Arbeit der Zukunft: "Bearbeitungszeiten lassen sich drastisch reduzieren"
Herr Schäffer, gibt es erste Erfahrungen mit Industrie 4.0, sind bereits Veränderungen in den Betrieben spürbar?
Die Veränderungen in den Betrieben finden in unterschiedlichen Geschwindigkeiten statt. Das hängt auch davon ab, ob ein Unternehmen forscht und entwickelt oder Maschinen baut. Aber in allen Betrieben findet eine Vernetzung von Daten statt. Wir stellen fest, dass sich dadurch Bearbeitungszeiten in den Betrieben drastisch reduzieren lassen. Arbeitsabläufe, die sonst drei Tage in der Konstruktion oder in der Kalkulation hingen, werden auf einmal zusammengedampft auf einen Tag.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Nimm die Konstruktion: Früher hat der Konstrukteur am Brett gesessen und das Werkzeug gezeichnet. Dann kam CAD, das rechnerunterstützte Konstruieren und er hat das ganze am Computer gemacht. Heute ist hinter jeder Zeichnung, die am Computer gemacht wird, bereits eine Stückliste hinterlegt mit den Daten, was bestellt werden muss und wie viel das kostet wird.
Das hört sich nach weniger Arbeit an?
Es ist ja so. Daten wurden schon immer gesammelt, aber jetzt werden sie anders zusammengeführt. Durch die Vernetzung der Daten werden die Arbeitsabläufe transparenter und im Zweifelsfall schneller und autonom ausgeführt.
Nehmen wir als einfaches Beispiel den Kopierer. Ein moderner Kopierer merkt, wenn er nur noch 10 Prozent Patronentoner hat und schickt selbständig einen Bestellvorgang los. Wenn früher festgestellt wurde, der Toner ist leer, hat der Rainer zum Telefonhörer gegriffen und neuen bestellt. Jetzt braucht er das nicht mehr. Jetzt sagt der Kopierer, ich bin bald leer und verschickt eine E-mail.
Wie gehen Sie vor, um diese Informationen zu sammeln und auszuwerten?
Unser Projekt läuft zur Zeit in acht Betrieben in Ostwestfalen-Lippe (it's OWL) und wird von der IG-Metall unterstützt. Dazu kommen Betriebsräte oder Arbeitsgruppen aus den Betrieben in workshops zusammen, zu denen wir eine externe Beratung hinzugezogen haben. Es wird eine Art Betriebslandkarte erstellt, um herauszufinden, in welchen Abteilungen sich etwas ändert. Ziel ist es, die Auswirkungen von Industrie 4.0 auf die Beschäftigung zu erfassen, um herauszufinden, wie wir die Zukunft der Arbeit gestalten können.
Da kommen viele Fragen auf uns zu. Nehmen wir noch mal das Beispiel vom Kopierer. Was passiert, wenn der Kopierer nicht nur einen Bestellvorgang auslöst, sondern mir eine sms schickt mit der Nachricht, bei mir ist ein Zahnrad kaputt, du musst bitte sofort vorbei kommen. Das werden nämlich die nächsten Stepps sein.
Werden wir künftig auf Abruf arbeiten?
Das sind die wesentlichen Überlegungen, die uns beschäftigen. Wie sieht das aus, wenn ich künftig auf Abruf arbeite? Wie verändert das unsere Arbeit und unser Leben, also die sogenannte work-life-balance? Wie sieht das mit der Beschäftigung aus, brauchen wir künftig nur noch Ingenieure? Es wird Menschen geben, die Verantwortung bekommen und Menschen, denen Verantwortung abgenommen wird. Kriegen die dann etwas anderes zu tun oder werden sie im Zweifelsfall wegrationalisiert? Auf diese Fragen müssen wir Antworten finden. Denn Industrie 4.0 ist nur ein Label, dahinter stecken Veränderungen, die viel weitreichender sind. Deshalb nenne ich die Entwicklung auch ganz gerne Arbeit und Gesellschaft 4.0.
Ist die derzeitige Debatte zu technikzentriert?
Bis jetzt schon. Es ist eine rein technische Denkweise, die dahinter steckt. Und das greift zu kurz. Wir müssen uns fragen, welche Anforderungen kommen da zukünftig auf die Generation zu, die jetzt noch in der Schule ist und welche auf die jetzt 40-Jährigen in den Betrieben, die, wenn man der Politik Glauben schenken soll, noch 30 Jahre arbeiten sollen.
Löst diese neue Entwicklung Ängste bei den Beschäftigten aus?
Natürlich, weil auch gewisse Arbeiten wegfallen werden. Wenn beispielsweise Maschinen so vernetzt werden, dass sie eigenständig bestellen, brauchst du keinen Einkäufer mehr. Die Frage nach den Risiken und Chancen ist zur Zeit in der Forschung noch völlig unterbelichtet. Die IG-Metall ist hier sehr engagiert. Uns geht es nicht darum, eine technische Entwicklung zu verhindern, sondern wir möchten diese Entwicklungen menschengerecht gestalten, damit sich die Menschen darin wiederfinden.
INFO:
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.