Arbeit der Zukunft: Mensch und Maschine in der Industrie 4.0
Die Arbeit der Zukunft gestalten wir!“ Das Motto des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum diesjährigen 1. Mai stimmt hoffnungsfroh. Dabei steht unsere Arbeitswelt vor einer historischen Zäsur. Fortschreitende Digitalisierung und Robotisierung werden bisherige Arbeitsbedingungen nachhaltig verändern. Wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen?
„Nehmen wir den modernen Kopierer. Wenn der nur noch 10 Prozent Patronentoner hat, wird vom Gerät ein Bestellvorgang ausgelöst“, erklärt Lutz Schäffer von der IG Metall Minden in Westfalen auf die Frage, wie ich mir eine „intelligente“ Maschine vorzustellen habe. Im Technologie-Netzwerk Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe, kurz „It‘s OWL“, wird Industrie 4.0 in der Praxis angewendet. Schäffer steht im engen Kontakt mit Beschäftigten und Betriebsräten vor Ort. „Wenn früher festgestellt wurde, der Toner ist leer, musste einer zum Telefonhörer greifen und neuen bestellen. Heute braucht er das nicht mehr“, sagt Schäffer und beschreibt den nächsten Schritt: „Künftig wird der Kopierer mir eine Kurznachricht schicken, bei mir ist ein Zahnrad kaputt, du musst bitte sofort vorbeikommen.“
Arbeit auf Abruf?
„Wie sieht das aus, wenn wir künftig auf Abruf arbeiten? Wie verändert das unsere Arbeit und unser Leben? Werden wir künftig nur noch Ingenieure brauchen?“, fragt Schäffer stellvertretend für viele Beschäftigte, die Veränderungen in ihren Betrieben wahrnehmen, ohne dabei unbedingt an Industrie 4.0 zu denken. Die aber wissen wollen, was die Veränderungen für ihr Leben und für die Gestaltung von Arbeitszeit, Einkommen und Qualifikation bedeuten.
Wenn Inger Korflür von der Beratungsfirma SUSTAIN CONSULT mit der Frage nach den Auswirkungen von Industrie 4.0 in die Unternehmen geht, sagen viele erst einmal, dass sie damit nichts zu tun haben. „Das liegt daran, dass unter diesem Label sehr vielseitige Anwendungen vereint sind, Industrie 4.0 ist ein Marketingbegriff“, sagt Korflür, die derzeit acht Betriebe des Netzwerkes „It‘s OWL“ im Auftrag der IG Metall begleitet, um gemeinsam mit Betriebsräten und im Dialog mit Unternehmensleitungen „betriebliche Landkarten der Veränderung“ zu erarbeiten.
Durch die Vernetzung von Daten werden künftig Menschen kaum noch in Lieferketten eingreifen müssen, erklärt sie. „Damit fallen Arbeitsschritte weg. Daraus ergibt sich die Frage, ob Arbeitsplätze verloren gehen oder Freiräume geschaffen werden für Prozesse, in denen menschliche Arbeit besser eingesetzt werden kann.“
Welche Qualifikation wird benötigt?
Auch mit dem Einsatz sogenannter Assistenzsysteme wie dem Werker-Führungshandschuh werden sich Arbeitsprozesse ändern. Der mit Sensortechnologie ausgestattete Handschuh vermittelt dem Werktätigen über Impulse, in welchem Winkel er sein Werkzeug ansetzen und dass eine bestimmte Schraube nur eine halbe Umdrehung gedreht werden muss. Eine Unterstützung zwischen hilfreich und entmündigend. Die Rolle des Menschen in der sich ändernden Arbeitswelt scheint widersprüchlich: Wird er dank „intelligenter“ Assistenzsysteme von Routineaufgaben befreit mehr Raum für kreative Prozesse haben, oder mehr Einfacharbeit erledigen, die wenig Qualifikation erfordert und vorhandene abwertet?
Wird er künftig im Mittelpunkt der Produktion stehen oder auf eine Anhängselfunktion reduziert werden? Dadurch dass Menschen künftig in sogenannten hybriden Systemen arbeiten werden, in denen sowohl der Mensch als auch die Technologie Prozesse steuert, kommt wiederum mehr Verantwortung auf sie zu. Denn vom Menschen wird erwartet, Fehler der technologischen Systeme schnell zu korrigieren.
Andererseits sind Wegfall von Arbeitsplätzen und Entwertung von Qualifikationen als Folge von Automatisierungsprozessen nicht neu. Die Soziologen Andreas Boes, Tobias Kämpf und Kira Marrs vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München weisen darauf hin, dass der Wandel in der Arbeitswelt nicht allein aus dem Potenzial entspringt, die die Verknüpfung von Daten mit Maschinen mit sich bringt, sondern aus dem Entstehen eines weltweiten Informationsraums. Dabei gehe es nicht nur um Technik, „sondern um einen sozialen Handlungsraum, der Menschen miteinander vernetzt und in Beziehung bringt. Diese Erkenntnis ist das eigentliche Erfolgsgeheimnis der Unternehmen des Silicon Valley“, schreiben sie.
DGB fordert mehr offensive Mitbestimmung
Die Frage, ob es künftig überhaupt noch einen festen Arbeitsplatz im Betrieb geben wird oder ob wir arbeiten, wo immer wir gerade sind, schließt sich daran unmittelbar an. Für die Münchner Wissenschaftler ist eine neue Arbeitszeitinitiative gesellschaftlich dringend geboten. „Viele Unternehmen experimentieren aktuell mit neuen Konzepten und treffen mit den Interessenvertretungen Vereinbarungen zu mobilem Arbeiten. Wie schaffen wir es hier, eine neue Zeitsouveränität zu verankern? Wie verhindern wir, dass eine Unkultur „permanenter Verfügbarkeit“ immer weiter um sich greift?“, fragen sie.
DGB-Chef Reiner Hoffmann spricht in diesem Zusammenhang von unterschiedlichen Formen der Entgrenzung. Neben der zeitlichen warnt er vor der räumlichen Entgrenzung bei Crowdworkern, die über Online-Plattformen von einem Unternehmen gebucht werden. „Wie kriegen wir die eingebunden in betriebliche Interessenstrukturen, damit sie nicht an sieben Tagen die Woche 24 Stunden erreichbar sein müssen und einbezogen werden in das System der sozialen Sicherung?“, fragt Hoffmann und fordert neue Formen von Regulierung und mehr offensive Mitbestimmung in den Betrieben.
Die Arbeit der Zukunft scheint viele Facetten zu haben. Wissenschaftler und Gewerkschafter wie Lutz Schäffer kritisieren, dass die Debatte um Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 bisher zu technikzentriert geführt wurde, denn hinter dem Label stecken Veränderungen, die viel weitreichender sind. Es gehe nicht darum, eine technische Entwicklung zu verhindern, erklärt Schäffer, sondern „wir möchten diese Entwicklungen menschengerecht gestalten“.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.