, um alle Regeln der Entsendung zu umgehen. Und die wichtigste Regelung gegen Lohndumping bei einer Entsendung, einen Mindesttarifvertrag zu vereinbaren, schaffen die Gewerkschaften in den wenigsten Fällen.
Gibt es derzeit gar keine Regeln für diese Arbeitnehmer?
Doch. Für die Stammbelegschaft gilt der Tarifvertrag, wenn der Arbeitgeber im Tarifverband ist. Wir haben inzwischen auch einige gesetzliche Verbesserungen zum Schutz der Arbeitnehmer in der Leiharbeit und eine Lohnuntergrenze, so dass Missbräuche wie beispielsweise bei Schlecker begrenzt sind. Nun weichen deutsche Arbeitgeber auf Werkverträge aus.
Brauchen die Gewerkschaften Rückendeckung aus der Politik?
Ja. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung. Diese Missbräuche müssen unterbunden werden. Als erstes müsste eine Meldepflicht für Werkverträge eingeführt werden, um überprüfen zu können, ob es tatsächlich ein Werk ist oder nicht doch eine Entsendung.
Wie steht es mit der Verantwortung des Unternehmens?
Als zweites müsste eine Generalunternehmenshaftung eingeführt werden. Der Schlachtbetrieb, der den Subunternehmer beauftragt, müsste auch haftbar gemacht werden können für den Missbrauch von Seiten des Subunternehmens gegenüber den von ihm eingesetzen Arbeitnehmern.
Erst recht, wenn er die Arbeitnehmer in einen Schlachtbetrieb in Deutschland hereinholt und sie dort formal zur Erstellung des Werkes aber faktisch im Betrieb des Schlachthofes arbeiten lässt. Das ist ein illegaler Vorgang.
Drittens sollte dafür gesorgt werden, dass solche Unteraufträge nur vergeben werden können, wenn für die Betroffenen ein Mindestlohn eingehalten wird. Verhindern kann ich diese Missbräuche aber wirklich nur, wenn ich einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einführe. Denn dann könnte ein solch unrechtmäßiges Dumping in deutschen Betrieben nicht stattfinden.
INFO:
Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten hat im März eione ausführliche Broschüre zum Thema Missbrauch von Werkverträgen vorgestellt. Mit der Broschüre "Wenig Rechte. Wenig Lohn. Wie Unternehmen Werkverträge (aus)nutzen" will NGG dieses Thema weiter in den öffentlichen Fokus bringen, den wachsenden Missbrauch von Werkverträgen an Beispielen aus Betrieben deutlich machen und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. http://ngg.net/presse_medien/mediendienste-2013/1-quartal-2013/2013-03-07-chg-werkvertraege/
*Ursula Engelen-Kefer ist zur Zeit Dozentin an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Schwerin, hat einen Lehrauftrag an der Freien Universität Berlin und leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland (SoVD).
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.